Rechtsradikale stürzen den Senat Große Koalition in Berlin?

120.000 BerlinerInnen verschafften Republikanern zehn Mandate / FDP nicht mehr im Abgeordnetenhaus / Diepgens CDU verliert zehn Prozent / SPD und AL legen zu: Zusammen erhalten sie 62 von 119 Sitzen / Momper hat immer noch Angst vor Koalition mit AL  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Es war eine Sensation. Als gestern abend im Berliner Rathaus Schöneberg die ersten Hochrechnungen über die Fernsehschirme flimmerten reichten die Reaktionen der Prominenz von Überraschung und Entsetzen bis zu Verwirrung und Freude. „Ihn“ wollte Berlin nicht mehr. Mit 36,2% mußte die CDU einen erdrutschartigen Verlust von mehr als 10% hinnehmen. Mit Zuwächsen von bis um 5% und damit knapp 38% der Stimmen hatte andererseits kaum einer der Sozialdemokraten gerechnet. Die Alternative Liste übertraf ihr Ergebnis von 1985 (10,6) um fast 2%. Daß die FDP an der 5%-Hürde scheitern würde, hatten die siegessicheren Liberalen nicht erwartet.

Doch die eigentlichen Wahlsieger sind die rechtsradikalen Republikaner. Auf Anhieb verbuchten sie mehr als 8% der Wählerstimmen für sich. Das höchste Ergebnis erzielte die Partei im Arbeiterbezirk Neukölln, wo sie 10,5% der Stimmen erhielt. Nur zwei bis drei Prozent hatten die Demoskopen den Republikanern vorausgesagt. Über das hohe Wahlergebnis waren gestern abend Politiker und Besucher im Rathaus Schöneberg entsetzt. Erschrecken, Entsetzen, die Reaktionen waren sehr emotional. Spontan versammelten sich mehrere hundert Demonstranten vor dem Rathaus Schöneberg, um ihren Protest gegen den Einzug der Republikaner zu zeigen. „Nazis raus, Nazis raus“ skandierte die Menge und „Ausländer bleiben Nazis vertreiben“.

Der Bundesvorsitzende der Republikaner Franz Schönhuber durfte gestern abend im SFB seine Politik ausführlich erläutern. Seine Partei sei nicht rechtsradikal, sagte er und wies auf die vielen übereinstimmenden Positionen mit dem CDU-Politiker Lummer hin.

Die Alternative Liste machte die CDU für den Wahlsieg der Republikaner verantwortlich. Sie habe mit ihrer Ausländerpolitik den Boden für die Ausländerfeindlichkeit geebnet. Renate Künast, zukünftige Abgeordnete, griff den Noch-Regierenden Bürgermeister Diepgen direkt an. Wer noch kurz vor der Wahl den schlimmen Begriff des „Scheinasylanten“ präge, brauche sich nicht zu wundern, wenn die WählerInnen konsequent die ausländerfeindliche Partei wählen. Daß der rechte Rand der CDU bröckelt, war kein Geheimnis, daß er ab völlig abrutschen würde, machte die CDU sprachlos. 46.000 WählerInnen hat die CDU verloren, die meisten an die Republikaner.

Der Regierende Bürgermeister zeigte sich verwirrt. Daß er keine Partei mit Mehrheiten mehr hinter sich hat, schien er noch nicht realisiert zu haben. Auf die Frage nach einer Großen Koalition sagte Diepgen, er würde alle Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten prüfen. Doch zunächst wird es an der SPD sein, über einen Partner nachzudenken. Und Walter Momper schaut nach rechts. Er werde zunächst mit der größten Partei über eine Zusammenarbeit sprechen, sagte er gestern. Daß Berlin von einem rot-grünen Bündnis regiert werden könnte, schloß der SPD-Spitzenkandidat gestern abend praktisch aus. Die AL sei „gegenwärtig nicht regierungsfähig“, sagte Momper.

Bernd Köppl, zukünftiger AL-Abgeordneter, bot Momper erneut die Zusammenarbeit an. „Abwählen“, hatte die AL in den letzten Tagen empfohlen, und die Wähler waren ihr gefolgt. Jedenfalls diejenigen, die überhaupt zur Wahl gegangen sind. Denn in einem zumindest waren die Prognosen richtig: Die Wahlbeteiligung war niedriger denn je. Nur 79,6% der BerlinerInnen gaben gestern ihre Stimme ab. Weitere Berichte im Lokalteil