Primäre Geschlechsteile

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(NDR-Talkshow, N3, 27.Januar, 22.05 Uhr) Der heutige Büchermarkt ist unüberschaubar. Was macht also ein/e Autor/in am besten, wenn er/sie sein/ihr Druckwerk verkaufen möchte? Er/sie (diesmal nur Ers) setzt sich in eine Fernseh -Talkshow und weist „dezent“ auf das Epos hin. So wimmelt es denn auch in dieser Show von Büchern aller Art: angefangen bei den Memoiren des Goldmedaillen-Gewinnerin (kein Druckfehler!) Erik Schinegger, der sein Lebenswerk („Zwanzig Jahre als Frau, zwanzig Jahre als Mann“) zufällig lebhaft schon erwähnt, als er noch gar nicht an der Reihe ist, bis hin zum „irgendwo auch ein wissenschaftliches Buch“ des Soziologen Walter Hollstein. Nur Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth ist auch ohne Schriftwerk eine Einladung wert. Und natürlich etwas kleines Munteres, sexy Hübsches: die Jung -Schauspielerin Christina Plate (Praxis Bülowbogen), die sich in ihrer Persönlichkeit als eher blaß entpuppt, ist anwesend, um sich mit Komplimenten überhäufen zu lassen. Die engagierteste Zuwendung bekommt sie von jenem Mann, der seine Männlichkeit beweisen muß: Skilehrer Schinegger, einst durch „nach innen gewachsene primäre Geschlechtsteile“ als Mädchen verkannt.

Und hier wird die Show auch interessant: ob es Zufall ist oder eine geschickte Auswahl, die Gäste ergänzen sich fabelhaft rund um das Thema Sex, Geschlechterverhältnis, Rolle der Frau - und Aids. Jo Bentfeld, einst bundesdeutscher Verwaltungsangestellter und Gewerkschaftsmitglied, jetzt einsamer Trapper in Amerika („lesen Sie mein Buch“, „mein Reich ist so groß wie Bayern“), weist auf den Vorteil seiner mutter- und frauenseelenverlassenen Existenz hin: „Kein Sex, kein Aids, keine Drogen - die ideale Lebensform, Frau Süssmuth!“ Der Soziologe hält Frauen für das starke Geschlecht, ein „Gigolo“ behauptet, er könne gut mit Frauen umgehen („deutsche Ehemänner laufen drei Tage lang in derselben Unterhose 'rum“), eine Mutter verteidigt das Nur-Hausfrauen -Dasein, und mittenmang sorgt Tierforscher Vitus B.Dröscher für großes Vergnügen durch die Erwähnung von Haustieren.

Es sind nicht gerade geschickte Fragen der Moderatoren (Margarete Schreinemakers, Hermann Schreiber, Wolfram Thomas), die diese Show sehenswert machen. Es sind die emotionalen Gesprächsbeiträge der Eingeladenen („Wenn ich auch mal etwas dazu sagen darf“), die für Leben sorgen. Selbst die Bundestagspräsidentin mit ihrer ruhigen, harmonisierenden Art („Wir sollten alle bleiben, wer wir sind“) kann sich dem nicht ganz entziehen: „Wenn ich zur einen Tür hinausgeworfen werde, sehe ich zu, wie ich zur anderen wieder hineinkomme.“ Natürlich kann kein Thema befriedigend diskutiert werden, und wirklich Wichtiges wird selten gesagt, aber es ist Unterhaltung im besten Sinne: Man muß die NDR-Talkshow nicht gesehen haben, als Mittel gegen Langeweile jedoch ist sie allemal besser als mancher fade Krimi.

Germaine Bortfeldt