ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Die Kunst, einen guten Witz zu erzählen

Wie geht es einem Schneeball in der Hölle? Was tun, wenn man aufwacht und bloß noch auf einem Tintenfleck (wahlweise auch: Dreck) steht? Wie stellt man sich endlich auf den eigenen Kopf? Oder, gereimt und im Original: „What's the sense in ever thinking about the tomb / When you're much too busy returning to the womb?“

Wem solch essentielle Fragen eher fremd sind, der sollte nicht weiterlesen. Er wird keinen Sinn haben für die Erörterung der Problematik, was der nicht denkende Teil einer Person nicht denkt, was, anders ausgedrückt, dort los ist, wo das Blick- und Denkfeld notwendigerweise ausfranst. Kaum zu kapieren wird für ihn sein, was aus diesem Burschen namens Mr.Ich wurde, außer daß es schlecht ausging mit ihm: „He ended up sad, he ended up sad, he ended up really really really sad.“

Wer dazu aber die Musik von They Might Be Giants hört, ihre Minitraktate „Snowball in Hell“, „Piece of Dirt“, „Shoehorn with Teeth“, „Where your Eyes don't go“ und „Mr.Me“, in denen es neben vielem anderen auch um sowas geht, wird einfach mit dem Fuß wippen und den Song zu Ende erzählen lassen. Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, ist dann klar, daß Mr.Ich in einer rasanten Melodie und einem Wortspiel zwischen „Mister Me“, „Mistery“ und „Misty Sea“ verschwunden sein muß, eingeleitet von ländlichen whistles und einem unisono gesungenen „Jau! Jau! Jau!“ der Band (als wären's westfälische Bauern, die so den unvermeidlichen Gang der Dinge kommentieren).

Also sowas wie eine literarische Band? Ami-Studis, die ihren Bildungskanon verbraten? Wenn man will, kann man bei They Might Be Giants allerhand wiederentdecken, von Gregor Samsa über die Urverdrängung bis hin zu überseeischen Ringelnatzreimen („You're free to come and go/ /Or talk like Kurtis Blow“), aber man muß nicht, zum Glück. Überhaupt ist Band schon zu viel gesagt. Das Duo besteht aus John Flansburgh und John Linnell, zwei College-Freunden, die sich irgendwann als room-mates in Brooklyn wiederfanden. Teure Miete und die Frage: Wovon lebt man? Sie versuchten es zunächst mit einem dial-a-song-Service, bevor sie sich selbst auf die Bühne wagten. Live spielen sie Akkordeon, Saxophon und Gitarre zu vorproduzierten Bändern. Das Repertoire kennt keine Grenzen zwischen Pop, bastardisiertem Country, Fake-Tango und Polkas (mit gelegentlichen Heavy Metal-Ausbrüchen der Gitarre).

Aus all dem aber den Schluß ziehen zu wollen, TMBG wären eine bloße Gimmick-Truppe, könnte verkehrter nicht sein. Als späte Blüte des Ostküstenhumors tragen sie ihre Haut nur als Verkleidung zu Markte. Hinter jeder Ironie lauert ein Mikrokosmos sorgsam gespeicherter Erfahrung. Diese Lieder von sexuellen Weihnachtsmännern und Schuhlöffeln mit Zähnen dran sind aus naturgemäß flachem urbanem Tiefsinn heraus geschrieben. Songs wie Telefongespräche: Nach zweiundhalb Minuten ist normalerweise die Toleranzschwelle für Mitteilbares überschritten. Der Rest ist Überredung, Witz und Hangover bis zum nächsten Date, während das Geschirr sich stapelt und das Appartment platzt.

In Zeiten, in denen die aktuellen US-Bands eher westlich von New York hausen und ihre Gitarren über steppenartige Weiten hetzen, schreiben TMBG im Schatten des World Trade Center, in sich verhutzelt und es wissend. Der Konjunktiv im Bandnamen ist nicht nur ironisch gemeint. Weil die Welt ihnen eher ein gigantischer Kommerzsender ist als ein in die horizontale Freiheit preschendes Motorrad, setzen sie ihren Ehrgeiz daran, im Universum der Gag-Autoren ein paar Witze zu hinterlassen, die mehr als passabel sind.

Sicher, ein wenig verloren stehen sie schon da, mit diesem sanften Pop-Subversionskonzept von gestern. Hierzulande entsprechen sie in etwa Foyer des Arts, in England den (vergessenen) Monochrome Set, in USA (trotz ganz anderer Wurzeln) einigen Phasen von Frank Zappa. Der Humor. Cultural lunacy, wie ein amerikanisches Magazin bescheinigte. Botschaften, die an „The World's Address“ gehen, sich aber von der nächstbesten Häuserwand ablenken lassen: „When I was driving once I saw this painted on a bridge: 'I don't want the world, I just want your half.'“

Thomas Groß

THEY MIGHT BE GIANTS

Lincoln (Bar/None)