Virtuos und gewaltfrei

■ Achim Freyers Glass-Oper „Satyagraha“ in Stuttgart

Die Trilogie ist komplett: Nach Echnaton (1984), einem dunklen, von Mystik und altägyptischer Mythologie überfrachteten Ausstattungswerk, nachEinstein on the Beach (1988), einem sehr abtrakt und kühl ästhetizistischen Nach-Bauhaus-Spektakel nun als letzte der drei „Personen-Opern“ von Phil Glass die Neuinszenierung der Gandhi-Apotheose Satyagraha (etwa: „Gewaltloser Widerstand“).

Blättert man das alte Programmbuch von 1981 mit seinen Text - und Bilddokumenten zur Friedens- und Bürgerrechtsbewegung durch und vergleicht damit das mit Farb- und Worträtseln subtil verschlüsselte Echnaton-Buch, betrachtet man schließlich die jüngste Einstein-Inszenierung, wo der Mensch ganz von der Bühne verschwunden und zur Zweidimensionalität geschrumpft ist - seine Einzelteile werden von einem übermächtigen, doch gleichwohl faszinierenden System beherrscht -, so läßt sich parallel daran ablesen, was sich in den letzten Jahren alles getan hat.

Die Opernhandlung von Satyagraha reflektiert in Sanskrit (als „Überdach der Szene“) und mit Textauszügen aus der Bhagavad-Gita das Eintreten Mahatma Gandhis für die Inder im Südafrika der Jahrhundertwende. Gandhi selbst wird gleich dreifach von Leo Goeke, Ralf Harster und Helmut Danninger gespielt. Achim Freyer wollte bei der Uraufführung 1981 die Thematik als Spiegelbild auch unserer gegenwärtigen Situation verstanden wissen, sieht das Werk als einen mit Mitteln der Musik und des Bildes konzipierten Aufruf zu gewaltfreiem Widerstand an.

Daran hat er bei seiner jüngsten Inszenierung - wenn wieder sehr stilisiert und symbolisch verschlüsselt - festgehalten, auch wenn ins Schlußbild der Oper (Gandhi als Denkmal und Gott, seine Himmelfahrt, die sieben Sternenkreuze, aufsteigend) skeptisch - resignierende Momente eingeflochten sind: Schier endlos lang fließt der Blutstrom über die Bühne, Sterne fallen fortwährend vom Himmel (wir leben im Zeitalter der zurückfallenden Sterne), selbst ein Kind, mit den beiden Bleigewichten der Welt beladen, trägt schon die Totenmaske.

Überaus virtuos und einfallsreich verfährt Freyer wieder mit den Allegorien und Bildern des dreiaktigen Werks. Wie immer im Regie-Theater werden visuelle Ideen und inszenatorische Einfälle selbst thematisch und scheinen oft wichtiger als die Handlung, füllen auch die Lücken zwischen musikalischer Langeweile und textlichem Unverständnis.

Ein Environment im Stil des amerikanischen Pop-Artisten Edvard Kienholz ist gleich zu Beginn auf der Bühne ausgebreitet: Die alltägliche Neonwelt umgibt uns mit ihrer sublimen, auch offensichtlichen Gewalt und den schönen Überflüssigkeiten der Konsumgesellschaft. Ebenso überflüssig scheinen die Menschen. Eine Ausnahme bilden nur die Polizisten mit ihren stilisierten Prügelaktionen oder der Wächter vor der Gefängniszelle. Eine Savanne mit Riesenelefant, Berge, Palmen, der Swimmingpool und das glückliche Liebespaar, alles präsentiert wie ein Spielpuzzle, die neuzeitliche Allegorie für eine Familienidylle ohne Fernsehgerät, bilden gegen Ende des zweiten Aktes die ironisch gebrochene Paradiesvision.

Ein ernster zu nehmender Ausblick auf die neue Welt wird als Drehspiel mit popig angemalten großen Leitern dargestellt: der allgemeine Aufbruch der Satyagraha -Bewegung. Höhepunkt schließlich die Schreibübungen in der Schriftmalerwerkstatt, wo Zentralbegriffe wie Verantwortung, Einsicht und Vernunft überdimensional groß auf Bühnenleinwand gemalt, verändert, zusammengesetzt werden, unterstützt noch durch eine großräumige Video -Installation. In der Pause suchen Vögel im Flur unentwegt nach dem gelobten Land.

Die Musik habe ich längst vergessen - trotz ihrer von Christopher Keene (New York City Opera) einstudierten rhythmischen Präzision und gelegentlich sich überstürzenden Hektik. Nur soviel: Auch diesmal sind wieder reichlich viel und monoton genug Tonleiterübungen zu hören, stellenweise einstimmig - zwei Stufen auf und ab, damit hat sich's, dann und wann eine dezente Bitonalität, kaum rhythmische Vertracktheiten.

Kein Wunder, daß Steve Reich seinen erfolgreichen Mitstreiter aus den New Yorker „Kitchen„-Zeiten nicht mehr mag. Warten wir ab - um an dieser Stelle ein sonores Versprechen von Staatsrat Gönnenwein gleich an die geschätzte Leserschaft weiterzugeben -, was Steve Reich („I hate operas“) uns als Auftragsalternative 1991 in der Stuttgarter Staatsoper bieten wird. Für die Phil-Glass -Gemeinde gibt's bereits Mitte Juni nächsten Jahres einen Zyklus mit allen drei Opern gleich zweimal hintereinander, eine Ehre, die ansonsten nur längst verstorbenen Altmeistern zuteil wird. Diesmal hoffentlich dann auch mit Dennis Russel Davies, der Musik und Komponist in der Schwabenmetropole vor Jahren bekannt gemacht hatte.

Reinhold Urmetzer