Abrüstungsoffensive der Fußballprofis

Mit 6:3 gewinnt Werder Bremen gegen den VfB Stuttgart das Finale des Masters-Turnieres im Hallenfußball  ■  Aus Dortmund Christoph Biermann

Bei der Ouvertüre zum Masters '89 um den ARD-Cup, der zweiten inoffiziellen Deutschen Meisterschaft im Hallenfußball, liegt ein mildes Dösen über der Westfalenhalle. Die 7.000 Zuschauer scheinen sich am Freitag in einem Zustand leichter Narkose zu befinden, der dem vor dem Fernseher nicht unähnlich ist. Nur gelegentlich platzt ein „Aufhören, Aufhören„-Chorus oder Jubel über ein Tor von Borussia Dortmund heraus, dann wird es wieder still.

Diese merkwürdige, für Fußball so untypische Mildheit kommt von da unten, vom stumpfen, gelenkfeindlichen Poligras, auf dem die in vielen Bundesligaschlachten gestählten Profis Abrüstungsfußball spielen. Man hatte sich vorher zusammengesetzt, die Trainer, Spieler, Manager und Schiedsrichter, um die Maxime durchzusetzen: Es darf niemand durch seinen Gegenspieler verletzt werden. Das „In-den-Mann -Grätschen“, Grundbewaffnung in jedem Bundesligaspiel, sollte tabu sein.

Hübsche Idee eigentlich, vor allem wenn man daraus schließt, daß sich die Spieler sogleich dem schönen, technisch eleganten, verzaubernden Fußball zuwenden. Leider gefehlt, weil es diese Spieler kaum oder gar nicht gibt. So wird mit phantasieloser Erbarmungslosigkeit Tor um Tor reingeknallt, vom Hallensprecher schnarrend bejubelt als Höhepunkt der Glücksverkettung für jeden Fan: Technik, Tricks und Tore. Nur unterschlägt er das Fehlen der ersten beiden Glieder dieser Kette. Aber auch das geht im großen, milden Dösen unter.

Am Samstag mittag ist der Himmel wieder stahlblau, es ist trocken, die Luft ist klar, es weht ein angenehmer, frühlingshafter Wind - ideales Fußballwetter. Otto Rehhagel: „Vielleicht werden wir demnächst bei der Planung berücksichtigen, daß wir nicht mehr die Wetterlage von vor 30 Jahren haben.“ Die Halle ist fast ausverkauft, die Zuschauer sind wild entschlossen, ihren Spaß zu haben und heute mal nicht zu dösen.

Und in Dortmund funktioniert das im Zweifelsfall natürlich bestens über den Anti-Bayern-München-Konsens, zumal der FC Bayern gleich im ersten Spiel des Tages die lokale Borussia mit 5:1 aus dem Turnier schießt. So werden die weiteren Bayern-Auftritte von enthusiastischen Pfeifkonzerten begleitet, die Trainer Heynckes allerdings durchaus positiv zu werten weiß: „Das ist für uns eine Vorbereitung auf solche Hexenkessel wie in Mailand oder Madrid, gerade für die jungen Spieler.“

Von den Zuschauern angefeuert, greifen die Spieler manchmal wieder zu den gewohnten Mitteln, aber der Verdacht, daß hier ernsthaft eine Sportart betrieben würde, kommt eigentlich nicht auf. Nur gelegentlich schleicht sich das wirkliche Fußballeben ein. So erarbeiten sich die Münchner eine Art Konterspiel, basierend auf verstärkter Deckung und sporadisch eingewirkten Rückgaben zum Torwart. Auch Eintracht Frankfurt experimentiert mit diesem Konzept. Folgerichtig entscheiden beide Teams das Spiel um Platz 3 durch Achtmeterschießen. Das Gute siegt, Bayern wird Vierter.

Im Finale trifft das Team mit den schönsten Spielern (VfB Stuttgart) auf die Mannschaft mit den kleinsten Spielern (Werder Bremen). Die Schönen gewinnen aber nicht, weil die Kleinen viel besser spielen. In der ersten Halbzeit zeigt Werder sogar so etwas wie Hallen-Traumfußball. In dieser Viertelstunde kommt der ungeheuerliche Verdacht auf, daß Hallenfußball einen eigenen Reiz, eine eigene Ästhetik haben könnte, daß die Vorzüge dieser Betätigung nicht nur Hirngespinste winterbedingt einnahmeloser Bundesliga-Manager sind. Gut, der Verdacht währt nur 15 Minuten. Aber immerhin fünf Tore erzielt der SV Werder in diesem Abschnitt, und das, weil die Spieler perfekt kombinieren und immer in Bewegung sind. Fast wie sowjetische Eis-Sputniks zu großer Zeit, wo es auch immer aussah, als würden sie in Überzahl spielen.

Doch dann versinkt alles wieder. Die Zuschauer gehen schon vor Schluß, mit dem sicheren Gefühl, daß man ihnen auch im nächsten Jahr Gelegenheit geben wird, für eine Veranstaltung dieser Art Eintritt zu bezahlen. Weil die Vereine immer Geld brauchen und es immer eine Fernsehanstalt geben wird, die Bundesligaprofis beim Fußballspiel zeigen will. Und sei es in der Halle.