Reformkurs vor der Entscheidung

Jugoslawische Anarcho-Spaß-Gruppe nach polnischem und ungarischem Vorbild gegründet / Für heute ist eine Krisensitzung des ZK der jugoslawischen KP angesetzt / Mißtrauensantrag gegen Parteichef Stipe Suvar / Suvar spricht gegen den „Druck der Straße“  ■  Von Roland Hofwiler

Zum Wochenende gründete sich in Nordjugoslawien eine „Illegale Partei“, die AAAA, („akademisch geprägte anarchistische Antivereins-Allianz“). Diese Polit-Kunst -Formation will an die Happenings der polnischen „Orange Alternative“ und der ungarischen „Inconnu“ anknüpfen, die beide zum Spottgesang auf den „surrealen Sozialismus“ aufrufen. So heißt es denn auch in der Gründungserklärung der AAAA: „Es gibt in unserem Land eine große illegale Partei, den 'Bund der Kommunisten‘, den niemand gewählt und dem niemand eine Legitimation gegeben hat, also tun wir es ihnen gleich und gründen wir eine zweite illegale Partei, die AAAA.“ Man tue es in dem Bewußtsein, sagen die (noch) anonymen Spötter, sich gegebenenfalls in Bälde wieder aufzulösen, denn man hoffe doch, daß sich die KP selbst überwinde und zu Grabe trage. Denn sowenig wie man eine KP brauche, brauche man die AAAA. Aber, solange es eine KP gebe, sollte auch eine AAAA ihre Existenzberechtigung durchsetzen.

Dieses „Argument“ wurde in den ersten Reaktionen in den Führungsetagen der Partei nicht mit einem herzlichen Lacher aufgenommen, sondern mit bitterem Ernst. Vor allem aus dem serbischen Machtzentrum um Slobodan Milosevic drängen böse Worte in die Nordwestecke des Vielvölkerstaates: die slowenischen Genossen um Milan Kucan duldeten solche „Angriffe auf die sozialistische Arbeiterselbstverwaltung“ nicht nur, sondern ermutigten gar die „dekadente Jugend“, neue Parteien und Gruppierungen zu gründen, um damit die jugoslawische Verfassungsordnung zu zerstören. Nichts werde unternommen, um das Organ all dieser Bewegungen, die Wochenzeitschrift 'Mladina‘, zu zügeln. Die Redakteure gehörten hinter Gittern, fordert die Belgrader 'Nin‘ und ruft zum Boykott slowenischer Waren auf.

Doch nicht nur die slowenische Alternativbewegung ist Zielscheibe dogmatischer Parteikreise Südjugoslawiens. Der neue Buhmann heißt Stipe Suvar, ein Kroate und zur Zeit gesamtjugoslawischer Parteichef. Letzte Woche forderte das ZK der Wojwodina den Rücktritt Suvars, in der Geschichte der jugoslawischen Kommunisten ein einzigartiger Vorgang. Dieser Tage wurden im serbischen und montenegrinischen ZK ähnliche Stimmen laut. Der Vorwurf: Suvar hatte zahlreiche Massenaufmärsche unzufriedener Arbeiter, vor allem von Serben, die in Südjugoslawien im Laufe der letzten Monate zum Rücktritt zahlreicher Politiker führten, als „undemokratisch“ und von „Milosevic gelenkt“ bezeichnet. Suvar meinte, Jugoslawien sei ein „zivilisierter europäischer Staat“, der durch legale Institutionen und nicht durch „Druck der Straße“ regiert werden müsse. Schöne Worte, die an der Realität allerdings vorbeigehen. Denn die sogenannten Parteiinstitutionen bescherten der Arbeiterklasse in den letzten Jahren einen rapiden Fall des Lebensstandards, Arbeitslosenzahlen von über zwanzig Prozent und eine Inflation, die auf die 400-Prozent-Marke zusteuert. In dieser Situation spontane Massendemonstrationen als „Druck der Straße“ zu bezeichnen, gilt für die Betroffenen als eine Ohrfeige. Das jugoslawische Problem liegt aber darin, daß die Arbeiterdemonstrationen von einem extremen serbischen Nationalismus geprägt wurden, bei dem pauschal die „kroatisch-slowenische Völkerallianz“ - ein solches Wort wurde tatsächlich kreiert - als der wahre Schuldige entdeckt wurde, der den armen unterentwickelten Süden ausbeute. Andererseits reagierte man vor allem in Slowenien und eben auch im bunten Spektrum der Alternativbewegung mit Separatismuswünschen: Mit dem balkanischen Süden wolle man nichts zu tun haben, vor allem Serbien sei für seine Mißwirtschaft selbst verantwortliich. Die Suche nach neuen politischen Lösungen bis hin zum Mehrparteiensystem, die man im Norden gefunden habe, sei der „demokratische Konsens“, der auch soziale Unruhen, anders als im Süden, verhindere. Eine Aussage mit der die slowenischen Kommunisten und Suvar prahlen, die aber für den zahlenmäßig größeren Parteiflügel um Milosevic „an der gesamtjugoslawischen Realität“ vorbeigehe, den „sozialen Frieden durch dekadente Freiheiten, wie neue Parteigründungen“ zu gewähren, habe mit einem „demokratischen Sozialismus“ nichts gemein. Am heutigen Montag muß sich nun Suvar auf der 20.Plenartagung dem Mißtrauensantrag seiner südjugoslawischen Genossen stellen. Mit Spannung wird erwartet, ob sich die jugoslawische KP ein neues Aktionsprogramm geben wird, einen Konsenz zwischen dem „Milosevic-Weg“ und dem „slowenischen Frühling“, wie die Presse die beiden Pole der Parteiströmungen benennt, oder ob Suvar fällt. Sollte Suvar fallen, so wird das Auswirkungen auf den Regierungsstil des neuen Premier Markovic haben, der am Wochenende in einer aufsehenerregenden Rede von notwendigen Erneuerungen, vom politischen Pluralismus und größtmöglicher Demokratie sprach. Wenn Suvar abgesetzt wird, muß ein Sonderparteitag einberufen werden.