„Denn sie tun nicht, was sie wissen“

„Ist die technisch-wissenschaftliche Zukunft demokratisch beherrschbar?“ / Wochenendkongreß der Heinrich-Böll-Stiftung in Frankfurt mit dringlichen Fragestellungen / Die dunklen Zukunftsszenarien konnten auch in zweitägiger Diskussion nicht aufgehellt werden  ■  Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Knapp zwei Tage lang schlugen sich zwei Dutzend ReferentInnen und mehrere hundert interessierte ZuhörerInnen mit der Frage herum, ob eine demokratische Kontrolle des technisch-wissenschaftlichen Komplexes, eine „gesellschaftliche Intervention“ überhaupt möglich sei und wie sie aussehen könnte. Daß das Thema des Frankfurter Kongresses der Heinrich-Böll-Stiftung vom vergangenen Wochenende ebenso dringlich wie ehrgeizig war, zeigten schon die ersten Referate zu „Fallstudien der Risikopotentiale am Ende dieses Jahrhunderts“: Den mehr oder minder bekannten Katastrophenszenarien auf den Gebieten der Atom-, Chemie und Gentechnologie wurden die kaum weniger bekannten Forderungen nach forschungspolitischer Transparenz, kritischer Diskussion und demokratischen Entscheidungsprozessen gegenübergestellt. Die Wirklichkeitsnähe der Fallstudien selbst ließ die Alternativen - etwa ein „soziales Containment“ (Regine Kollek) als Eindämmung der rasanten Entwicklung der Gentechnologie oder den Vorschlag einer ökologischen Umsteuerung der Chemieindustrie - allerdings recht blaß erscheinen.

Ein Referat der Psychoanalytikerinnen Rohde-Dachser und Meyer-zur Capellen rettete für eine Stunde aus solcher Unsicherheit. Sie entwarfen das Bild des modernen Menschen als „Prothesengott“, dessen Janusköpfigkeit von Ohnmacht und Allmacht in der spezifisch männlichen Figur des „pathologischen Größenselbst“ seinen verderblichen Omnipotenzwahn entfalte. Schutzsuchend und machtbesessen vergreife sich der männliche Prothesengott an Mutter Natur und schaffe dadurch selbst jenen „psychotischen Kosmos“, in dem es keinen sicheren Ort und keine Zukunft mehr gebe, sondern nur noch Apathie, Sinnestäuschung und Fühllosigkeit.

Eine Stunde später herrschte wieder Chaos. Zwanzig Autonome erhoben laustark Protest gegen die Teilnahme von Professor Gassen, Genforscher der TH Darmstadt, an der Podiumsdiskussion zum Thema „Ist Technik Schicksal?“. Eine Stunde lang verhinderten sie den „Dialog mit den Herrschenden“, dem sie ihren „Kampf gegen die Logik von Auslese und Verwertung“ auf Transparenten entgegensetzten. Ein rasch verlesener Beitrag der militanten GegnerInnen der Gentechnologie vergrößerte noch das geistig-moralische Chaos: Die meisten Argumente ähnelten dem Tenor des zuvor gehaltenen Referats der Gießener Soziologin Beck-Gernsheim, die die Gefahren der „pränatalen Diagnose“ erläutert hatte.

Allmähliche Ermüdung der Kombattanten und die Intervention von Ulrich Preuß ließen die „Zornigen Viren“ von dannen ziehen. In der anschließenden Diskussion bis kurz vor Mitternacht erwies sich der Gentechniker Gassen, der eng mit industriellen Großforschungseinrichtungen kooperiert, als schlechter PR-Mann. Mit salopper Wurschtigkeit - „Beweisen Sie mir erst mal, daß das gefährlich ist!“ - und dumpfer Anbiederei versuchte er vergeblich, seinen Abgrund an reflexivem Unvermögen zu kaschieren. Der Bremer Rechtsprofessor Ulrich Preuß entwickelte dagegen die Notwendigkeit eines „neuen Gesellschaftsvertrages“, mit dem das Reflexionsvermögen der Gesellschaft instand gesetzt würde, aus „Metapräferenzen“ Handlungspräferenzen zu machen: zu tun, was als richtig und drängend erkannt worden ist. Da gleichzeitig noch viel zu wenig „erkannt“ worden sei, müsse die Idee von Moratorien geprüft werden, um der technologischen „Bastelei an der Gesellschaft“ (Thomas Kluge) mehr als Kongresse und Alternativgutachten entgegenzuhalten. Sie könnten dann auch Orte für „Abrüstungsdiskussionen“ sein, bei denen über Gesellschaftsentwürfe und ihre technologischen Risikopotentiale gestritten werden müßte, meinte der Grüne Koenigs.

Doch alle Überlegungen, wie über eine hilflose, weil anachronistische individuelle Ethik hinaus demokratische Entscheidungen über die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Gesellschaft zu organisieren seien, prallten an der diagnostizierten Komplexität des Gegenstandes ab. Wenn selbst die kritischen Sozialwissenschaften, wie Professor Egon Becker bemerkte, nicht mehr in den technologischen Kernbereich der gesellschaftlichen Reproduktion vorstoßen, sondern sich der postmodernen Kulturkritik widmen, dann seien Reflexions- und Entscheidungskompetenz der BürgerInnen insgesamt schier hoffnungslos unterentwickelt. Das Festhalten an der Vorstellung des autonomen Subjekts, so Becker, lasse nur noch den Blick „von außen“ zu, der ohne Eingriffsmöglichkeiten bleibe. Die Ratlosigkeit angesichts dieser scheinbar hermetischen „Risikogesellschaft“, in der „Großgefahren“ zur Normalität werden, für die niemand mehr „verantwortlich gemacht werden kann“, war allgemein. Doch neben Forderungen nach einer „Reorganisation der Beweislast“, einem neuen Haftungsrecht, einer Umweltsteuer, unabhängigen Forschungskapazitäten und einem „parteiübergreifenden Diskurs“ gab es einen optimistischen Ausblick den Professor Ulrich Beck artikulierte: „Die schlimmsten Gegner der Atomkraftwerke sind die Atomkraftwerke selber“, sagte er und verwies damit auf eine kritische Eigendynamik aller Großtechnologien, die stets an die Grenze ihrer eigenen Versprechungen gerieten. Joschka Fischer plädierte zum Schluß des Kongresses dafür, diese auch ökonomische - Erkenntnis schon in den „Unternehmenszielen“ zu verankern.