Siemens-Kisten für Rabta zerbröselt

Neuer Beleg für deutsche Lieferung an C-Waffenfabrik in Libyen / Siemens AG kann die „nach Hongkong gelieferte“ Computeranlage nicht mehr finden / Außenpolitischer Konflikt mit den USA verschärft sich  ■  Von Bornhöft und Zumach

Berlin/München (taz/dpa) - Einen neuen Beleg für deutsche Firmenbeteiligung am Aufbau der mutmaßlichen C-Waffenfabrik in Libyen lieferte jetzt die Siemens AG. Ihre an die Bochumer Imhausen-Firmentochter verkauften Elektronikteile zur Steuerung einer Chemiefabrik sind nicht am vermeintlichen Bestimmungsort Hongkong angekommen, sondern „spurlos verschwunden“. Dies teilte der Konzern am Wochenende mit, nachdem Mitarbeiter in Hongkong auf dem Gelände des Tarnprojektes „Pharma 150“ vergeblich nach der Anlage gesucht hatten.

In Luft aufgelöst haben sich demnach dreizehn, jeweils zwei Meter hohe Kisten mit einem Gewicht von 9.165 Kilogramm. Inhalt: ein komplettes, mikroprozessorgesteuertes Datenerfassungs- und Überwachungssystem, das laut Siemens universell einsetzbar ist. 1986 erhielt Siemens den 3 -Millionen-Auftrag, lieferte aber nicht nach Hongkong, sondern direkt an den Auftraggeber, die „Gesellschaft für Automation“ in Bochum (GfA), die zur Imhausen-Chemie in Lahr gehört.

Mit der Verschiffung der Kisten beauftragte die GfA offenbar die belgische Firma Cross Link, ein Unternehmen des verhafteten Spediteurs Jozef Gedopt, der die Frachtpapiere fälschte. Ziel des Frachters „Roubini“ war nicht Hongkong, sondern Tripolis. In Hongkong angekommen und in Imhausens Tarn-Chemieunternehmen „Pharma 150“ installiert, ist laut Siemens nur eine zweite, kleinere Anlage aus dem Jahre 1988. Unschuldig, ahnungslos und beleidigt geben sich nun die Kollaborateure aus der Münchner Konzernzentrale. Offensichtlich sei man „jemandem aufgesessen“, sagte Sprecher Horst Siebert. Vorstandssprecher Karl-Heinz Kaske erzählte im ZDF etwas von „Verdachtmomenten, daß Versandadressen außerhalb der Bundesrepublik umgetauscht und Sendungen umdisponiert wurden, die nicht mehr in unserer Kontrolle liegen.“ Kein Wort indes fiel den Herren dazu ein, daß sie noch in der vergangenen Woche sämtliche Medienberichte über ihren Part in der Libyen-Connection hartnäckig leugneten.

Das Verhalten bundesdeutscher Firmen und der Bundesregierung in der Libyen-Affäre beherrschte auch die Diskussion der Wehrkundetagung in München. Der republikanische US-Senator McCain löste Unruhe aus als er sagte, es werde immer offensichtlicher, „daß die Bundesregierung etwas abgestritten hat, von dem sie lange wußte, daß es wahr ist“. McCain bezweifelte, daß Kohl „und vor allem Bundesaußenminister Genscher“ erst bei ihrem Besuch in Washington am 16.November 1988 entscheidende Informationen über den Charakter der Anlage in Rabta erhalten hätten. Den von Verteidigungsminister Scholz in München zitierten damaligen „Schock“ von Kohl und Genscher würdigte McCain als „nicht glaubhaft“. Der SPD -Bundestagsabgeordnete Bahr meinte, daß Kanzler und Außenminister sehr wohl „geschockt“ gewesen seien. Er sagt, die Bundesregierung werde alles notwendige tun, Pannen künftig zu verhindern.

Unterdessen bemüht sich Genscher weltweit, politisch wieder in die Offensive zu kommen. Seinem US-Kollegen James Baker schlug er schriftlich vor, gemeinsam über die Verhinderung einer C-Waffenproduktion in Rabta zu beraten. In einem weiteren Brief an den (spanischen) Vorsitzenden des EG -Ministerrats regte Genscher eine Initiative zur Verhinderung der Verbreitung von C-Waffen an.