Essentials? Kein Problem!

Hilde Schramm, für die AL im Berliner Abgeordnetenhaus  ■ I N T E R V I E W

taz: Freust du dich über das Wahlergebnis?

Hilde Schramm: Ja. Und ich war verblüfft, wie sehr sich doch alle klugen Menschen dieser Stadt täuschen können.

Die AL hat der SPD vor der Wahl eine Zusammenarbeit angeboten. Damals hat an ein solches Ergebnis niemand geglaubt. Und nun?

Dieses Angebot geht ja auf einen eineinhalb Jahre alten Prozeß der AL zurück. Ich bin oft etwas ungehalten, weil gerade die Medien diese Entwicklung nicht sehen wollten, und uns immer wieder vorwerfen, das sei alles sei nur taktisch gemeint. In der AL gibt es sicherlich Leute, die meinten, daß der Schwur nicht stattfinden müsse. Aber insgesamt besteht schon lange die Tendenz, daß diese Angbote nicht taktisch, sondern ernst gemeint sind. Auch auf der ersten gemeinsamen Sitzung von alter und neuer Fraktion plus AL -Vorstand war der Konsens überraschend groß.

Und wie sah der aus?

Wir wollen verhindern, daß in Berlin eine Große Koalition eingerichtet wird. Das heißt umgekehrt: Wir sind ernsthaft bereit, mit der SPD zusammenzuarbeiten.

Wie geht die AL nun konkret mit dieser Herausforderung um?

Wir haben uns bereits um einen Termin mit dem SPD -Vorsitzenden Momper bemüht. Wir wollen darlegen, daß die drei Essentials, die er genannt hat, aus unserer Sicht aufklärbar sind, bis auf einen kleinen Rest. Alle Gruppen dieser Stadt wollen wir anregen, AL- und SPD-Leute ganz schnell einzuladen, um öffentlich über Differenzen und Gemeinsamkeiten zu diskutieren.

Zu den drei Essentials, die laut Momper gegen eine Zusammenarbeit mit der AL sprechen: Momper nannte die Gewaltfrage, die Allierten und die Übernahme von Bundesgesetzen in Berlin.

Ich hatte den Eindruck, daß Herr Momper unsere Positionen gar nicht richtig kennt, und wollte ihm eigentlich unser Programm noch öffentlich überreichen. Entweder er hat es nicht gelesen, oder er will es nicht zur Kenntnis nehmen, damit er diese drei Essentials als Vorwand benutzen kann. Zur Gewaltfrage: Wir wollen ganz eindeutig alle Möglichkeiten nutzen, um die Spirale von Gewalt und Gegengewalt in der Stadt zu durchbrechen. Dazu gehört für uns vorrangig der Abbau staatlicher Gewalt. Zu den Allierten: Wir wollen, daß die militärische Präsenz der Allierten bis auf einen symbolischen Rest abgebaut wird. Die Ansicht teilen übrigens fast alle SPDler, die hier Friedenspolitik machen. Und laut Umfragen möchten 55 Prozent der Bevölkerung, daß die allierten Truppen hier reduziert werden könnten. Wir sitzen mit unserer Position also nicht in einer abwegigen Ecke. Zur Übernahme von Bundesgesetzen in Berlin: Bundesgesetze, die die Stadt aufgrund ihrer besonderen Lage in einer speziellen Weise tangieren, wollen wir ablehnen. Das heißt sicherlich nicht, daß wir, etwa in der Rentenfrage, Rituale des Gegenstimmens praktizieren. Grundsätzlich wollen wir mehr Bereiche in Landeskompetenz regeln, wie z.B. die Mieten. Auch die SPD fordert ja ein Landesmietengesetz. Das ist genau der Weg, den wir meinen.

Was heißt das für das weitere Vorgehen? Sind die drei Essentials für die AL Marginalien?

Wir wollen diese Punkte nach hinten rücken, weil wir denken, daß das keine ernsthaften Hindernisse sein müssen. Wir werden dafür Inhalte in den Vordergrund rücken: Bessere Sozialpolitik, Entgiftung von Wasser, Luft und Boden, Festschreibung von Mietgrenzen, Demokratisierung der Hochschulen, und wir fordern nach wie vor die Abschaffung des Berliner Verfassungsschutzes und Abrüstung der Polizei.

Ungeklärt ist in der AL sicherlich die Form der Zusammenarbeit.

Das muß man sehen. Auch da gibt es jedoch weitgehend den Konsens, daß die Inhalte vorangig sind und danach über die Form entschieden wird.

Interview: Ursel Sieber