CDU hofft auf große Koalition

Eine „bittere Niederlage, die unsere Partei völlig unvorbereitet“ getroffen hat. Mit diesem Fazit traten gestern CDU-Chef Kohl und sein Berliner Verlierer Diepgen vor die Bonner Presse. Der CDU, so erstes Ergebnis der Ursachenforschung, habe die Sensibilität gefehlt, die aus einer Fülle von Problemen gespeiste Stimmung zu erkennen und darauf zu reagieren. Diepgen lokalisierte eine „Mischung aus Angst, Fremdenfeindlichkeit und Sozialpolitik“ zuungunsten der CDU.

Hinter verschlossenen Türen hatte die Parteiführung im Adenauer-Haus getagt. Daß es wohl herbe Differenzen gab, belegt die kurzfristige Verschiebung der Pressekonferenz, der sich dann noch einmal eine zwanzigminütige Wartepause anschloß. Klartext hatten vorab schon die CDU-Rechten Todenhöfer und Czaja gesprochen: CDU-Generalsekretär Geißler „mit seiner bundesweiten Öffnung nach links“ sei schuld an den verheerenden Wahlniederlagen der CDU. Er habe eine regelrechte „Geißler-Schneise“ zuungunsten der CDU durch die BRD geschlagen, sagte Todenhöfer und forderte wie Czaja dessen Ablösung. Kohl wollte dazu keine Stellung nehmen.

Das Konzept einer liberalen Metropolenpartei für Berlin sei mit der Niederlage keineswegs gescheitert, beteuerte dagegen Diepgen auf Nachfrage. Er schloß für seine Partei eine Zusammenarbeit mit Republikanern und Alternativer Liste gleichermaßen aus; mit der SPD werde er Gespräche führen. Die CDU sei die stärkste politische Kraft im Abgeordnetenhaus und „normal wäre, wenn diese Kraft den Spitzenmann stellt, antwortete er auf Fragen, ob er in einer großen Koalition Regierender Bürgermeister bleiben wolle. Er klebe jedoch nicht an seinem Sessel; es ginge um die Interessen der Stadt, nicht um Parteiinteressen.

Die Ausländerfrage stehe nach der „Denkzettelwahl“ mit „neuer Dringlichkeit auf der Tagesordnung“, erklärte Kohl, der Berliner und Bonner Themen gleichermaßen für die Niederlage verantwortlich machte. Es sei „unübersehbar“, daß auf dem Wohnungsmarkt für sozial schwächere Bevölkerungskreisen Probleme entstanden seien. Die CDU müsse überlegen, wie den Ängsten entgegengewirkt werden könne, die in der Ausländerfrage und dem Zuzug von Aussiedlern entstanden seien. Hinzu komme die „gewaltige Demagogie“ in der Frage der Gesundheitsreform. Der Bereich der Inneren Sicherheit müsse überdacht, die Sorgen der Studenten an den Hochschulen gelöst werden.

Es werde keine Zusammenarbeit mit den Republikanern geben, allerdings müsse sich die CDU „um diese Wähler kümmern“ und sie „zurückholen“. Ob dies durch eine stärkere nationalkonservative Betonung geschehen soll, ließ Kohl offen. Es sei bekannt, daß „konservative Wähler“ in der CDU ihre Heimat finden , meinte Kohl lediglich. Mit einer „Angstkampagne“ könnte das Problem der Fremdenfeindlichkeit nicht gelöst werden. Zu den Ängsten gegenüber Aussiedlern erklärte Kohl: „Wer Ja sagt zu Deutschland, muß auch Deutsche aufnehmen.“

Gerd Nowakowski