„Schutzforschung“ in der Grauzone

Kleinmengenexport biologischer Kampfstoffe zu „Forschungszwecken“ erlaubt / Auffällige Zahl von Klein-Lieferungen an einen Adressaten kann angeblich gestoppt werden / Degussa bestätigt Berylliumexport  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Export von kleinen Mengen biologischer Kampfstoffe zu sogenannten Forschungszwecken ist in der Bundesrepublik erlaubt und unterliegt keiner Genehmigungspflicht. Regierungssprecher Ost bestätigte gestern im wesentlichen die Veröffentlichung des 'Spiegel‘ über den niedersächsichen Kaufmann Josef Kühn, der eine Lieferung von 200 Milligramm Mykotoxinen (Pilzgifte) an den Irak vermittelte. Ost betonte, daß diese Ausfuhr weder eine Ordnungswidrigkeit noch eine Straftat nach dem Außenwirtschaftsgesetz sei. Es habe bei Kühn „kein strafrechtlich relevantes Verhalten“ gegeben.

Das für Genehmigungen zuständige Bundesamt für Wirtschaft hat dazu erklärt, eine Genehmigung sei für derartige Mengen, die dem Irak immerhin 60.000 Mark wert waren, nicht erforderlich. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums ergänzte: „Fachleute sind sich einig, daß derartige Mengen für nicht-friedliche Zwecke nicht geeignet sind.“ Jedoch konnte er den Mengen-Begriff nicht präzisieren. Der Sprecher berief sich nur auf den Wortlaut der internationalen B -Waffen-Konvention von 1972, die die Herstellung biologischer Kampfstoffe verbietet, aber die Grauzone sogenannter Schutzforschung zuläßt.

Mit diesen amtlichen Stellungnahmen wird eine Fülle brisanter Fragen aufgerissen: Wenn der Bio-Export in kleinen Mengen nicht genehmigungspflichtig ist, kommt er den Behörden gar nicht zu Kenntnis. Trotzdem besteht angeblich die Möglichkeit, Exporte zu stoppen, wenn eine gehäufte Anzahl von Klein-Lieferungen an den gleichen Adressaten getätigt wird. So behauptete es gestern jedenfalls das Wirtschaftsministerium, um sogleich anzufügen, dieser Fall sei noch nie eingetreten. In neuem Licht muß nun auch der seit einigen Wochen in Bonn kursierende Verdacht gesehen werden, ehemalige Bundeswehr-Angehörige transferierten B -Waffen-Know-how in arabische Länder. Was überhaupt unter dem Etikett „Schutzforschung“ mit Geldern aus dem Verteidigungsministerium getrieben wird, versuchen die Grünen schon seit längerem vergeblich von der Bundesregierung zu erfahren.

Zum zweiten Fall auf der Liste jüngster Exportskandale zeigte sich gestern zwar nicht die Bundesregierung, dafür der Frankfurter Konzern Degussa auskunftsfreudig: Die Degussa bestätigte, daß sie 1984 insgesamt 95 Kilo Beryllium nach Indien exportierte.

Beryllium dient als Neutronen-Reflektor in Atombomben. Die Degussa berief sich darauf, daß der Export vom Bundesamt für Wirtschaft genehmigt wurde und Indien schriftlich erklärt hätte, das Material werde in der Werkstoff-Entwicklung verwandt. Es sei ausdrücklich versichert worden, daß eine militärische Verwendung nicht beabsichtigt sei. Schriftlich sei dargelegt worden, das Material solle für die Werkstoffentwicklung verwendet werden. Dem US-Blatt 'Nucleonics Week‘ zufolge geht allerdings aus Dokumenten hervor, daß gerade zu jenem Zeitpunkt das indische Atomwaffenprogramm intensiviert wurde und bundesdeutsche Stellen davon Kenntnis hatten. Weder das Auswärtige Amt noch das Wirtschaftsministerium wollten gestern dazu Stellung nehmen, daß ein Großteil dieses Berylliums aus den USA stammen soll und für seinen Weiterexport eine US-Genehmigung erforderlich gewesen wäre.