Die Krise in Belgrad: Milosevic blitzt ab

■ Serbischer Antrag auf Abwahl des jugoslawischen Parteichefs Stipe Suvar im ZK-Plenum des Bundes der Kommunisten ist gescheitert

Belgrad (ap/dpa/taz) - Die Sitzung begann mit einer Niederlage der Milosevic-Anhänger: Mit großer Mehrheit lehnte das Zentralkomitee des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens gestern in Belgrad den Vorschlag des serbischen Parteiführers ab, noch vor der Ansprache des jugoslawischen KP-Chefs Stipe Suvar über dessen Rücktritt zu befinden. Damit war vorgezeichnet, daß der Großangriff auf die Bastionen der jugoslawischen Gesamtpartei, zu dem der Serbe Milosevic anläßlich der lang erwarteten ZK-Sitzung geblasen hatte, zum Scheitern verurteilt ist. Milosevic war unter anderem durch seine nationalistischen Kampagnen gegen die Kosovo-Albaner vor allem in Kroatien und Slowenien in Mißkredit geraten war. In diesen nördlichen Republiken wuchs in der Öffentlichkeit die Befürchtung, daß eine Machtübernahme von Milosevic im Bundesstaat das Ende der Reformbestrebungen in der Wirtschaft, im Staate und in der Gesellschaft bedeutete.

So war es keine Überraschung, daß der von serbischer Seite zur Abwahl frei gegebene Parteichef des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, der Kroate Stipe Suvar, in seiner Eröffnungsrede den serbischen Parteichef hart anging. Suvar sieht die Kommunisten Jugoslawiens am Scheideweg. Es gehe jetzt um die Alternativen „sozialistischer politischer Pluralismus oder Neostalinismus“ und um einen „grundsätzlichen Streit zwischen reformfeindlichen und reformfreundlichen Kräften“. Jetzt sei die politische Vielfalt für „einen Wettbewerb der Ideen “ angesagt, und nicht die „Diktatur einer kommunistischen Partei“ mit dogmatischen und bürokratischen Methoden bei der Verwaltung des Landes. „Die reformfeindlichen Kräfte geben zwar vor, einen offenen Sozialismus zu unterstützen“, in Wahrheit aber seien sie gegen jeglichen Wettbewerb. Sie leisteten „Lippenbekenntnisse“ für offene Märkte und eine Umgestaltung der Wirtschaft. In Wirklichkeit aber stützten sie die alten unrentabel gewordenen Betriebe und subventionierten mit Riesenverlusten die alten Fabriken. Dieser dogmatische Flügel strebe eine „zentralistische, bürokratische und in sich gekehrte Partei an“, erklärte der Parteichef. Die Partei solle sich jedoch endlich den Fortsetzung auf Seite 6

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großen Problemen des Landes zuwenden, wie der Inflation und der „gegenwärtigen Streikwelle“, statt sich in Flügelkämpfen zu ergehen. Das politische Leben sei „vergiftet von Leidenschaften und Nationalitätenstreit“, von Rivalitäten zwischen den Republiken und Provinzen, von seperatistischen Tendenzen und der Handlungsunfähigkeit der Partei.

Der slowenische Parteichef Milan Kucan lehnte in seiner Rede alle „außerordentlichen Maßnahmen“ ab und setzte sich für die Beibehaltung der Selbständigkeit der acht Landesteile ein.

Nach den massiven Angriffen auf

Serbien wurde mit einer harten Rede des serbischen Parteichefs Slobodan Milosevic am Abend gerechnet. Doch auch eine dritte Kraft meldete sich während der ZK-Sitzung zu Wort, die sich bisher in der Öffentlichkeit zurückgehalten hatte: die Armee.

Admiral Peter Samtic, der nach Suvar sprach, rief zur Einheit innerhalb der Partei auf und deutete an, daß die „Armee eine aktivere Rolle“ spielen werde, wenn es darum gehe, der Auseinandersetzung zwischen den Republiken ein Ende zu machen. Die Lage im Land treibe rasch einem Krisenpunkt zu, das politische System sei in Auflösung begriffen, und die Opposition gegen die bestehende Gesellschaftsordnung sei „offen auf die politische Szene getreten“.

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