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Unter uns Zensuropfern

■ „Literatur unter Druck“. Podium mit Wende-und Repressions-Betroffenen Goessner (Autor), Wegener (WK-Redakteur) und Timm (Schriftsteller)

Richtig schön gruselig konnt einer werden im gediegenen Saal über der Sparkasse in der Stadtwaage. „Der staatliche Zensurwind bläst uns ins Gesicht. Der staatliche Druck auf die Gedanken nimmt zu“, formulierte Moderatorin Irmela Körner vorneweg, worin sich organisierendes Literaturkontor und die Herren des Podiums fraglos einig waren. Die Herren sollten ihre Erfahrungen als Betroffene schildern, der Abend, so Irmela Körner, der Abhilfe gegen „die schleichenden Prozesse vorauseilenden Gehorsams“ dienen.

Rolf Goessner, mit Uwe Herzog Autor der polizeikritischen Bücher Der Apparat, Im Schatten des Rechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt(1988) berichtete als „Opfer der von uns recherchierten Zustände“: BKA-Herold ließ unautorisierte Zitate schwärzen; bei einem Verfahren, das ein von Goessner/Herzog belasteter leitender Kriminalpolizist angestrengt hatte, starben auf rätsel

hafte Weise vier Belastungs zeugen, endete das Verfahren mit 25.000 Mark Kosten und Schwärzungen im Buch.

Goessner schloß daran Thesen über eine Mitte der 80er Jahre beginnende „umfassende Staatsschutzoffensive“, über Sicherheitsgesetze, die „den Verfassungsbruch praktisch zum Gesetz erheben“ und die Entstehung einer neuen Geheimpolizei. Außer mit der eigenen Erfahrung belegte er dies mit den Auswirkungen der §§ 129a (Bildung einer Kriminellen Vereinigung, seit 1976) und 130a (Volksverhetzung z.B. durch Verfassen und Dokumentieren von Schriften, in denen wiederum dritte Bösewichter den öffentlichen Frieden bedrohen, ins STGB 1986 eingefügt). Beide Paragraphen werden praktisch kaum, und wenn, oft liberal angewandt, und Goessner weiß das. Er verlagert deshalb seine These von der neuen Staatsschutzoffensive in ihre angenommene Auswirkung, die

„Schere im Kopf“.

Konsequenterweise leitete Irmela Körner zum nächsten Betroffenen, Heiko Wegener, politischer Redakteur des Weser-Kurier, eingesprungen für Eckart Spoo), mit der Frage über, ob er sich denn ständig mit einem Bein im Gefängnis wähne. „Keineswegs.“ Wegner leidet nicht unter Paranoia sondern dem Sachzwang: d.h. der Hektik, der Verdrängung von Interviews und Hintergrundinformationen durch Anzeigen und Agenturberichte. Ansonsten ermögliche die Konzentration die gezielte, abgesprochene Entpolitisierung der Tageszeitungen: Kritische Themen klein, Human Touch groß. Wegener empfahl dagegen neben der gewerkschaftlichen Stärkung, gute Journalistenausbildung und das Radikalwerden, „hoffentlich ist hier kein Staatsschützer“, also: das Radikal-demokratisch-Werden der Journalisten.

Als dritter Betroffener sprach der Schriftsteller Uwe Timm (Mo

renga, der Mann auf dem Hochrad). „Woran liegt das“, fragte er nach einem lebhaften Bericht über Zensur in den Siebzigern, „daß in letzter Zeit relativ wenig passiert?“ Wie bei Goessner liegt es nicht am Abnehmen der Repression sondern an deren Sublimierung. So sublim wie aber systematisch werde seit 1975 in den Medien verbreitet, der Stoff sei nichts, die Form sei alles, Graf Lambsdorff besetze auf einmal Begriffe wie den Kapitalismus positiv, so daß Timm ihn nicht mehr benutzen kann, die Literaturpreisvergabe werde durch Juries so gesteuert, daß so gesellschaftkritische Schriftsteller seit 10 Jahren keine Preis mehr kriegten (Timms Bremer Förderpreis wurde vor genau zehn Jahren vergeben, U.S.), die Lesegewohnheiten der Linken seien total „verrottet“. „Klar, was man heute lesen will, das ist eben diese esoterische Scheiße. Wenn man dran leckt, schmeckt's süß.“

Uta Stolle

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