Europa fürs Kapital?

■ Gewerkschafts-Gelächter für Europa-Euphorie Bremer Mann in Straßburg diskutierte mit ÖTV

Zurückversetzt in die Zeiten des deutschen Zollvereins von 1833/34 fühlte sich ein Gewerkschaftsmitglied auf einer internen Informationsveranstaltung „Öffnung des EG -Binnemarktes 92“, zu der die ÖTV-Bezirksverwaltung Weser -Ems und die Deutsche Postgewerkschaft eingeladen hatten. Damals wie heute, so die Mehrheit der etwa 60 Diskussions -Teilnehmer, stünden eindeutig Kapital-Interessen im Vordergrund größerer Märkte, ungesichert seien dagegen die Einflußmöglichkeiten der Gewerkschaften und unklar die Vorteile für die Arbeitnehmer. Von europäischer Euphorie war wenig zu spüren im Bremen-Saal des Hotels zur Post.

Die Referenten der Veranstaltung, Hans Peters aus Dortmund und Thomas von der Vring, SPD-Politiker aus Bremen, beide Mitglieder des Europa-Parlaments in Straßburg, warben dagegen entschieden für die Europa-Wahl im Juni dieses Jahres.

Ob man für oder gegen die EG sei, steht für die beiden Europa-Abgeordneten nicht mehr zur Debatte. Von der Vring: „Die Verträge stehen fest, wirtschaftlich profitiert die Bundesrepublik seit langem vom gesamteuropäischen Markt.“ Ziel beider Parlamentarier ist ein europäischer Sozialstaat, der „das Kapital in seine Schranken weist.“

Peters, seit 1979 in Straßburg, sieht als Lösung eine „europäische Gemeinschafts-Charta für soziale Grundrechte“, die einklagbare Rechte für Arbeitnehmer, zum Beispiel Kündigungsschutz und Streikrechte, beinhaltet und einen Dialog der Sozialpartner über Tarifordnung und Grundansprüche festschreibt.

Von der Vring sprach von Chancen eines wirtschaftlichen Aufschwungs, von Wachstumszahlen zwischen 4,5 und 7% und zusätzlichen 1,8 bis 5,7 Millionen neuen Arbeitsplätzen, wenn die Grenzen erst einmal fallen.

Diese Prognosen riefen bei den Zuhörern nur höhnisches Gelächter hervor. Der Referent ließ sich jedoch nicht beirren und prognostizierte sinkende Arbeitslosenzahlen eine richtige, „sozialdemokratische“ Ausgabenpolitik vorausgesetzt.

Bei aller Angleichung sind nationale Alleingänge noch immer möglich. Der Parlamentarier wies auf eine Vorschrift der „Einheitlichen Akte“ hin, nach der die weitgehenden Standards und Normen beim Verbraucher-und Umweltschutz einiger Länder, zum Beispiel der Bundesrepublik und Dänemarks, nach wie vor zulässig sind. Diese Sondervorschriften werden von der EG-Kommission und vom Europäischen Gerichtshof auf versteckte Begünstigungen für nationale Produkte hin kontrolliert.

Bei allem Optimismus, ohne den nach Peters sowieso keine Gewerkschaftspolitik zu machen sei, klang bei beiden Referenten auch eine gewisse Portion Hilflosigkeit dem Konstrukt Europa gegenüber an. Von einer „Gesetzesmaschine“, die in ungeahntem Tempo Vorschriften produziere, deren Inhalte kaum zu kontrollieren oder gar zu beeinflussen seien, sprach von der Vring, und Peters wies auf die geringen Einflußmöglichkeiten des deutschen Gewerkschaftsbüros in Brüssel hin, dessen Mannschaft demnächst von 7 auf 20 aufgestockt wird.

wib