LESBARE FOTOGRAFIE

■ Der Fotograf Ron O'Donnell in der Raab-Galerie

Freud ist tot, Dali ist tot und wir haben gelernt, wie sich in Szene gesetzte Träume in südlichen Landschaften ausnehmen. Wir haben, zügelhaltend, die Sporen fest ins Kissen schlagend, die damit einhergehende Verunsicherung in pappiges Psychologendeutsch übersetzt. Der schottische Fotograf Ron O'Donnell inszeniert diese Verunsicherung unter umgekehrtem Vorzeichen neu. Nicht das Inventar unserer Träume, sondern das Inventar unseres Alltags wird uns vorgeführt. Der Ort ist das wuchernde Stück Wiese am Tor zum Alptraum; die Atmosphäre ist privatim. Relikte der schönen neuen Welt, Snickers-Packungen, Tüten voller Kartoffel-, Raketen voller Computer-Chips, Putzpulver und Tablettenröhrchen stehen, liegen und fliegen in verlassenen Räumen umher. Bierbüchsen, Zeitungsreste allüberall, und die Sterne, die man uns versprach, kleben als Karnevalsflitter am aufgesprühten Himmel. Der große bunte Schwindel auf ebensolchen Fotografien.

O'Donnell, Virtuose des Mittelbaren, nur scheinbar surrealistisch daherkommender Innenarchitekt eines geordneten Chaos, schickt die Betrachter in verschmuddelte, schon lang verlassene Zimmerecken, in denen für gewöhnlich ein abstruses Szenario sich abspielt. Aber es ist eben nur „90 Prozent Pseudo Surrealistic Crap“, so der Titel eines Bildes: eine schablonenhaft ausgesägte Puppe in preußischblauem Anzug und mit vermauertem Kopf betrachtet eine klassische Schönheit an der Wand. Hinter ihr auf dem Regal vier Spielkarten: Bube, Dame, König. Die vierte, entscheidende Karte ist herumgedreht.

Auf ganz wundersame Weise fällt durch die Inszenierung die Kontinuität der Zeit in sich zusammen. Die scheinbar erzählte, aktuelle Situation stellt sich als ein Mosaik nicht zusammenfügbarer Ereignisse heraus: ein verrotteter Sessel mit zentimeterdicker Staubschicht, daneben die noch leuchtende Stehlampe und ein frischer Toast auf dem Fußboden. Neben dem Sessel eine zerknüllte Zeitung mit der Schlagzeile „Wohnkosten werden steigen“. Der Titel des Bildes: „Vorzimmer von Ramses 5. im Tal der Könige“.

Die Klischees heimeligen Glücks werden zu Gespenstern des Verfalls: ein „Christmas Tree“, nackt und abgeputzt wie die Wände um ihn herum; verdreckte Geschenke, nie geöffnet, liegen darunter. Der Kamin in „La Dolce Vita“ wird zum camp -fire, auf dem Unbekannte in Blechgeschirr kochen; das küssende Paar als laubgesägte Aufstellkulisse steht daneben. Eben durch die penetrante Abwesenheit von Menschen, die durch das Aufstellen von Puppen noch betont wird, bekommen die Details der Arrangements ihr Gewicht. Sie sind spannend zu lesende Vertreter der Akteure, die nicht auftreten. Was die Bilder vom Verdacht des Surrealismus freispricht, ist der starke Bezug der Dinge zueinander und ihre leichte Lesbarkeit.

Diese Ausstellung ist eine der ersten im 150. Jahr der Fotografie. Schlechtere werden folgen; bessere vielleicht auch. Jedenfalls scheint sie geeignet, neben der lästigen Diskussion über Kunst-Wert und Kunst-Unwert dieses Mediums einen Beweis der Entwicklungsfähigkeit der Fotografie zu liefern.

Mario Schmidt

Bis 25.Februar in der Raab-Galerie, Potsdamer Straße 58.