„Der Klärungsprozeß wird länger dauern“

■ Interview mit Christian Ströbele vom Parteivorstand der AL zu möglichen Verhandlungen mit der SPD / Sollte es zu einer SPD/AL- Koalition kommen, wird die Bildung eines Senats in weite Ferne rücken / Wahl Mompers erst nach Abschluß der Verhandlungen

taz: Montag abend hat der Parteivorstand der AL noch bis in die Nacht getagt, und offenbar gab es den ersten Krach. Ist der Geschäftsführende Ausschuß der AL in zwei Lager gespalten? Sind die einen eher für Tolerierung und die anderen nur für eine Koalition mit der SPD?

Christian Ströbele: Das ist eine Überdramatisierung. Es gab unterschiedliche Auffassungen, allerdings nicht so extrem, daß die einen nur für Tolerierung und die anderen nur für Koalition waren. Der Unterschied besteht darin, daß für die einen die Möglichkeit einer Tolerierung als letzte Auffangposition existiert, wenn eine Koalition nicht klappt, während die anderen im Vorstand sagen, entweder richtig oder gar nicht. Bei einigen von uns herrscht die Angst, ein Scheitern würde auf jeden Fall dazu führen, daß der AL der schwarze Peter zugeschoben wird.

Gibt es Leute im Parteivorstand, für die eine Koalition mit der SPD ausgeschlossen ist?

Nein. Im GA gibt es keinen Mann und keine Frau, die sagt, eine Koalition mit der SPD kommt nicht in Betracht.

Habt Ihr Euch auf die drei oder fünf Essentschels geeinigt, die den Rahmen der Verhandlungen mit der SPD für eine Koalition abstecken?

Nein. Wir haben schon vor der Wahl acht Punkte aufgelistet, an denen es Berührungspunkte, Überschneidungen in Sachforderungen mit der SPD gegeben hat. Das geht von den Mieten bis zum Verfassungsschutz und der Polizeieinheit EbLT. Das ist auch die Grundlage für ein Gespräch mit Walter Momper - zunächst. Wenn es zu Koalitionsverhandlungen kommt, gehen wir natürlich mit der gesamten Programmatik der AL in die Verhandlungen. Da muß ja über alle Bereiche von der Kultur bis zur Justiz gesprochen werden. Letztlich muß dann die Mitgliederversammlung über das erarbeitete Verhandlungsergebnis mit der SPD abstimmen.

Wie groß soll denn die Verhandlungskommission mit der SPD sein?

Ich gehe davon aus, daß die Verhandlungskommission aus nicht mehr als vier oder fünf Leuten besteht. Wenn es dann aber ans Eingemachte geht, dann sollten auch jeweils aus den Bereichen Experten hinzugenommen werden.

Sollen denn die Koalitionsverhandlungen mit der SPD öffentlich geführt werden?

Wenn es nach uns geht, sollen alle Verhandlungen öffentlich geführt werden. Wir wollen aber auch an dem Punkt keine Maßstäbe dahingehend setzen, daß Herr Momper sagen kann, ich rede gar nicht erst mit denen. Wir werden auf jeden Fall auch während der Koalitionsverhandlungen uns mit außerparlamentarischen Gruppen und Initiativen, zum Beispiel dem BUND, zusammensetzen und über Zwischenergebnisse mit ihnen diskutieren, darüber, ob die erzielten Ergebnisse ausreichend sind oder nicht.

Welchen Zeitrahmen hast Du dabei für die Verhandlungen im Auge?

Ich fürchte, sie werden relativ lange dauern. Aber erst einmal wird es wichtig sein, prinzipiell die Weichen zu stellen und zu klären, ob eine Koalition überhaupt möglich ist, ob es irgendwelche Essentschels gibt auf der einen oder anderen Seite, die Verhandlungen verhindern. Der Klärungsprozeß darüber, was man dann im einzelnen zusammen machen will, wird sicherlich länger dauern.

Werdet Ihr möglicherweise Walter Momper schon vor Abschluß der Verhandlungen zum Regierenden Bürgermeister wählen?

Wir haben darüber noch nicht im GA diskutiert. Ich bin hin und hergerissen in der Beurteilung der Frage, ob das sinnvoll sein könnte, aber ich möchte das eigentlich nicht. Auch Herrn Momper will ich keinen Blankoscheck ausstellen.

Das bedeutet doch, daß Ihr Diepgen mehrere Monate bis zum Abschluß der Verhandlungen tolerieren werdet?

Nee. So nicht. Wenn man Momper vor Abschluß der Koalitionsverhandlungen zum Regierenden Bürgermeister wählt, müßte schon so viel an inhaltlichen Punkten klar sein, daß man sagen kann, ok, es lohnt sich schon, man riskiert es und kann es auch vertreten.

Die SPD ist ja mit der Aussage „Keine Koalition mit der AL“ in den Wahlkampf gegangen. Wenn Ihr tatsächlich nach langen Verhandlungen eine Koalition mit der SPD bilden solltet, wird sich dann dieses rot-grüne Bündnis noch ein Wählervotum holen, oder hältst Du vorgezogene Neuwahlen für nicht sinnvoll in dieser Situation?

Ich wäre dagegen. Es wird viel geredet werden, und die Wähler werden eine wirkliche alternative Politik erst erkennen können, wenn sie praktiziert wird. Ich halte nichts von Neuwahlen, bevor in längerer Zeit gezeigt werden kann, daß alternative Politik möglich ist.

Interview: mtm