Rochade der Tyrannen

Nach 15 Jahren im Exil kehrte Chomeini heute vor zehn Jahren in den Iran zurück / Das Volk bereitete dem 80jährigen einen triumphalen Empfang / Er versprach Freiheiten, Gleichberechtigung und Wohlstand  ■  Von Bahman Nirumand

Am 16.Oktober 1978 landete Ayatollah Chomeini, aus dem irakischen Exil kommend, in Paris, für viele Iraner und auch für die Weltöffentlichkeit eine große Überraschung. Man hätte sich den einstigen Führer der schiitischen Geistlichkeit, dem alles Westliche verhaßt war, eher in Saudiarabien, Jemen oder Pakistan vorstellen können. Seine Anhänger im Iran witterten eine Verschwörung. Die Übersiedlung von der heiligen Stadt Nadjaf, dem Zentrum des schiitischen Glaubens, in ein christliches Land, dazu noch in eine Stadt, die in deren Augen als Mittelpunkt der Sünde und des Verderbens galt, werde seinen Ruf zerstören, befürchteten sie. Sie irrten sich. Vermutlich hätte Chomeini ohne den Aufenthalt in Paris, ohne die dort anwesende internationale Presse wohl kaum seine Ziele erreichen können.

Im Ausland war er gänzlich unbekannt. Auch im Iran lag die Erinnerung an ihn weit zurück. 1963 hatte er als Anführer einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung gegen die Bodenreform und die weiße Revolution des Schahs revoltiert. Er war verhaftet und nach einem Jahr freigelassen worden, unter der Bedingung, sich nicht in die politischen Angelegenheiten einzumischen. Er tat es doch, wurde daher verbannt, zunächst in die Türkei und wenige Monate später in die abgelegene Stadt Nadjaf im Irak. Dort widmete er sich seinen religiösen Studien. Und ebendieser Mullah, der fünfzehn Jahre seines Lebens mit sich und seinem Gott allein verbracht hatte, dieser grimmige Greis, der den lieben langen Tag Gebete vor sich hinmurmelte, selten Besuch empfing, fast nie das Haus verließ, stand nun mit einem Schlag im grellen Licht der Fernsehkameras, umgeben von Journalisten aus aller Welt auf der politischen Bühne und durfte eine Hauptrolle spielen. Nahezu achtzigjährig, fühlte sich der Greis wie neu geboren. Der exotisch anmutende, wunderliche Heilige wurde zu einem Medienereignis.

„Alle Geknechteten

endgültig befreien“

Er schlug seine Zelte in Neauphle-le-Chateau, einem Vorort von Paris, auf. Täglich saß er auf einem Perserteppich unter einem Apfelbaum im Garten seines Hauses, vor ihm kniiend Hunderte seiner Jünger. Der ehrwürdige Greis mit langem weißem Bart, einem schwarzen Turban auf dem Kopf und einem weiten Umhang um die Schultern, schaute mit seinen stechenden, ernsten Augen über die Köpfe der Menge zum Himmel, verkündete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger den Willen Gottes. Alles schaute auf seine schmalen Lippen, um die Worte des Imam zu vernehmen. Wenn er sich erhob und zum Haus schritt, wirkten andere wie Zwerge neben ihm. Für seine Besucher repräsentierte er das Licht, die Weisheit, den Glauben. Er war der langersehnte Messias.

Aus aller Welt pilgerten Iraner und andere Muslims nach Paris, um den Verkünder einer neuen Menschheitsepoche von Angesicht zu Angesicht zu sehen, seine Hand zu küssen, seinen Worten zu lauschen, seine Befehle entgegenzunehmen. Zu den Gebetszeiten begab sich der Ayatollah in den Garten, die Pilger folgten ihm, knieten nieder, die Stirn auf dem Boden, und wiederholten das Gebet, das der ehrwürdige Geistliche vorsprach. „Gott ist mächtig“, sagte er. „Die Stunde der Gerechtigkeit des Herrn hat für den Schah geschlagen. Dieser kleine Satan auf dem Pfauenthron hat nur Sünde über unser Land gebracht. Wie ein Blutegel hat er das Blut unserer Jugend ausgesaugt und damit sich und seine Familie gemästet. Für ihn gibt es kein Erbarmen mehr. Er und sein Gefolge werden dem Zorn Gottes nicht mehr entkommen. Ich bin gekommen, um dies vor aller Welt zu verkünden. Wir werden Millionen unschuldiger Seelen von diesem Teufel befreien. All die Erniedrigten, Geknechteten, Ausgebeuteten, Hungernden werden endgültig die Freiheit erringen. Unsere geplagten Bauern, die schuftenden Arbeiter, die barfüßigen Slumbewohner, die gefolterten und gedemütigten Gefangenen, die betrogenen Bazaris, die unterdrückte Jugend, die ethnischen und religiösen Minderheiten werden endlich das Reich der Freiheit beschreiten.“

„Völlige Freiheit

für politische Parteien“

Den politischen Parteien versprach Chomeini völlige Handlungsfreiheit. Auch die Ausübung jeglicher Zensur lehnte er entschieden ab. Das Recht eines jeden Individuums auf Rede- und Meinungsfreiheit sei unantastbar. Niemand werde in Zukunft wegen seiner politischen Ansichten verhaftet, gefoltert oder hingerichtet werden. Und derselbe Mullah, der fünfzehn Jahre zuvor gegen den Schah rebelliert hatte, weil dieser den Frauen das Wahlrecht zusprechen wollte, erklärte jetzt in aller Öffentlichkeit, daß in der künftigen iranischen Republik Frauen sogar das Amt des Staatspräsidenten übernehmen könnten. Er versicherte, daß alle bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen beseitigt werden würden. Er sagte wörtlich: „Wir versichern, daß in unserer künftigen Republik alle Frauen in der Wahl ihres Berufes und selbstverständlich in der Wahl ihrer Kleidung, unter Berücksichtigung gewisser sittlicher Normen, völlig frei sein werden.“

Mehr konnte man von einem Schiitenführer nicht erwarten. Diese Worte und auch die unglaubliche Entschlossenheit des Ayatollah, sein eiserner Wille und die Ruhe und Gelassenheit, mit der er seine Ziele verfolgte und dabei den Schah wie eine Maus, die man am Schwanz festhält, zappeln ließ, übten auf alle Beobacher, auf die europäische Linke, eine starke Faszination aus und brachten die Pessimisten zum Schweigen.

So begaben sich auch viele Exiliraner, Studenten, Akademiker, darunter auch zahlreiche Linke, nach Paris, um Chomeini ihre Unterstützung anzubieten, die er übrigens gar nicht brauchte. Denn innerhalb einer kurzen Zeit stand die iranische Bevölkerung nahezu geschlossen hinter ihm. Seine Popularität verdankte er den persischsprachigen täglichen Sendungen der BBC, der Stimme Amerikas, des Israelischen Rundfunks, der Deutschen Welle, die seine Botschaften und Anweisungen unzensiert an die iranische Bevölkerung weitergaben, vor allem aber den rund hunderttausend Mullahs, die im Iran seine Reden durch Flugblätter oder Tonbänder in großer Auflage im ganzen Land unter das Volk brachten.

Aufklärung

mit dem Kassettenrecorder

Überall, in den kleinsten Dörfern, den Slums, Teestuben, Moscheen, saßen Frauen, Männer und Kinder um ein Tonbandgerät, den Worten des Imam lauschend. Er sprach ihnen aus der Seele, sagte, was sie hören wollten, beklagte die Ungerechtigkeit, die Armut, die Demütigungen, schürte den Haß gegen die Obrigkeit, die Reichen, den Schah. Er versprach ihnen den Himmel auf Erden: Es gäbe keinen Grund, daß eine Minderheit im Reichtum schwelge, während die Mehrheit jede Nacht mit knurrendem Magen in einer Lehmhütte oder in einem Loch auf nacktem Boden verbringen müsse. Sie vernahmen seine Worte, begriffen, was er sagte. Seine Logik war plausibel, seine Sprache einfach. Einzelne, aneinandergereihte Satzbrocken, durchsetzt mit suggestiven und assoziativen Vokabeln, sollten ihn den zum überwiegenden Teil des Lesens und Schreibens unkundigen Massen näher bringen. So wurden für diesen reaktionären Ayatollah, der alles Moderne und alle industriellen Errungenschaften zutiefst verachtete, der nicht einmal bereit war, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen, und Fernsehen für Gläubige verboten hatte, Tonbandgerät und Kassette zum unentbehrlichen Begleiter auf der Stufenleiter zur Macht. Das ganze Land wurde mit Tonbändern überschüttet. So lehrte Chomeini die Massen, wie sie denken und handeln sollten.

„Ich verkünde dem ehrwürdigen iranischen Volk, daß das Schahregime seine letzten Atemzüge tut“, sagte er. „Der Schah, dieser Verbrecher ist bereits abgesetzt. Das Volk will ihn nicht mehr haben. Er muß verschwinden.“

Das tat er am 16.Januar 1979, das 2.500jährige Königreich zerfiel innerhalb weniger Tage zu Staub.

Hunderttausende

säumen Teherans Straßen

Alles wartete nun sehnsüchtig auf die Heimkehr des Verbannten. Am 30.Januar sah sich Ministerpräsident Bachtiar gezwungen, endlich den gesperrten Teheraner Flughafen für den zivilen Verkehr freizugeben. Das Land atmete auf. Die Freude über die bevorstehende Ankunft Chomeinis war unbeschreiblich. Seit Tagen schon befanden sich Hunderttausende aus der Provinz auf dem Weg in die Hauptstadt. Omnibusse, Personenwagen, Pferde und Esel waren unterwegs, viele Menschen kamen zu Fuß, um die Ankunft des Imam aus unmittelbarer Nähe mitzuerleben. Entlang der Straße zum Flughafen waren Tausende von Zelten aufgeschlagen. Wer kein Zelt hatte, schlief einfach unter freiem Himmel, obwohl es noch ziemlich kalt war. Als das genaue Ankunftsdatum des Ayatollah bekannt wurde, begannen die Teheraner die Straßen zu reinigen und zu schmücken. Bilder von Chomeini und Spruchbänder, die ihn willkommen hießen, wurden überall aufgehängt. Entlang der angegebenen Route vom Flughafen bis zum Friedhof der Märtyrer, Beheschte Zahra, einer Strecke von rund 50 Kilometern, wurden sämtliche Geschäfte und viele Häuser mit Blumen, farbigen Glühbirnen und Plakaten geschmückt. Noch nie war in der iranischen Geschichte ein Staatsmann so festlich empfangen worden.

Am Morgen des 1.Februar war es endlich so weit. Der Gottgesandte, Auserwählte, Schutzengel der Barfüßigen und Habenichtse, der Führer der Revolution, kehrte in die Heimat zurück. Es war ein schöner Tag. Eine hellblaue Kuppel überragte die Sechs-Millionen-Stadt. Im Norden standen die schneebedeckten Berge und schauten herab auf die ungeheuren Massen, die zu der angegebenen Route eilten.

In Paris waren am Vorabend die letzten Vorbereitungen für den historischen Flug, den „Revolutionsflug“, getroffen worden. Rund sechshundert Journalisten aus aller Welt hatten den Antrag gestellt, den Imam nach Teheran begleiten zu dürfen. Chomeini hatte ihnen mitteilen lassen, daß diese Reise sehr gefährlich sei, jeder, der mitfliegen wolle, müsse auf das Schlimmste gefaßt sein. Er hatte recht. Tatsächlich existierten Pläne, um die triumphale Rückkehr des Revolutionsführer zu vereiteln, Pläne, wie etwa die Durchführung eines Attentats vor dem Abflug, der Abschuß der Maschine auf iranischem Hoheitsgebiet oder eine erzwungene Landung vor Teheran und die Verhaftung Chomeinis. Dieser letzte Vorschlag hatte sogar in Washington die Zustimmung des Präsidenten und seiner Berater gefunden. „Leider hat Chomeini den Termin seiner Rückreise verschoben“, schreibt der damalige US-Sicherheitsberater Brzezinski.

Kurz nach 9 Uhr hörte man die Air-France-Maschine über Teheran, an Bord 150 Journalisten und der politische und geistliche Stab um Chomeini. Vermutlich hatte der Imam die Journalisten mitgenommen, um die Gefahr eines Attentats zu mildern, eine Art vorsorgliche Geiselnahme.

Komplikationen

in letzter Minute

Millionen schauten zum Himmel, viele beteten für eine ungestörte Landung. „Gott ist mächtig, Chomeini ist unser Führer“, wurde immer wieder im Chor gerufen. Rundfunk und Fernsehen verkündeten die frohe Botschaft, feierlich erklang die Nationalhymne: „O Iran, Land der Juwelen, deine Erde ist die Quelle der Kunst...“. Jahrelang war diese Hymne verboten. Der Schah hatte seine eigene Hymne eingeführt. Plötzlich wurde im Fernsehen und Rundfunk das Programm abgebrochen. Die Air-France-Maschine umkreiste den Flughafen und flog in Richtung Westen. Niemand wußte, was geschehen war.

Nach wenigen Minuten ertönte auf einmal die Schah-Hymne: „Hoch lebe unser Schah-in-Schah.“ Ein Jammerruf ging durch die Zuschauer, viele glaubten, es habe der befürchtete Militärputsch stattgefunden. „Marg bar Schah“ (Tod dem Schah), rief einer, die Zuschauer wiederholten die Parole. Die Schahhymne wurde nicht zu Ende gespielt. Der Ansage beruhigte die Zuhörer, es sei eine Panne passiert. Wieder sah man die Air-France-Maschine, und dieses Mal setzte sie tatsächlich zur Landung an.

Oben in der Maschine führte ein Journalist ein Interview mit Chomeini. „Ayatollah, Sie sind fünfzehn Jahre lang in der Verbannung gewesen. Jetzt werden Sie von sechs - sieben Millionen ihrer Landsleute erwartet. Was empfinden Sie in diesem Augenblick? - „Nichts“, antwortete Chomeini.

Pünktlich um 9.30 Uhr landete die Maschine. Nach kurzer Begrüßung, die Chomeini schweigend über sich ergehen ließ, stieg er gemeinsam mit seinem Bruder, in einen Kombiwagen, ein Konvoi von Motorradfahrern reihte sich vor und hinter dem Wagen ein. Nur mühsam konnte sich die Kolonne ihren Weg durch die dichtgedrängte Menschenmenge freikämpfen. Gleich an der ersten Kreuzung fuhren plötzlich einige Polizeiwagen an den Kombiwagen heran, umzingelten ihn. Der ganze Vorgang dauerte nur wenige Minuten, dann fuhren die Polizisten wieder davon. Keiner unter den Schaulustigen merkte, daß Chomeini in einen Polizeiwagen umgestiegen und mit den Polizisten verschwunden war.

Nur Chomeini wahrt die Ruhe

Auf der gesamten Route saß der Bruder allein neben dem Fahrer. „Du bist meine Seele Chomeini“, riefen immer wieder die Zuschauer und winkten dem vorbeifahrenden Kombiwagen zu. Der Bruder winkte auch, lächelte und schaute sie an. Das war der erste Streich, den der Revolutionsführer der Bevölkerung spielte. Erst nach Stunden begab er sich mit einem Hubschrauber zum Friedhof Beheschte Zahra. Würdevoll schritt er zum Podium, die Versammlung mißachtend schaute er, ohne Bewegung seiner strengen Gesichtszüge, in die Ferne, als ob diese, fast in Ekstase geratenen Massen, nicht existierten und er sich allein in der Wüste befände. „Du bist meine Seele Chomeini“, riefen die Versammelten unaufhörlich. Bevor der Gottesmann schießlich zu reden anfing, bewegte er die ausgestreckte rechte Hand ein paarmal auf und ab, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Niemand konnte sich vorstellen, daß diese runzlige, zitternde Hand bald Tausende von Todesurteilen unterzeichnen würde, auch nicht, daß der Gottgesandte in Paris gelogen hatte, daß er nicht Freiheit und Unabhängigkeit, sondern den absoluten Gottesstaat im Sinn hatte, eine alles erstickende Diktatur, die die Tyrannei des Vorgängers weit in den Schatten stellen würde.