Remscheider Verhältnisse in Oberbayern befürchtet

Direkt neben dem neuen Münchner Großflughafen soll nach Plänen des Verteidigungsministeriums eine Tornado-Staffel stationiert werden / Kampfflugzeuge müssen Passagiermaschinen unterfliegen: Chaos im Luftraum ist damit vorprogrammiert / Tornados zum Tiefflug gezwungen / Verwirrspiel der CSU  ■  Aus Erding Luitgard Koch

Der Wirtshaussaal im Erdinger „Mayr-Wirt“ ist bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Bürgerinitiative wird gegründet. Auch der CSU-Ortsvorsitzende Herbert Lindmayer ist mit von der Partie und wird trotz einiger Vorbehalte sogar ins Sprechergremium der Aktion „Bürger gegen Tornados“ gewählt. Was kann ein CSUler gegen Kampfflugzeuge haben? Im 90.000 Einwohner zählenden Landkreis Erding bei München begründet sich dieses atypische Verhalten mit dem gerade im Bau befindlichen Großflughafen München II. Wurde den Erdingern während der jahrzehntelangen Planung des „Monsters im Moos“ stets versprochen, den militärischen Flugbetrieb auf dem bestehenden Militärflughafen zu reduzieren, soll jetzt zu allem Überfluß auch noch eine Tornado-Staffel vom Fliegerhorst Lechfeld nach Erding verlegt werden.

Sobald die ersten Verkehrsflugzeuge auf dem Verkehrsfughafen landen und starten, wird die Gegend im Münchner Norden dadurch zum Tieffluggebiet: Um die Zivilflieger nicht zu behindern, müssen die Jagdbomber die Linienmaschinen in Höhen bis zu 300 Meter über dem Boden unterfliegen. Betroffen von dem Fluglärm, der dann auf 115 Dezibel bis zur Schmerzgrenze ansteigt, ist die Bevölkerung in den drei Landkreisen Freising, Erding und Ebersberg. Doch damit nicht genug. Die Kampfflugzeuge werden dabei den Ismaninger Speichersee überfliegen, ein geschütztes Feuchtgebiet, Nist- und Rastplatz für über 50.000 Wasservögel. Zusammenstöße zwischen Vögeln und Tornados sind somit vorprogrammiert. Seit 1960 hat die Nato bereits über 100 Flugzeuge durch derartigen Vogelschlag verloren. Aber das Horrorszenario geht weiter. Nur knappe sechs Flugsekunden und eineinhalb Kilometer von der Tornado -Flugroute entfernt strahlt das „Garchinger Atom-Ei“, der Atomversuchsreaktor der TU-München. Für den grünen Landtagsabgeordneten und Biologen Christian Magerl wäre damit der „Weltrekord an Risikofreudigkeit im Luftraum“ aufgestellt. Für ihn steht fest: „Erding liegt gar nicht so weit von Remscheid.“

Im Moment versuchen sich die aufgeschreckten Bürger dagegen zu wehren. Das ist gar nicht so einfach. Denn nicht nur die Konsequenzen der Stationierung sind erschreckend, sondern auch die Informationspolitik der CSU gleicht einem Trauerspiel. Mußten die Erdinger bereits bei der scheinbar plötzlichen Flugroutenänderung für das Mammutprojekt München II feststellen, daß die CSU-Politiker, allen voran der damalige Wirtschaftsminister Jaumann, sie hinters Licht geführt hatten, geht es ihnen bei dem Tornado-Spektakel nicht recht viel besser. Denn was soll man davon halten, wenn drei CSUler nach Bonn reisen, um dem Verkehrsminister einen Besuch abzustatten, dort aber niemals ankommen? Angeblich wollten der bayerische Kultusminister und Erdinger CSU-Kreisvorsitzende Hans Zehetmair, der Erdinger Landrat Xaver Bauer und der Erdinger Bürgermeister Gerd Vogt mit Verkehrsminister Warnke wegen des S-Bahnanschlusses des Flughafens München II reden. Tatsächlich waren sie an jenem 18.Februar vergangenen Jahres aber im Verteidigungsministerium und erfuhren dort, daß die Tornado -Stationierung beschlossen worden war. Zuhause angekommen, verbreiteten sie freilich eine Presseerklärung, in der die Tornado-Stationierung mit keinem Wort erwähnt wurde, sondern lediglich von der Koordinierung der militärischen und zivilen Flugrouten die Rede war. Zwei Monate später jedoch wird die Stationierung der Kampfbomber bestätigt.

In bester CSU-Manier wird die Schuld den Bonnern zugeschoben und die „restriktive Informationspolitik“ der Hardthöhe angeprangert. Zehetmaier protestiert „scharf“ und tut verwundert, denn der damalige Verteidigungsminister Wörner habe die Staffel nicht nach Erding verlegen wollen. Auch Landrat Bauer gibt sich überrascht und erinnert an die Bonnreise, deren Zweck es ja gewesen sei, die „abermalige Belastung der Kreisstadt zu verhindern“. Im Sommer plötzlich teilt Staatssekretär Holger Pfahls der grünen Bundestagsabgeordneten, Petra Kelly mit, daß die Stationierung noch nicht endgültig sei. Der Kommandeur des Erdinger Fliegerhorstes, Oberst Hans-Joachim Meißner, spricht dagegen davon, daß die Tornados in zwei Jahren stationiert werden. Dementis und Bestätigungen wechseln sich ab.

Im Dezember wiederum erhält die SPD-Bundestagsabgeordnete, Anke Martiny von Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz die entscheidende Antwort: „In Erding wird nach derzeitigem Planungsstand ab 1991 nur eine Jagdbomberstaffel stationert“. Zehetmaier, der gerade wieder beschwichtigt hatte, verbreite mit Falschmeldungen Panik in der Bevölkerung, verkündet die SPD-Politikerin. Wenig später muß er sich bei ihr entschuldigen, denn der Brief von Rupert Scholz war und ist keine Falschmeldung. Mit dem Rücken zur Wand bombadiert jetzt die CSU die Militärs mit Vorwürfen: „Das Durcheinander liegt nicht bei uns, sondern auf der Hardthöhe“, so Zehetmair. Genervt antwortete er auf die Frage, warum die drei Bonn-Reisenden denn so lange geschwiegen hätten, er sei „nicht der Postbote irgendwelcher Generäle“.

Nach einem Gespräch, das Ministerpräsident Streibl anläßlich der CSU-Tagung in Wildbad Kreuth mit Scholz führte, heißt es: Die Stationierungspläne werden überprüft. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Robert Leidinger bezweifelt dies. Der Straubinger sieht darin ein Ablenkungsmanöver. Aus einer Antwort der Bundesregierung gehe hervor, daß bereits an den Erdinger Flugrouten gearbeitet werde. Außerdem gehöre zu der geplanten Aufstellung dieses Einsatzgeschwaders auch eine in Großbritannien stationierte Tornado-Staffel. Bei übungen würden dann auch die britischen Kampfbomber in Erding starten.

Und wieder kündigt auch die CSU ihren massiven Widerstand an. Sogar den Verlust von Arbeitsplätzen - der Fliegerhorst ist momentan der größte Arbeitgeber Erdings - würden sie hinnehmen, beteuern die CSU-Politiker. Und deshalb sitzt jetzt auch Herbert Lindinger bei den Tornado-Gegnern im „Mayr-Wirt“, obwohl er sie noch vor wenigen Tagen als „Agitatoren“ diffamiert hat.