Oper, Liebe, Menschenfleisch

■ „Die Kannibalen“ von Manoel De Oliveira läuft ab heute in der Schauburg: makaber, romantisch und mit Gesang

Ein Film, in dem kein Wort gesprochen wird, und man dennoch jede Menge Untertitel entziffern muß - gibts denn sowas? In „Die Kannibalen“ durchstreifen wir die Bälle und Feste „einer höheren Gesellschaft, in der man singt, anstatt zu sprechen“. Und so singt denn auch ein Erzähler diese und andere Erklärungen, immer auch optisch begleitet von einem Stehgeiger zu der merkwürdigen, sehr romantischen und makaberen Geschichte, die wie ein Opernlibretto vorgeführt und besungen wird.

Wie in der Oper herrschen hier auch nur die ganz großen Gefühle: Die schöne Marguerite verzehrt sich vor Liebe nach dem seltsamen, melancholischen Vicomte D'Aveleda, der ihr in der Hochzeitsnacht ein fürchterliches Geheimniss offenbaren muß. Sein Rivale Don Joao schleicht unterdessen mit Mordgedanken im Garten umher. Im ersten Teil des Filmes werden diese Gefühlslawinen ausführlichst rezitativ kundgetan - und ironisch vom Erzähler kommentiert, der sich etwa wundert, warum „die Protagonisten sich mit Konversationen berauschen, die selbst im Theater kaum zu ertragen sind“.

Manoel De Oliveira, der 80jährige bekannteste Vertreter des portugiesischen Kinos, schafft hier zuerst die kultivierte Athmosphäre der Gesellschaftsromane des 18. Jahrhunderts, mit elegant kostümierten Adeligen in Ballräumen und Speisezimmern, Gärten und Schlafzimmern. Aber unterschwellig wächst auch eine bedrohliche, makabere Stimmung, und die Erzählung wechselt in den romantisch/phantastischen Stil der Novellen von

E.T.A. Hofmann. Die gräßliche Enthüllung und die blutige Katastrophe werden dann genüßlich mit einem an Bunuel erinnernden schwarzen Humor präsentiert, der zunehmend surreale Züge annimmt. Im Trio des Vaters mit den Brüdern der Braut etwa, die den Abgesang auf den Bräutigam anstimmen:„Wir haben ihn gegessen, und er hat uns nicht geschmeckt“. Angesichts der riesigen Erbschaft verwandeln sie sich dann zu Schweinen und Hunden.

„Die Kannibalen“ ist kein Film, der suggestiv versucht, den Zuschauer emotional in die Geschichte zu ziehen, er ist wie ein Gegenentwurf zum gängigen Gefühlskino. Oliveira sagt dazu selber:„Das amerikanische Kino will das Leben durch den Film ersetzen. Es funktioniert wie eine Droge. Meine Art, Film zu machen, setzt den Zuschauer als sensiblen Verstandesmenschen voraus. Ich will ihn eher für die Rationalität, als für die Emotionen gewinnen.“ Die absolute Künstlichkeit der Inszenierung wirkt wie der Brechtsche Verfremdungseffekt: man folgt der Handlung mit Abstand und klarem Kopf, und genießt die intellektuelle Spielerei mit opulenten Bildern und bösem Humor. Merkwürdig nur, wie blaß die Wirkung der Musik von Joao Paes bleibt. Es wird fast pausenlos mit großer orchestraler Begleitung gesungen, aber nach dem Film bleibt keine Melodie im Gedächtniss, und die angenehmsten Klänge waren in einer der wenigen ruhigen Momente des Films das Zirpen der Zikaden und Rauschen von Blättern in einem Garten.

Wilfried Hippen

Schauburg 19.00 Uhr