Crack und Heroin drohen auch Berlin

■ Senats-Drogenexperten befürchten, daß Kokain und Crack in zwei Jahren verstärkt auf den Berliner „Markt“ kommen / Entwicklung in USA bereits gegeben / Staatssekretär möchte Bürgerinitiative gegen Drogen - aber auf keinen Fall die legale Ersatzdroge Methadon

Schlimmes in Sachen Drogen steht Berlin in ein bis zwei Jahren bevor, glaubt man den Befürchtungen des Berliner Drogenbeauftragten Penkert und dem Staatssekretär in der Senatsjugendverwaltung, Dittberner (FDP). Just von einer einwöchigen Informationsreise in den USA zurückgekehrt, berichteten die beiden gestern auf einer Pressekonferenz von den Drogenproblemen, von denen „God's own country“ geplagt wird und die sich in absehbarer Zeit auch in Berlin einstellen werden. In den USA haben Kokain und Crack (eine „Designerdroge“, die unter anderem aus Kokain und Backpulver hergestellt wird), das bislang gefährlichste Opiat, Heroin, im Verbrauch überrundet. Die Erfahrung, daß mit einer gewissen Zeitverschiebung dieser Trend auch die BRD erreichen wird und die Tatsache, daß „ein weltweites Überangebot an Kokain auf den europäischen Markt“ drückt, veranlaßt die beiden Drogenexperten, bereits im Vorfeld nach Präventionsmaßnahmen zu suchen.

Gleichwohl stellt sich das Problem in den USA anders dar als in Berlin, meinen die Experten: Die Situation ist dort aufgrund der härteren Gesellschaftsstruktur und des fehlenden „sozialen Netzes“ wesentlich verschärft. Allein im NewYorker Stadtteil Bronx (1,16Mio. Einwohner) gibt es an die 40.000 Fixer (in Berlin 7.000 bis 8.000 Fixer), von denen 45 bis 55 Prozent HIV-positiv sind. Insgesamt sind in der Bronx 10 Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen HIV-infiziert. Durch Gelegenheitsprostitution, auch der Crack-Konsumenten, dringt das HIV-Virus auch in bislang nicht als Risikogruppe eingestufte Bevölkerungsteile ein.

Die US-amerikanischen Formen einer Drogenprävention können laut Dittberner jedoch nicht auf Berliner Verhältnisse übertragen werden. Drüben wird mit Public-Relations-Mitteln die Öffentlichkeit regelrecht mit Anti-Drogen-Propaganda bombardiert. „Drug-free America“ ist die Parole. Auch mit administrativen, polizeilichen, sogar mit militärischen Methoden wird versucht, dem Drogenkonsum beziehungsweise der Herstellung zu begegnen. Besonders beeindruckt hat den Staatssekretär jedoch die „Miami Coalition“, ein Zusammenschluß von 90 Geschäftsleuten, die jährlich 200.000 Dollar aufbringen, um ihren Beitrag zur Bekämpfung des Drogenproblems in Miami zu leisten. Zwar stehen hauptsächlich ökonomische Interessen dahinter, gibt Dittberner zu, dennoch wäre eine solche „Bürgerinitiative“ auch in Berlin zu begrüßen.

Doch angesichts sovieler Drogenabhängiger scheinen die Präventivmaßnahmen in den USA nicht sonderlich zu greifen. Ein neuer Schwerpunkt würde daher auf den Bereich der Therapie gelegt, berichtet Dittberner.

Dem Stichwort Methadon wichen die Senats-Drogenexperten geschickt aus, obwohl das in Deutschland unter dem Namen Polamidon vertriebene Substitutionsmittel, zu den US -amerikanischen Therapieprogrammen gehört. Die drogenpolitische Strategie in Berlin orientiert sich nach wie vor an dem Grundsatz, daß, wie es im Drogenbericht des Berliner Polizeipräsidenten vom April 1988 heißt, „eine Ausgabe von Ersatzdrogen für Heroinabhängige nicht ins Auge gefaßt wird“. Trotz des Teufelskreises von Sucht Beschaffung - Prostitution - Kriminalität, in dem Drogenabhängige sich bewegen, plädieren Mediziner und Drogenbeauftragte - auch Penkert ist da keine Ausnahme gegen einen Methadon-Einsatz. Mit dem Hinweis auf die unbestrittene Suchterzeugung durch die Ersatzdroge wollen sie den Teufel Heroin nicht mit dem Beelzebub Methadon austreiben. Zwar wird in Berlin in Einzelfällen Methadon verabreicht, aber diese Maßnahmen halten sich an die Richtlinien der Berliner Ärztekammer. Die hatte festgelegt, daß nur in extremen Notsituationen Methadon zu verabreichen sei, zum Beispiel Kranken mit Vollbild Aids oder Schwangeren während der Geburt.

Damit hinkt die Drogenpolitik Berlins den Vorstößen anderer Bundesländer hinterher. Nordrhein-Westfalen startete im Herbst 1987 einen heftig umstrittenen fünfjährigen Modellversuch mit Methadon-Vergabe an Heroinsüchtige, um die Begleiterscheinungen Kriminalität, Prostitution und Aids „einzudämmen“. Voraussetzung ist jedoch, daß die Betroffenen mindestens zwei Entzugsversuche hinter sich haben und über 22 Jahre alt sind oder aber volljährig und HIV-infiziert. Im vergangenen Jahr zog auch Niedersachsen nach, allerdings nur bei HIV-infizierten Fixern. In Hamburg empfahl die Landesärztekammer sogar Methadon als notwendiges therapeutisches Mittel, wenn Überlebenshilfe kurzfristig wichtig wird, und in Bremen erhalten Fixer, allerdings nur an Aids erkrankte, seit Ende letzten Jahres Methadon auch ambulant.

In Berlin ist mit derartigen Programmen vorerst noch nicht zu rechnen, abgesehen von den kommenden neuen politischen Konstellationen, die auch neue Überlegungen erbringen könnten. Für Dittberner ist das einzig wahre Substitutionsmittel der Sport. Sportliche Betätigung und kalte Duschen sollen ja auch bei allen möglichen Exzessen helfen.

Petra Dubilski