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Stolz wie ein leerer Reishalm

■ Kamputschea bereitet sich ungläubig auf einen Frieden vor / Zehn Jahre nach der Vertreibung der Roten Khmer steht jetzt der Abzug der Vietnamesen zur Debatte Felder und Märkte beleben sich wieder / In schwer zugänglichen Waldgebieten geht der Krieg weiter / Noch immer 300.000 Kamputscheaner in Flüchtlingslagern festgehalten Zehn Jahre ist es her, daß die Roten Khmer vor den heranrückenden Vietnamesen nach Thailand flüchteten und ein ausgeblutetes Land zurückließen. In Pnom Penh richtete sich eine neue Veraltung ein, zusammengewürfelt aus alten Beamten von Prinz Sihanouk, ehemaligen Roten Khmer, die sich gegen Pol Pot aufgelehnt hatten, und anderen, die erst kurz zuvor, unter dem wachsamen Blick der „vietnamesischen Helfer“ die Front gewechselt hatten. Die Vietnamesen wurden von den einen als Agenten der „Kolonisation“ bezeichnet, von anderen als rein technische Unterstützer der noch unbeholfenen Verwaltung. Ein großer Teil der „vietnamesischen Freiwilligen“ ist im Lande gebli

„Es besteht wenig Gefahr, daß die Roten Khmer meine Regierung stürzen“, sagte kürzlich Premierminister Hun Sen. „Aber wenn China, Thailand und auf diesem Wege auch westliche Staaten Pol Pot weiterhin aktiv und passiv unterstützen, dann werden sie die Leiden des Khmer-Volkes verlängern.“

Weder Krieg noch Frieden

Doch trotz aller Schwierigkeiten kann die Volksrepublik Kamputschea auf mehr Erfolge zurückblicken als die beiden Regime, die ihr vorangingen, das amerikafreundliche des General Lon Nol oder das der prochinesischen Roten Khmer. Im Erziehungs- und Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft und der Kleinindustrie gibt es sichtbare Erfolge. Natürlich ist

-leider - auch an Irrtümern kein Mangel. Der Versuch, das Land an der Grenze zu Thailand gegen die Infiltration der Guerilla zu schützen, indem in den Waldgebieten eine ganze Kette von verminten und stark befestigten Forts errichtet wurde, hat viel Leid verursacht.

Die Situation des „Weder Krieg noch Frieden“ und die Unsicherheit, die in manchen Regionen herrscht, führen auch dazu, daß ein Großteil der knappen Ressourcen an Menschen und Material für den Krieg verwendet wird. Oft behalten strategische und politische Kalküle die Oberhand über die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und die normalen Erfordernisse der Verwaltung. Auch die Menschenrechte werden im Zwischenkriegsstadium nicht immer beachtet. Die Anstrengungen richten sich jetzt auf die qualitative Verbesserung und die „Khmerisation“ der Kader. Ein Verantwortlicher aus dem Landwirtschaftsministerium erklärt, wie schwierig es sein wäre, die in Frankreich ausgebildeten Beamten mit denen aus den sozialistischen Ländern und den zurückgekehrten Flüchtlingen zusammenarbeiten zu lassen. „Die Khmer-Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle“, fügt er hinzu.

Auch wenn die Khmer „Glasnost“ und „Perestroika“ noch nicht in ihre Sprache übersetzt haben, beginnt eine „Neue Wirtschaftspolitik“, die „Ksetaket tmey“, sich einzurichten: Angleichung der Bankzinsen an den Marktsatz, Zulassung von Privaten zum Bankenwesen, Anreize für die kleine Privatindustrie und bald auch eine „Landreform“, die zum Beispiel Privatisierungen von Reisfeldern vorsieht.

Erste Resultate sind schon sichtbar. Dabei wächst allerdings die Gefahr, daß sich die Gesellschaft Kamputscheas wieder auseinander entwickelt. Dank des Geldes, das die in alle Winde verstreuten Khmer per Postscheck oder Schmuggel ins Land bringen, hat Pnom Penh bereits wieder die Allüren einer „Dame von Welt“ angenommen. Innerhalb weniger Monate hat sich die Zahl der Honda-Mopeds und der Privatautos vervielfacht: Luxus-Toyota mit „Fancy„ -Beleuchtung, Mercedes usw. sind vom Rest der Bevölkerung nicht gern gesehen. Die mit Heineken-Dosen vollgestellten Tische der immer häufiger zum Platzen gefüllten Restaurants werden mit neidischen Blicken bedacht. Jener Karrenschieber etwa, der mühsam die paar hundert Riels pro Woche verdient, um seine Familie über die Runden zu bringen, meint, daß es „schon wieder mal“ die chinesischen Händler seien, die sich bereicherten. Sie, die Armen, die von allen Regierungen vergessen werden, fühlten sich ein wenig verraten. Schon wieder!

Zu allem Überfluß mußten sich die Karrenschieber auch noch eine blaue Uniform bei den Behörden kaufen - für die Feierlichkeiten des Jahrestags! „Und weshalb haben wir die Revolution und den Sozialismus gemacht?“ sagt er und schiebt die Schultern hoch.

Zum Glück waren die Regenfälle gut in diesem Jahr, und im größten Teil des Landes verspricht die Ernte reichlich zu werden. Nur das jährliche Hochwasser des Mekong war so schwach, daß die Lage in den Gebieten, in denen die Reisfelder von Überschwemmungen bewässert werden, weniger rosig ist. Breite Gebiete der Seeprovinzen und des Mekongdeltas sind davon betroffen.

Vorsichtige Hoffnung auf Verhandlungslösung

Die wiederaufgenommenen Kamputschea-Verhandlungen vom Dezember 1987 und Januar 1988 zwischen dem kamputscheanischen Premier Hun Sen und Widerstandsführer Prinz Sihanouk hatten noch richtige Hoffnungen geweckt; man sah frische Blumen an den Fenstern oder ab und an einen neu angestrichenen Balkon. Doch diesmal sind die Parteiversammlungen spärlich besucht, und die Menschen bleiben skeptisch und unruhig. Regelmäßig verliest das Radio die Rede von Premier Hun Sen, die das Verhalten von Sihanouk als zu sehr an China gebunden beschreibt, um sich von den Roten Khmer wirklich zu distanzieren. Selbst diejenigen, die Sihanouk bis heute treu geblieben sind, fangen an, des Prinzen Spiel überdrüssig zu werden: „Womöglich will er gar nicht zurückkehren?!“ Der alte Saroem legt eine Pause beim Jäten seines Tabakfeldes ein und erzählt, wie er sich der Untergrundbewegung Sihanouks angeschlossen hatte, damals im März 1970, nach dem Putsch des General Lon Nol. Der hatte Sihanouk abgesetzt und Kamputschea in das düstere Abenteuer gestürzt, das das Land des Lächelns erst in den amerikanischen Krieg, dann in die Schreckensherrschaft der Roten Khmer führen sollte. „Einmal - das reicht“, setzt er hinzu.

Die Erklärung von Hun Sen stimmt durchaus mit der Stellungnahme des indonesischen Außenministers Alatas überein, der auch Sihanouk für das Scheitern der Verhandlungen vom November 1988 verantwortlich machte. Der Rückzug der vietnamesischen Truppen bleibt wohl der umstrittenste Punkt der Verhandlungen. Die einen glauben, daß der Abzug real ist und spätestens im ersten Quartal 1990 beendet sein wird. Die anderen halten all dies für Propaganda, um den Hegemonieanspruch Vietnams auf Indonesien zu verschleiern. Fest steht, daß die vietnamesischen Zivilisten, die die Gelegenheit genutzt hatten, sich in Kamputschea - oft illegal - niederzulassen, um in Pnom Penh an das leichte Geld heranzukommen, um im Tonle Sap oder den Zuflüssen des Mekong zu fischen oder um Gemüse an den bewässerten Stellen anzubauen, die Abzugsankündigungen sehr ernst nehmen. Ein Dorf nach dem anderen verfällt, und Wandbretter liegen zum Schutz über dem Kiel der Barken, die es im Notfall erlauben, nach Saigon und dem Delta zurückzukehren.

Auch die vietnamesische Bevölkerung wartet mit Ungeduld auf das Ende des Kamputschea-Konflikts: „Krieg zu führen und den Gürtel enger zu schnallen, um unser Vaterland zu schützen, ist hart. Aber wir haben es gemacht und würden es auch noch einmal tun. Einem Embargo ausgesetzt zu sein und die eigenen Kinder mit nur einem Bein aus dem Krieg zurückkommen zu sehen oder sie manchmal überhaupt nicht wiederzusehen, und das für ein anderes Land, das uns noch nicht einmal wohlgesonnen ist - das ist zuviel.“ So ließe sich die Haltung der breiten Masse der vietnamesischen Bevölkerung zusammenfassen. Für viele hohe Verantwortliche kommt zu diesem nicht zu vernachlässigenden Gefühl der Frustration noch etwas hinzu: „Solange wir in Kamputschea bleiben, ist unser Land von dem abgeschnitten, dessen es dringend bedarf, das heißt Kapital und westliche Technologie. Wenn wir in Kamputschea bleiben, riskieren wir, nicht an der industriellen Revolution Südostasiens teilnehmen zu können. Und das ist für Vietnam nicht akzeptabel. Also werden wir wie vorgesehen abziehen, und wenn es zu einem Blutbad kommen sollte, dann soll der Westen dafür die Verantwortung tragen!“

Buddhistische Mönche

tauchen wieder auf

Auch die Religion kommt wieder zu Ehren. Seit 1986 werden die großen Feste, die den buddhistischen Kalender der Khmer einteilten, mit immer größerer Beteiligung gefeiert: das Neujahrsfest im April, das Fest der Toten im September und das Ende der Fastenzeit Buddhas im Oktober. Den kleinen Dorfpagoden begegnet man häufiger. Obwohl man erst mit 55 Jahren die safrangelbe Toga anziehen darf, sind in der Provinz immer mehr junge Bonzen zu sehen, besonders während der „Vossa“, der Fastenzeit.

Wie in Laos hat auch in Kamputschea die Regierung begriffen, daß der Buddhismus zu tief im kollektiven Unbewußtsein verankert ist, als daß er sich ohne Gefahr ausrotten ließe. Der Laienprediger Naroueng in dem kleinen Dorf Takeo: „Für uns Khmer gibt es kein Leben ohne Religion. Sie ist Teil unserer Lebensart.“ Offensichtlich haben die Verantwortlichen das verstanden. Die Vereinigung der Bonzen ist sogar Mitglied der „Nationalen Front für den Wiederaufbau des Vaterlandes Kamputschea“. Wenn die Opposition auch die Vereinnahmung der Religion durch das Regime in Pnom Penh verdammt, vergißt sie die politische Rolle, die der buddhistische Klerus schon unter der französischen Schutzmacht und dann unter Sihanouk gespielt hat.

Das ganze Land beginnt langsam, sich wieder aufzurichten. Die Landwirtschaft kommt wieder zu sich. In dem Maße, wie die traditionelle Landwirtschaft neu entsteht, erscheinen auch die regionalen Unterschiede der Vorkriegszeit wieder: die reichen Gebiete des Mekongufers in den Provinzen Kandal, Kompong Cham und Prey Veng, deren fruchtbare Böden eine Mischkultur ermöglichen, die den Bauern auf dem städtischen Markt ein hohes Einkommen einbringen; etwa 60.000 Riels (400 Dollar) im Jahr über das hinaus, was eine Familie zur Selbstversorgung braucht. Daneben die armen Regionen von Kampong Speu oder im Norden von Takeo, sandige Reiszonen, wo die Bauern 1988 mühsam drei bis sechs Monatsrationen Reis kaufen mußten, um ihre Familien über die Zeit zwischen den Ernten zu bringen.

Seit Jahresbeginn 1988 ist eine leichte Verbesserung spürbar. Die Landmärkte sind besser versorgt als noch vor fünf Jahren. Langsam werden die Häuser neu errichtet, und die Bauern können jetzt auch den Bonzen etwas spenden für den Neubau der Pagode oder die diversen Feste und Hochzeiten. Der alte Saroeum sagt: „Vorher waren die Reisbauern bei den chinesischen Zwischenhändlern vollkommen verschuldet, mußten die Ernte oft noch am Halm verkaufen, um die Schuld tilgen zu können. Und man kam aus dem Schlamassel einfach nicht raus. Heute gibt es keine Zwischenhändler mehr.“

Wirtschaftspragmatismus fordert Opfer

Zwar versucht der Staat, einen möglichst großen Teil der Produktion an sich zu ziehen, indem er die niedrigen Ankaufspreise gegenüber den Produzenten damit kompensiert, daß in den staatlichen Läden auch billige Waren angeboten werden. Dennoch läßt er den Privaten zunehmend freie Hand. Die Folgen der Niedrigpreispolitik, die den Produzenten wenig Anreize bietet, sind sichtbar. Für die Ernte 1988 wurden die Preise angehoben. Der Wirtschaftspragmatismus, zu dem die Regierung gefunden hat, öffnet den Spekulanten, den kleinen Ausbeuterklitschen in Land und Stadt die Türen, kurz: all denen, die der Roten-Khmer-Ideologie den Boden bereitet hatten. Wenn es auch wenig verläßliche Informationen über die Rekrutierungsfähigkeit der Roten Khmer gibt, muß man dem wirtschaftlichen Fortschritt doch mißtrauisch gegenüber stehen. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die Bestie schlüpfte...

Nichtsdestotrotz: nachdem über Jahre hinweg der Viehbestand hochgepäppelt und die Reisfelder wieder instand gesetzt wurden, nähert sich Kamputschea einer gewissen Selbstversorgung, was die Nahrungsmittel betrifft. Aber sie bleibt zerbrechlich und kann jederzeit durch Mißernten in Frage gestellt werden.

Die Unterernährung, die es noch gibt, ist mehr und mehr die Folge von falschen Ernährungsgewohnheiten und Armut, als eines allgemeinen Mangels an Nahrungsmitteln. Doch diese Fortschritte könnten durch das Wachstum der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt werden. In jedem Dörfchen, in jedem Hinterhof wimmelt es von Kindern. Die Geburten folgen schnell aufeinander - das bedeutet Suche nach einer Zusatzarbeit, um das magere Salär aufzubessern. Die Frauen Kamputscheas haben ein hartes Leben! Und oft äußern sie den Wunsch nach leichterem Zugang zu Verhütungsmitteln. Aber die Autoritäten in Pnom Penh stellen sich taub, wenn es um Familienplanung geht, selbst wenn sie schamvoll „Verlängerung der Geburtenfrequenz“ genannt wird. Sie haben Angst, von der Gegenseite vorgeworfen zu bekommen, durch Geburtenkontrolle den „vietnamesischen Kolonisateuren“ freies Spiel zu lassen. Also sind die Frauen auf heimliche Abtreibungen und zwielichtige Zauberpraktiken angewiesen, die oft schlecht ausgehen. Wieder einmal lastet die große Politik auf den Kleinsten und Schwächsten, den Frauen und Kindern.

Der Dekan der medizinischen Fakultät von Pnom Penh, Doktor My Samedi, ist auch Generalsekretär des Roten Kreuz in Kamputschea. Er meinte kürzlich auf einem Kolloquium in Bonn: „In meinem Land wie anderswo gibt es zu viele Denkmäler für die toten Soldaten und zu wenig für die zivilen Opfer, die Frauen und Kinder.“

Verzweifelte Situation in den Flüchtlingslagern

Währenddessen warten auf der anderen Seite des Konflikts, in einem halben Dutzend Lagern entlang der 700 Kilometer langen Grenze zu Thailand, 300.000 Kamputscheaner. In vielen dieser Lager, die von den diversen Fraktionen der Pnom-Penh -feindlichen demokratischen Koalitionsregierung unterhalten werden, ist die Lage zum Verzweifeln, Menschenrechtsverletzungen durch die Ranger aus Thailand sind an der Tagesordnung. Die Soldateska der FNLPK von Son Sann zerfleischt sich selbst und zieht die Zivilisten in ihre inneren Streitigkeiten hinein. Rote Khmer, die gerade dabei sind, die Lager, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, zu evakuieren - und dabei noch auf die Komplizenschaft der thailändischen Behörden rechnen können. Rote Khmer, die nicht zögern, ihre eigenen Lager zu bombardieren, nur um internationalen Organisationen den Zutritt zu den Lagern zu verwehren. Rote Khmer schließlich, die kaltlächelnd diejenigen erschießen, die nach all den Kriegsjahren den Gehorsam verweigern und Angkor nicht willens sind, Munition ins Landesinnere zu schaffen. Die Leidensliste dieser Menschen, die von den Großmächten zu Geiseln gemacht wurden, ist lang. Für viele der Lagerbewohner, die noch nicht einmal den Flüchtlingsstatus erhielten, gibt es keine Alternative, als ins Land zurückzukehren. Viele träumen sogar schon jetzt davon, denn für einen Bauern wird es von Jahr zu Jahr unerträglicher, hinter Stacheldraht abwarten zu müssen. Aber eine Perspektive eröffnete sich diesen Rückkehrwilligen erst bei den jetzt laufenden Verhandlungen. Zuvor fürchteten beide Seiten eine massive Rückkehr der Flüchtlinge nach Kamputschea: Die Thailänder hatten Angst, das Regime Heng Samrin/Hun Sen zu stärken, und die Guerilla sah ihr Rekrutierungspotential gefährdet.

Gegen die Trostlosigkeit in diesen Lagern nützt auch die massive Hilfe durch die ad-hoc-Institution der UNO, die „United Nations Border Relief Operation“, nicht viel. Zwar ist die Hygiene und Ernährung besser als die der kamputscheanischen Bevölkerung im Landesinneren, ja selbst als in den umliegenden thailändischen Dörfern. Aber es liegt eine Schwere in der Luft, ein „Ich weiß auch nicht“, an dem zu spüren ist, daß hier moralisches Elend konzentriert ist. Der alte Ehrwürdige einer Pagode in „Site2“, einem der Grenzlager und zugleich mit 150.000 Einwohner die zweitgrößte Khmer-Stadt nach Pnom Penh, ist verzweifelt. Für ihn ist das deutlichste Zeichen der Hoffnungslosigkeit, daß die Jugendlichen den Pagoden wegbleiben. Immer häufiger wechseln sie zum Christentum über, teils, weil nichtstaatliche Stellen sich in ihrem Bekehrungseifer gegenseitig übertreffen, teils, weil die Jugendlichen hoffen, so leichter in einem anderen Land Aufnahme zu finden.

Bewährungsprobe für das chinesisch-sowjetische Verhältnis

1979 erschien ein Artikel mit einem vielsagenden Titel: „Krieg der Sozialismen und Tod der Völker“ ('Revue esprit‘). Darin liegt das ganze kamputscheanische Problem: Krieg der Sozialismen zwischen Vietnam, dem Demokratischen Kamputschea und China - vor dem Hintergrund des chinesisch-sowjetischen Konflikts. Und hier kann auch nur der Schlüssel für eine Lösung zu finden sein: Seit die Sowjetunion ihren Rückzug aus Afghanistan begonnen hat, seit über den Grenzverlauf der mongolisch-chinesischen Grenze verhandelt wird, blieb nur das Kamputschea-Problem zu regeln, um die beiden kommunistischen Großmächte einander anzunähern. Offensichtlich sehen die Chinesen in diesen Fragen kein Hindernis mehr für einen chinesisch-sowjetischen Gipfel. Bleibt die Frage, bis zu welchem Grad Peking auf die Roten Khmer Einfluß nehmen kann. Und: ob das kamputscheanische Problem als Nebenprodukt der Beziehungen zwischen Moskau und Peking analysiert werden kann oder ob die Komponente des chinesisch-vietnamesischen Verhältnisses nicht mindestens so wichtig ist. Mit dem Besuch des stellvertretenden vietnamesischen Außenministers in Peking zeichnen sich immerhin Fortschritte zwischen Hanoi und Peking ab. Der Stellvertreterkrieg zwischen dem Reich der Mitte und seinen südlichen Nachbarn könnte damit seinem Ende entgegen gehen.

Ein alter Gesichtslehrer des ehemaligen Descartes -Gymnasiusm von Pnom Penh erklärt: „Seit mehrern hundert Jahren hat Kamputschea nichts anderes erlebt als Kriege. Vor 1970 gab es eine kleine Pause, als Frankreich mit seiner Intervention verhinderte, daß das Khmer-Köngreich sich in eine siam-vietnamesische Kolonie verwandelte. Mit dem Eintritt Kamputscheas in den amerikanischen Krieg knüpfte die Geschichte der Khmer an ihre alte Tradition an. Ob sie jetzt in der Lage sein werden, sich zu vertragen? Ich habe da meine Zweifel. Die Hilfe wird wieder einmal vom Ausland kommen.“

Europa soll zwischen den Großmächten vermitteln

An Hilfswilligen aller Sorten mangelt es nicht, die ihr Scherflein dazu beitragen wollen, Kamputschea mitaufzubauen. Die Motive sind nicht schwer zu erraten: Japan ist dabei, die Infrastrukturen einzurichten, die es ihm erlauben werden, sich das Monopol auf den Autohandel zu sichern, und, vor allem, die Waldressourcen des Landes auszubeuten. Das erste japanische Sägewerk wird noch dieses Jahr eröffnet. Aber die Regierung in Pnom Penh hat wegen der Wirtschaftsblockade keine große Wahl. In den Reisfeldern, unter den Hufen der Büffel, finden sich nun einmal nicht die wertvollen Devisen, mit denen der Wiederaufbau des Landes fortgeführt werden kann.

Ein Sprichwort der Khmer sagt: „Stolz wie ein leerer Reishalm“ (denn der Reishalm bleibt solange aufrecht stehen, wie die Körner an ihm noch nicht reif sind). Die Khmer ziehen es vor, die Ressourcen dort zu suchen, wo sie zu finden sind: in Japan, Singapur und sogar immer mehr in Thailand, wo die Geschäftswelt einer Öffnung nach Indochina positiv gegenüber steht. Wie die Vietnamesen, wie die Laoten, drehen auch die Kamputscheaner den Kopf - zum fernen Europa. Zu weit entfernt, um in diesen postkolonialen Zeiten gefährlich sein zu können, eine vereinte Staatengemeinschaft, die gegenüber den Großmächten und ihren regionalen Hegemonialgelüsten ein Gegengewicht bilden kann, erscheint manchen Funktionären im Außenministeriums Pnom Penhs wie ein Lichtblick. Aber können die Europäer, die so sehr mit eigenen Problemen beschäftigt sind, diese Hoffnung überhaupt wahrnehmen?

Der alte Sithorn zuckt die Schultern. Er hat mehrere Generationen junger Kamputscheaner in den Krieg ziehen sehen. Und nicht ohne Stolz zeigt er selbst die Narben alter Kriege, in denen er sich in der Uniform seiner Kolonialmacht für ein Land schlagen durfte, das nicht das seine war. Für dieses Europa, das jetzt vereinigt ist, hat er sein Blut vergossen und von dort erwartet er jetzt etwas: „Kniom sangkoem tha...“, sagt er, „Ich hoffe es.“ Nur diese Hoffnung bleibt ihm. Und die Gewißheit, daß, wie auch immer, die alte Erde von Angkor noch einmal davonkommen wird.

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