Irland: Händereiben bei Namen und Reichen

Trotz ihrer Sparpolitik sitzt die Regierung in Dublin fest im Sattel / Wegen des „Erholungsprogramms“ können viele nicht einmal Strom und Kohlen bezahlen  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Dreh mal das Radio etwas lauter“, sagt Treasa. „Ich will mal hören, welche Sauerei sie mit ihrem Haushaltsplan diesmal ausgeheckt haben.“ Treasa sitzt im Sozialdienstbüro in Dublins südlicher Innenstadt. Das Viertel gehört zu den ärmsten Teilen der irischen Hauptstadt. Die Arbeitslosigkeit beträgt hier fast 50 Prozent. Auch Treasa hat keinen Job. Sie wohnt mit ihrer 89jährigen Mutter in einer kleinen Sozialbauwohnung in einem heruntergekommenen Betonsilo. Weil sie der Elektrizitätsgesellschaft über tausend Mark schuldet, hat man ihr den Strom abgestellt. Treasa fragt die Sozialarbeiterin, ob sie etwas dagegen unternehmen könne. Das Büro wurde vor acht Jahren von den Bewohnern des Viertels eingerichtet. Zwar wird es vom Staat subventioniert, muß aber einen Großteil der Gelder durch Wohltätigkeitsveranstaltungen selbst aufbringen. „Ich weiß, daß wir dem Staat durch unsere Arbeit in diesem Viertel den Rücken freihalten“, sagt Mary, die Sozialarbeiterin. „Aber sollen wir denn zusehen, wie die Leute vor die Hunde gehen?“

Der Haushaltsplan für 1989 enthält keine guten Nachrichten für Treasa. Letzte Woche verabschiedete das Parlament den Etat für 1989. Die konservative Fianna-Fail-Regierung setzt auch in diesem Jahr ihr „nationales Erholungsprogramm“ fort. Noch immer gehört Irland zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt, wenn man es pro Kopf der Bevölkerung rechnet. Durch drastische Kürzungen von über 600 Millionen Mark soll die Staatsverschuldung unter Kontrolle gebracht werden. Die Neuverschuldung wird in diesem Jahr 5,3 Prozent des Bruttosozialprodukts betragen. Zum ersten Mal seit zwei Jahren, als das „Erholungsprogramm“ begonnen wurde, erwartet die Regierung wieder ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent. Zwar hat die Sparpolitik dazu geführt, daß die Zinssätze fielen und die Inflationsrate auf 2,1 Prozent gedrückt werden konnte, doch stieg die Zahl der Arbeitslosen auf eine Rekordhöhe von über 20 Prozent.

Noch drastischer wäre die Zahl ausgefallen, wenn nicht in den letzten zwei Jahren 70.000 Menschen aus Irland ausgewandert wären. Allerdings ist das keineswegs eine neue Tendenz: Die Hälfte aller Kinder, die in diesem Jahrhundert in Irland geboren wurden, haben die Insel später verlassen müssen, um zu überleben. Regierungschef Charles Haughey versprach für dieses Jahr 13.000 neue Arbeitsplätze. Unabhängige Wirtschaftsexperten sind weniger optimistisch und rechnen höchstens mit der Hälfte - bei 242.000 Arbeitslosen ein Tropfen auf den heißen Stein.

Neben der Peitsche verteilte Finanzminister Albert Reynolds bei der Bekanntgabe des Budgets am vergangenen Mittwoch auch etwas Zuckerbrot in Form von Steuererleichterungen, die jedoch hauptsächlich den höheren Einkommensschichten zugute kommen. Der Höchstsatz wurde von 58 auf 56 Prozent gesenkt, die Standardrate beträgt jetzt 32 Prozent. Für die Sozialhilfeempfänger blieben nur die Krümel übrig. Sie erhalten drei Prozent mehr Geld, während Langzeit -Arbeitslose eine Zulage von zwölf Prozent bekommen - zwölf Prozent von 110 Mark in der Woche. Die Kosten dafür will die Regierung durch Steuererhöhungen für Benzin, Zigaretten und Alkohol wieder reinholen.

Bisher hat noch jede irische Regierung auf das todsichere Mittel zurückgegriffen, die Schwächen ihrer Landsleute auszunutzen. Die Biersteuer ist die höchste in der Europäischen Gemeinschaft, die Steuer auf Spirituosen ist gar doppelt so hoch wie in allen anderen EG-Ländern. In Anbetracht der Tatsache, daß mit der Einführung des Binnenmarkts im Jahr 1992 die Steuern in der EG angeglichen werden sollen, sind Schwierigkeiten für den irischen Staatshaushalt bereits vorprogrammiert.

Die Regierung sitzt trotz ihrer Sparpolitik fest im Sattel. Die beiden größten Oppositionsparteien, Fine Gael und die erzkonservativen Progressive Democrats, stimmten den Kürzungen grundsätzlich zu. Zusammen verfügen die drei Parteien über 90 Prozent der Parlamentssitze. Fine Gaels Plazet überraschte nicht, betreibt Fianna Fail doch eben jene Wirtschaftspolitik, mit der die damalige Koalitionsregierung aus Fine Gael und der Labour-Party bei den Wahlen im Februar 1987 durchgefallen war. Haughey war damals der schärfste Kritiker der geplanten Haushaltskürzungen gewesen. Kaum war er Premierminister, verwirklichte er zur Verblüffung der Nation den Haushaltsplan, mit dem die Koalitionsregierung gescheitert war. Der Rotstift wurde vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich angesetzt.

Während der Haushaltsdebatte am letzten Mittwoch demonstrierten 400 Studenten vor dem Parlamentsgebäude gegen die Kürzungen, wobei es mehrmals zu einem Handgemenge mit der Polizei kam. Im Gebäude selbst ging es dagegen harmonisch zu, wodurch sich Finanzminister Reynolds in völliger Verkennung der Tatsachen zu der Bemerkung hinreißen ließ, der „Geist der Nation“ sei entflammt.

Ich glaube eher, daß sein Gehirn entzündet ist“, sagt Treasa. „Mit den zehn Mark mehr pro Woche kann ich meine Stromrechnung auch nicht bezahlen.“ Treasa zeigt aus dem Fenster. Nur wenige hundert Meter entfernt liegt der vornehme Merrion Square, der wegen seiner georgianischen Türen zu einer Touristenattraktion geworden ist. Trotz der räumlichen Nähe liegen zwischen den beiden Vierteln Welten. „Da drüben wohnen die Leute, die sich jetzt die Hände reiben können, weil sie nun noch weniger Steuern zahlen müssen“, sagt Treasa. „Unsereins reibt sich auch die Hände - aber vor Kälte, weil wir uns nicht genügend Kohlen leisten können.“