Berlins weltoffenes Image ist angeschlagen

■ Auch die internationale Presse ist überrascht / Sonderkorrespondenten aus aller Welt forschen nach den Ursachen für den Erfolg der Republikaner / Insbesondere die türkische Presse zeigt sich besorgt / Spontandemonstration wirkt als Ehrenrettung

Berlin (taz) - Berlin hat es geschafft, wieder in die Schlagzeilen der internationalen Presse zu gelangen. „Kaum hatte der Ticker die Berliner Wahlergebnisse ausgespuckt, griff unser Chefredakteur zum Telefon und buchte einen Flug nach Berlin.“ Wie Enrique Clemente von der spanischen Tageszeitung 'Diario 16‘ kamen die Sonderkorrespondenten seit Montag nachmittag in Scharen am Flughafen Tegel an. Alle großen spanischen Zeitungen haben Aufmacher zum Erfolg der Republikaner gebracht, 'Diario 16‘ widmet in seiner gestrigen Ausgabe dem ehemaligen Waffen-SSler Schönhuber eine ganze Seite. „Wir verstehen es einfach nicht, wie gerade in Berlin, der Stadt der Avantgarde und der Kultur, so ein Ergebnis passieren konnte“, sagt Enrique Clemente.

Tatsächlich haben die Republikaner in wenigen Stunden zerstört, woran ganze Generationen von Regierenden Bürgermeistern gearbeitet haben und wofür Millionen in die Etats der Kultursenatoren gestopft wurden: das Image Berlins als kosmopolitische, weltoffene Stadt. Dominique Audibert von der Pariser Wochenzeitung 'Le Point‘ fielen bei dem Namen „Berlin“ bislang bunte Mauergraffiti, Checkpoint -Charly-Romantik und Kulturfestivals ein. Seit er am Dienstag im Büro der Republikaner mitansehen mußte, wieviele Leute hereinkamen, um sich als Parteimitglieder eintragen zu lassen, versteht er die Welt nicht mehr: „Mir ist unbegreiflich, woher dieses Berlin auftaucht.“ Ob Barschelaffäre und Kohls Eiertanz um die Giftgasfabrik in Rabta nicht Gründe für die Staatsverdrossenheit der Bürger seien? In jedem Fall sei es skandalös, daß die Alliierten einer rechtsradikalen Partei die Wahlgenehmigung nicht entzogen hätten.

Die Waldheim-erprobten Österreicher sind gelassener. Die sozialistische 'Neue AZ‘: „Alles regt sich auf... Aber sollte man die ganze Chose nicht doch ein bißchen nüchterner sehen? In den westlichen Demokratien Europas dürfte das Potential für autoritäre rechte Kräfte überall so um die fünf bis zehn Prozent liegen. Meist verbergen sie sich in den großen konservativen Parteien... In Frankreich kennen wir das Phänomen Le Pen. Aber auch hier zeigt sich, daß organisierter Rechtsradikalismus eine temporäre Angelegenheit im Nachkriegseuropa ist. Der Höhenflug Le Pens dürfte zu Ende sein.“

Für die türkischen Zeitungen sind die elf Sitze der Republikaner im Abgeordnetenhaus seit drei Tagen ein Thema für die Seite eins. Die auflagenstärkste Tageszeitung 'Hürriyet‘ titelt: „Türken in Panik“ und schreibt, daß Berlins Ansehen als internationale Stadt Schaden genommen habe. „Wenn diese Leute (die Republikaner, d. Red.) morgen im Parlament sprechen werden, dann werden sie auch rufen: 'Ausländer raus!‘.“ Zur Beruhigung ist neben der Schlagzeile ein entschlossen dreinblickender Kohlkopf abgebildet, und der Kanzler wird zitiert: „Die Ausländerpolitik wird nicht geändert.“

Die bundesdeutsche Ausgabe der Boulevardzeitung 'Gazete‘ veröffentlicht einen Leserbrief eines Türken aus Berlin: „Ich lebe seit vielen Jahren in Berlin und habe hier viele deutsche Freunde und Nachbarn. Jetzt kommen irgendwelche Leute mit Slogans gegen Ausländer und sagen, sie würden das deutsche Volk vertreten. Wie ist es möglich, daß nationalistische Parteien in das Parlament gewählt werden? Das ist keine Demokratie.“ Ein anderer Leser wird mit den Worten zitiert, er sei erstaunt, was alles aus den Wahlurnen herausgekommen sei. „Bisher glaubte ich, die Politiker wollten der Schlange Ausländerfeindlichkeit den Kopf abschlagen - jetzt hat sie sogar Kinder bekommen!“

Dennoch ist es weniger das Wahlergebnis der Rechtsradikalen, das die türkische Presse drei Tage danach beschäftigt, als die politischen Folgen in der Bonner Politik. Die nationalistische 'Tercüman‘ titelt auf ihrer gestrigen Seite drei mit Originalton Theo Waigel: „Die Ausländerpolitik wird verschärft.“ Und der Kommentator klagt die „Sprechweise Hitlers“ an, die in einer dubiosen Meldung eines Frankfurter Radios zum Ausdruck käme, das von 100 Millionen Türken in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2000 gesprochen hätte. Als einzige türkische Zeitung bezeichnet 'Tercüman‘ die selbsternannten „Republikaner“ als Neonazis.

Ob noch so viele Jubelkonzerte und Vierfarbprospekte Berlins ramponierten Ruf wieder hinbiegen können werden, ist zweifelhaft. Sicher ist nur, daß jeder künftige Regierende Bürgermeister den „Chaoten und Krawallbrüdern“ dankbar sein wird, die am Sonntag abend vor dem Rathaus Schöneberg riefen: „Nazis raus - Ausländer rein“. Denn jede internationale Zeitung, die über die Berliner Wahl berichtete, erwähnte auch diese Spontandemonstration: Als offenbar einzigen Hinweis auf ein noch existierendes, weltoffenes Berlin.

smo