Was macht der Laserstrahl im Kuhstall?

■ Der atemberaubende Weg ins Jahr 2000 / Ein Besuch der „Grünen Woche“ in Berlin von Manfred Kriener

Die Landwirtschaft auf dem Weg ins nächste Jahrtausend. Fortpflanzungstechnologen besetzen die Gebärmütter, Melkroboter hängen am Euter. Die diesjährige „Grüne Woche“ in Berlin, die am Wochenende ihre Tore schließt, gibt einen Einblick in die Entwicklung und (Alp-)Träume der Landwirtschaft und präsentiert erstmals eine Sonderschau „Biotechnik“. Nach Meisje und Käsehappen ein Blick auf das schweinische Gen-Reservoir und auf tiefgefrorene Rinderembryonen.

„Papa, was ist das?“ nervt der Steppke in Halle 2. Sein Fingerzeig auf eine Gerätschaft, die inzwischen zum Alltag der Landwirtschaft gehört, bringt den Vater sichtbar in Verlegenheit. Die korrekte Antwort erspart sich der Mann: er macht aus der original kuhhautüberzogenen mobilen Attrappe zur Gewinnung des Bullen-Samens ein „Spielzeug“ für den Stier und sorgt elegant für Themenwechsel.

Der Bulle selbst steht in voller Pracht daneben und zieht eher gelangweilt die taxierenden Blicke vor allem der Männer auf sich. Einen leibhaftigen „Sprung“ auf die Kuh-Attrappe will man ihm und dem Messepublikum nicht zumuten, und so hat denn der Messestand zu künstlicher Besamung und Embryo -Transfer wenig Publikumswirksames zu bieten.

Die ausgestellten Pipetten und medizinischen Spezialgeräte zur Implantation und Ausspülung der Embryos können kaum eine sinnliche Erfahrung von dem vermitteln, was moderne Rinderzucht heute wirklich bedeutet. Bleiben den Besuchern ein paar dürre Zahlen und ein Blick auf fünf „Vollgeschwister aus Embryo-Transfer“, die unweit des Bullen friedlich im weichen Berliner Stroh liegen.

Nach der offiziellen Statistik wurden 1987 in der Bundesrepublik von 1.821 Kühen 18.775 Embryonen gewonnen. Von diesen wanderte zunächst die Hälfte als degeneriert in den Mülleimer. Als transfertauglich eingestuft wurden 9.873, übertragen wurden 8.450 Embryonen. Die Trächtigkeitsrate lag bei 58 Prozent, womit also rund 5.000 Kälber aus Embryo -Transfer im Jahre 1987 das Licht dieser Welt erblickten.

Und so funktioniert der Embryo-Transfer: Das ausgewählte „Spendertier“ wird ab dem 8.-12.Zyklustag mit Hormonen behandelt, um die sogenannte Superovulation einzuleiten, also eine Entwicklung von möglichst vielen befruchtungsfähigen Eizellen. 36 bis 48 Stunden nach Beginn der Hormonbehandlung wird mit Beginn der Brunstsymptome die Kuh im zwölfstündigen Rhythmus zwei- bis dreimal künstlich besamt. Am siebten Tag können dann die Embryonen „unblutig entnommen“ werden: mit Spezialpipetten dringt man in den Gebärmutterhals der Kuh vor, spült eine Spezialflüssigkeit ein und saugt die Embryonen ab.

Der nächste Schritt ist „die Bewertung des Embryomaterials“. Durch die hormonale Überstimulierung der Tiere kommen Hormonhaushalt und Stoffwechsel ins Schleudern. Die Folge umschreibt das Messe-Info elegant als „ungünstiges Milieu für die Befruchtung und Entwicklung im Eileiter und Uterus“. Auch die latente Keimbesiedlung sorgt für Funktionsstörungen in Eileiter und Gebärmutter. Eine große Zahl an degenerierten und unbefruchteten Eizellen ist die Konsequenz. Ein Drittel aller Tiere ist darüberhinaus für die Embryonengewinnung grundsätzlich nicht oder nur schlecht geeignet, weil das Follikel-Wachstum zu stark oder zu schwach ist und zu wenig Embryonen produziert werden.

Die Übertragung der „hergestellten“ Embryonen erfolgt auf ein zyklussynchrones Empfängertier über Pipette ins Gebärmutter-Horn. Zwei entscheidende Hilfsmittel hat die Fortpflanzungsindustrie als wichtige Zusatz-Techniken für den Embryo-Transfer entwickelt: die Tiefgefrierkonservierung und die Teilung von Embryonen. Durch Tiefgefrierung bis auf

-32 Grad in flüssigem Stickstoff wird der Rinderembryo zum Handelsgut. Er kann aufbewahrt und weltweit exportiert werden. Allerdings bleiben die Transferergebnisse bei tiefgefronenen um 10 Prozent hinter den Frischembryonen zurück.

Die zweite Zusatz-Technik, die Teilung von Embryonen, erhöht wiederum die Ausbeute und verdoppelt die Reproduktionsrate. Teilung bedeutet die künstliche Herstellung von eineiigen Zwilligen: das aus 60-120 Zellen bestehende Embryo wird mit einer chirurgischen Mikroklinge halbiert. Eine Hälfte wird abgesaugt und in die zuvor entleerte Hülle eines degenerierten Embryos eingesetzt. „Der Vorgang dauert fünf Minuten“. Die Trächtigkeitsrate wird durch die Embryo-Teilung angeblich nicht beeinflußt. Hauptziel des Embryo-Transfers ist die gezielte Weitergabe von hochwertigem Zuchtmaterial. Mittelmäßige Ammen-Kühe werfen Spitzenprodukte.

Doch was die einen als Spitzenkuh verstehen, ist für die anderen eine Spritzenkuh. Kritiker monieren, daß die Zuchtprogramme des Embryo-Transfers einseitig auf wenige Merkmale getrimmt sind, hauptsächlich auf maximale Milch -Leistung. Ergebnis: Häufig würden „Wegwerfkühe“ produziert, frühreife Tiere mit großem Euter und schwachem Fundament, die krankheitsanfälliger sind und nach kurzer Nutzungsdauer ausgemergelt auf die Schlachtbank wandern.

Aber vor allem die Verarmung der genetischen Ressourcen ist eine wesentliche Konsequenz der neuen Fortpflanzungstechnologien. Als Vererber werden nur die unter wirtschaftlichen Prämissen ausgewählten Spitzentiere verwendet. Selbst Befürworter des Embryo-Transfers warnen bereits, daß Langlebigkeit, Streßstabilität, Durchhaltevermögen und Fruchtbarkeit zu kurz kommen und verstärkt als Positiv-Kriterien in die Zuchtprogramme einbezogen werden müßten.

Den endgültigen Durchbruch könnte der Embryo-Transfer durch die Vorab-Geschlechtsbestimmung schaffen, die bisher noch nicht gelungen ist. Da die meisten Züchter nur an weiblichen Nachkommen interessiert sind, würde dies zu einer erheblichen Rationalisierung der Rinder-Herstellung führen.

Der nächste Schritt wäre dann die Produktion „transgener“ Kühe: Je nach Bedarf könnte ein fremdes Gen in die Keimbahn eingesetzt werden, um so eine besondere Schnellwüchsigkeit, hohe Milchleistung etc. zu erzielen.

Bei den Schweinen ist die Forschung schon heute auf den Gen -Transfer konzentriert. Anders als beim Rind kann hier der Embryo-Transfer nicht in breitem Umfang eingesetzt werden, denn Schweine-Embryonen können derzeit nur chirurgisch oder nach Schlachtung der Sauen übertragen werden.

Beim Gen-Transfer wurde in den USA Schweinen ein artfremdes Wachstumshormon-Gen implantiert. Die Nachkommenschaft wuchs tatsächlich sehr schnell, konnte sich aber kaum auf den Beinen halten. Die Tiere brachen mit schweren Gelenkschäden zusammen.

Inzwischen wird - auch in der Bundesrepublik - mit gentechnologisch hergestelltem Wachstumshormon vom Schwein experimentiert. Durch die Einsetzung von Genen, die Streß und Krankheitsresistenzen fördern sollen, wird außerdem versucht, die Wesensart der empfindlichen Schweine zu verändern und im Sinne leichterer Handhabung zu optimieren. Für solche Gen-Transfers müßten die methodisch -handwerklichen Fähigkeiten der Gen-Ingenieure aber noch „ganz wesentlich erweitert“ werden, fordert das Messe-Info.