Zwangssterilisation begrenzt legal

Betreuungsgesetz vom Kabinett gebilligt / Altes Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht soll reformiert werden / Kompromiß sieht Sterilisationsmöglichkeit in „Notlagen“ vor / Kritik von Behindertenverbänden  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die Sterilisation von geistig Behinderten ohne deren Einwilligung wird von der Bundesregierung in eingeschränkter Form legalisiert. Damit wurde im Rahmen des neuen Betreuungsgesetzes, das gestern vom Kabinett gebilligt wurde, ein Kompromiß zwischen den Ministerien für Justiz und Gesundheit gefunden, der öffentlichen Kritik an der Zwangssterilisation jedoch nur zum geringeren Teil Rechnung getragen. Das Betreuungsgesetz reformiert ansonsten, weitgehend unumstritten, das überalterte Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht und schafft die pauschale juristische Entmündigung von Menschen ab. Derzeit stehen etwa 250.000 BundesbürgerInnen unter Vormundschaft oder Gebrechlichkeitspflegschaft. Der Sterilisation einer sogenannten „nicht einwilligungsfähigen“ Behinderten kann der Betreuer künftig zur „Abwehr schwerwiegender Notlagen“ zustimmen. Eine solche Notlage sieht der Gesetzentwurf als gegeben an, „wenn infolge der Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes“ der Schwangeren zu erwarten wäre. Damit ist der Sterilisationsparagraph zwar enger gefaßt als im ursprünglichen Entwurf des Justizministeriums, läßt aber weiten Ermessensspielraum für die entscheidenden Gutachter zu.

Eine Sterilisation kann zum Beispiel verordnet werden, wenn das künftige Kind von seiner Mutter getrennt werden müßte. „Rechtsstaatliche Garantien“ sollen dabei die Rechte der Betroffenen sichern, erläuterte Minister Engelhard.

Selbst wenn Behinderte erst beim Anblick des Operationstischs Abwehr signalisierten, dürfe die Sterilisation nicht durchgeführt werden. Die Neue Richtervereinigung, die die Sterilisation ohne Einwilligung der Betroffenen als grundrechtswidrig kritisiert hatte, bezweifelt, daß ein Arzt sich dann noch von dem Eingriff abbringen lassen werde.

KritikerInnen aus der Behindertenbewegung befürchten, daß von der legalen Zwangssterilisation vor allem Frauen betroffen sein werden. Engelhard zufolge soll das Gesetz die Praxis der Sterilisation deutlich einschränken. Bisher würden ohne gerichtliche Kontrolle jährlich etwa 1.000 geistig Behinderte sterilisiert. Künftig sei die ser Eingriff bei Minderjährigen verboten.