Mit Motorrad getötet

■ Neuauflage eines Prozesses: 19jährige vor den Augen ihres Vaters angefahren und 56 Meter mitgeschleift / Staatsanwalt will Freiheitstrafe jetzt abbüßen lassen

Wenn es vor Gericht nach dem sogenannten Volksempfinden ginge, sähen die beiden jungen Angeklagten alt aus. Die Tatwaffe: ein schweres 100-PS-Motorrad, ausgelegt auf 230 Kilometer Spitze pro Stunde. Der Tatort: Neuenlander Straße. Eigentlich vorschriebene Geschwindigkeit: 50 km/h. Tatsächliche Geschwindigkeit laut Gutachter: 110 bis 140 km/h. Das Opfer: die gerade 19jährige Birgit K., Abiturientin, die gerade zu Fuß ihr Rad in Höhe der Delmestraße über die menschenleere Straße schieben will. Weit hinter der Ampel Flughafendamm warten Autos auf Grün. Nur Sekunden später rasen zwei höllenlärmende Maschinen heran. Vor einer kann Birgit K. wegspringen, die zweite erfaßt sie in einem Funkenhagel, schleift sie vor den Augen des entsetzten Vaters 56 Meter weit mit. Birgit stirbt eine Stunde später im Krankenhaus. Der eine Motorradfahrer liegt schwerverletzt eine Woche im Koma.

Zum zweitenmal wurde gestern vor einem Bremer Gericht der tragische Vorfall aufgerollt. Im letzten Verfahren vor dem Amtsgericht hatte der Richter dem eigentlichen Verursacher, Uwe L., heute knapp 25 Jahre, zwei Jahre Freiheitstrafe zuerkannt, dessen Freund auf der anderen Maschine, Detlef M., knapp 26, eineinhalb Jahre, beides auf Bewährung. Dazu Führerscheinentzug von zwei bzw. eineinhalb Jahren. Begründung: Zwar habe Detlef M. „nicht unmittelbar den Tod des Mädchens herbeigeführt“, sei aber durch seine Beteiligung „an einer Art Wettfahrt fahrlässig“ am Unfall beteiligt und verantwortlich.

Eine ganze Reihe von Zeugen hat erlebt, wie zwei junge Männer auf ihren Maschinen „in wahnsinniger Geschwindigkeit“ und „wie die Irren“ auf dem Autobahnzubringer und später in der geschlossenen Ortschaft heranrasten, sogar in einer Baustelle auf der einzigen Spur rechts und links

noch PKW überholten. Detlef M. ist Mechaniker in einer Reparaturwerkstatt in Zeven und unternahm am Abend des 8.9.87 angeblich eine Probefahrt mit der hochfrisierten Maschine eines Kunden. Uwe L. kam auf seiner eigenen Maschine mit. Der Staatsanwalt will es nach dem erklärten Motto „Strafrecht ist Moral!“ bei der Bewährung nicht lassen: „Ich meine erreichen zu müssen, daß die Freiheitsstrafen verbüßt werden. Das ist ein Anliegen der Allgemeinheit.“ Er hat ebenso Berufung eingelegt wie die beiden Verteidiger. Nach deren Vorstellung allerdings soll Detlef M. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden - er kam ja an der späteren Unfallstelle gerade noch vorbei. Der Anwalt von Uwe L. versucht, die Bewährung zu halten.

Die noch immer fassungslosen Eltern der Birgit K. verfolgen jeden Tag der Verhandlung. Der Vater ist erbittert darüber, daß sich Uwe L., noch im Kranken

haus, schon wieder um eine Fahrerlaubnis bemüht hatte. Die beiden Rennfahrer gaben sich gestern lammfromm. Haupttäter Uwe F., mit unfallbedingtem totalen Erinnerungsverlust, der nach einer Schädelplatten-Operation reglos und fast roboterartig wirkt: „Das ist mir noch nie passiert.“ „Stimmt nicht“, konterte der Richter und spielte auf alte Geschwindigkeitsvergehen an. Detlef M., Mitglied im Motorradclub „MC Street-Dogs e. V.“, will „ganz vorschriftsmäßig“ nur 80 bzw. 50 km/h gefahren sein. Der Raser sei ein dritter, unbekannter Motorradfahrer gewesen. Juristisch hochumstritten ist die Frage, ob eine fahrlässige, also nicht vorsätzliche Tötung überhaupt gemeinschaftlich begangen werden kann. Das läßt sich nur halten, wenn der gemeinsame Vorsatz der Wettfahrt, des Sich -Hochgeilens an der Geschwindigkeit, begründet werden kann. S.P

Urteil am 16.2., Landgericht . 321