In hack signo vinces

■ „Das Neue Testament“ des Chaos Computerclub

Im Jahre 1985 war die Hackerbibel den in ihren Computerkatakomben vereinsamenden Aposteln einer neuen Zeit verkündet worden. Zweieinhalb Jahre nahmen sich die Chaos -Computerclub-Jünger Zeit, um die Weisheiten im neuen Testament zusammenzutragen. Die Erwartungen an die Hackerbibel 2 waren hoch, war doch die alttestamentarische Lektüre ein Meilenstein auf dem Weg subversiver Erkenntnis in der Hackerscene gewesen. Sie war der Ausdruck der Frühzeit einer sich instinktiv formierenden und antiautoritär ausrichtenden Bewegung. Diese war auf ihre unkompliziert funorientierte Weise ein Beispiel dafür geworden, wie fortgeschrittenste Teile der Jugend sich den echten Fortschritt zu eigen machen und ihm die richtige Richtung weisen.

Seit Erscheinen der Hackerbibel 1 ist die Welt der integrierten Schaltkreise ohne Zweifel noch weiter in die Computer-Neuzeit katapultiert worden. Ökonomisch betrachtet wurde der „Computermarkt“ vom „Anbietermarkt 1985“ zum „Nachfragermarkt 1988“, total geprägt durch Konkurrenz und Marketing mit allen Vor- und Nachteilen. In unserer Gesellschaft bedeutet das die „Demokratisierung“ dieser Technologie. Ein Modembauplan, wie in der Hackerbibel 1 abgedruckt, würde heute kein Aufsehen mehr erregen. Von einem neuen Testament wären also ganz andere Weisheiten zu erwarten: Anregung und Kanalisierung neuer Ideen, Beschreibung der Rolle der Hacker und Phänomenologie der Scene, Entwicklungen und Anwendungen, kurzum State of the Art und Geschichte der Computerisierung.

Theorie wäre so wichtig für eine sich autonom formierende Bewegung, gerade wenn sie sich noch gar nicht als solche begreift. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die Hackerscene sich orientierungslos verliert.

Nun prägte aber ein Steffen Wernery vom Chaos Computerclub in Fernsehen und Presse das Hackerbild, als verstünde sich der Chaos Computerclub als freiwillige Datenpolizeireserve, die die Industrie, Benefiz versteht sich, vor Lücken und Löchern in ihren Großrechnern zu warnen sich verpflichtet fühlt. So legt man die Axt an die Wurzeln des schöpferischen Hackertums.

Der Hackerpoet Poetronic äußert sich im hackerbiblischen Brainstorming Chaos Talks: „Es gibt verschiedene Ähnlichkeiten zwischen Programmiersprachen und Musik. Die Forth-Leute sind für mich so die Freejazzer. Forth ist genauso schwer verdaulich wie Freejazz. Nur für Assembler hab ich noch kein richtiges Musikanalogon gefunden. Vielleicht Industrial Rock oder so, stimmt auch nicht ganz. Burundi Beat, ja, dom dum dom dum. C ist elegante Popmusik. Basic ist deutscher Schlager. Und Occam hab ich noch nicht kategorisiert. Occam ähnelt „ner Orchesteraufführung. Occam ist opernhaft.“

Solche Sätze prägen leider nur jede dreißigste Seite der rund 250 Seiten Hackerbibel 2. Mühsam kämpft man sich durch Wau Hollands Vortrag vor den Jusos, um schließlich seine Zukunftsvorstellungen kennenzulernen: „Telefonate, Telex, Telefax und so weiter müßte man um jeden Preis mindestens mal durch 100 teilen, um da mal zu einem reellen Preis zu kommen. Das hat politisches System. Es geht darum, die Kommunikation von Menschen einzuschränken, um sie politisch beherrschbar zu machen.“

Offenbar übersieht der Referent, daß der Telekommunikationsmarkt wie kein anderer profitorientiert ist und als „junger Markt“ streng den dabei geltenden kapitalistischen Gesetzen folgt. Der Eindruck, den das wild Zusammenkopierte hinterläßt, könnte auch Ausdruck des gegenwärtigen Zustands der Dachorganisation Chaos Computerclub sein. (Was ist eigentlich aus meinem Datenschleuderabo geworden?!) Vermißt man schon den roten Faden, schmerzt um so mehr das Fehlen dessen, was in der Hackerbibel 1 originell war. Eigenständige Beiträge fehlen fast ganz, die Nachdrucke wie Echte Programmierer meiden Pascal in Ehren, aber wer hat das nicht schon auf jeder zweiten Public-Domain-Diskette gelesen?

Harro Heilmann

In hack signo vinces. Hackerbibel Teil 2. Das neue Testament. Chaos Computerclub (Hrsg.), Der Grüne Zweig 124, Red.: Werner Pieper, 6942 Löhrbach