Afghanische Flüchtlinge vor ungewisser Zukunft

Das Problem der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan bleibt weiterhin ungelöst / Der Zustrom aus den umkämpften Provinzen hält an - nur wenige der Flüchtlinge entschließen sich bereits zur Heimkehr / Pakistans Regierung will keine weiteren Flüchtlinge registrieren  ■  Aus Peshawar R.Yusufzai

Über 20.000 afghanische Flüchtlinge kamen in den letzten zwei Monaten über die Grenze nach Pakistan. Am Vorabend des sowjetischen Truppenabzugs brachten sie sich vor den schweren Gefechten zwischen Regierungstruppen und ihren bewaffneten Gegnern in den afghanischen Grenzprovinzen in Sicherheit. Nach den Bestimmungen des Genfer Abkommens, das im April letzten Jahres unterzeichnet wurde, läuft das Ultimatum für den sowjetischen Rückzug am 15.Februar ab. Die jüngsten Flüchtlingsströme kommen zum Großteil aus der Grenzprovinz Nangrahar, wo die Mudschaheddin bedeutende Erfolge erzielen konnten und sich nun zum Sturmangriff auf die Hauptstadt Dschalalabad vorbereiten.

Die Neuankömmlinge, zumeist alte Männer, Frauen und Kinder, haben ihr Heim in den Distrikten Khewa, Goshta und Kama zurückgelassen, aus denen sich die afghanischen Truppen und Stammesmilizen angesichts der drohenden Mudschaheddin -Operationen zurückkgezogen haben. Die heimatlosen Afghanen nehmen lange Fußwege durch schwieriges Berggebiet und schneebedeckte Täler auf sich, um Pakistan zu erreichen. Nach Auskünften der Flüchtlingskommision der pakistanischen Nordwest-Grenzprovinz überqueren täglich rund 350 Flüchtlinge die Durand-Linie.

Die meisten der Flüchtlinge sind über die Kunar-Provinz nach Pakistan gelangt, die im vergangenen Oktober von den afghanischen Soldaten geräumt wurde und nun vollständig unter Kontrolle der Mudschaheddin steht. Ein pakistanischer Beamter am Verbindungspaß zwischen Kunar und Pakistan nannte eine Zahl von 3.500 Neuankömmlingen - allein in der Woche, nachdem der Distrikt Khewa den Mudschaheddin in die Hände gefallen war. Die meisten Flüchtlinge, die den beschwerlichen Weg über die Paßhöhe auf sich nehmen, sind für das eisige Wetter schlecht gerüstet. Weinende Kinder stapfen barfüßig hinter ihren Müttern her, bieten einen traurigen Anblick. Doch die pakistanische Grenze setzt ihrem Leiden kein Ende, da die pakistanischen Behörden keine weiteren Flüchtlinge registrieren. Nur registrierte Flüchtlinge erhalten Lebensmittelrationen und werden mit dem Notwendigsten versorgt. Der Aufnahmestopp wurde verhängt, seit der Abzug der sowjetischen Truppen immer näherrückte. Dem Flüchtlingskommissar zufolge kehrten seit der Unterzeichnung der Genfer Verträge aus der Nordwest -Grenzprovinz lediglich 96 Familien mit etwa 600 Mitgliedern zurück. Die Regierung Nadschibullah behauptet dagegen, weitaus mehr Flüchtlinge seien sowohl aus dem Iran als auch aus Pakistan zurückgekommen. Nur wenige der registrierten Flüchtlinge wagen vor dem Hintergrund anhaltender Kämpfe und einer wankenden Regierung die Heimkehr. Die nichtregistrierten Flüchtlinge allerdings ziehen die Rückkehr vor, zumal ihnen die afghanische Regierung eine bessere Belohnung in Aussicht gestellt hat als die pakistanischen Behörden, die ja keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Verschleierte Drohungen von Mudschaheddin -Kommandeuren und der Führung der islamischen Sieben -Parteien-Allianz in Peshawar, in denen zurückkehrende Flüchtlinge als Sünder und Kommunistenfreunde bezeichnet wurden, haben ebenfalls viele von der Heimkehr abgeschreckt. Auch die im ganzen Land gelegten Landminen bilden eine Bedrohung für die heimkehrenden Flüchtlinge.

Es gibt in Pakistan über 3,5 Millionen afghanische Flüchtlinge - die meisten in den beiden Grenzprovinzen, der Nordwest-Grenzprovinz und Belutschistan. Die neueste Zählung bezifferte die Gesamtzahl in der Nordwest-Grenzprovinz auf 2,238 Millionen, von denen 150.000 nicht registriert waren. Diese Flüchtlinge leben in 221 Lagern in der ganzen Provinz, einschließlich 96 Lagern im Stammesgebiet an der Grenze. An manchen Orten wie in Kurram gibt es mehr Flüchtlinge als Einheimische. Im Durchschnitt gehören zu einer Familie 6,2 Personen, auf 24,46 Männer und 23,22 Frauen kommen 50,32 Kinder. Die Männer kehren immer wieder nach Afghanistan zurück, um gegen die afghanische Regierung zu kämpfen.

Die pakistanischen Behörden machen sich Sorgen über den weiteren Zustrom afghanischer Flüchtlinge, während sie eher ein Anschwellen der Rückkehrerzahlen erwartet hatten. Sie können diese Menschen nicht zum Verlassen Pakistans zwingen, nachdem sie ihnen in den vergangenen neun Jahren Zuflucht gewährt hatten; ebensowenig können sie auf die Verhältnisse in Afghanistan Einfluß nehmen, um die Voraussetzungen für ihre Heimkehr zu schaffen. Die Flüchtlinge haben viele politische, ökonomische, soziale und kulturelle Probleme aufgeworfen, obwohl es keine größere Unruhe gab Einheimische und Flüchtlinge haben die gleiche Religion, Herkunft, Sprache und Kultur.

Die pakistanische Regierung wird inzwischen von der PPP getragen, die eine ehrenhafte Rückkehr der Flüchtlinge wünscht. Islamabad ist sich jedoch der Tatsache bewußt, daß die Afghanen erst im Frieden zurückkehren wollen. Der Friede kann jedoch nur das Ergebnis einer umfassenden politischen Lösung und der Bildung einer Regierung auf breiter Basis unter Einbeziehung aller Parteien sein.

Aus Islamabads Sicht gibt zu noch größeren Sorgen Anlaß, daß die afghanischen Flüchtlinge nur zögernd in die „befreiten“ Provinzen wie Kunar und Paktika zurückkehren. In Kunar bestehen zwei rivalisierende Mudschaheddin -Regierungen, die sich gegenseitig die Legitimation absprechen. Die eine wurde von der Sieben-Parteien-Allianz in Peshawar eingesetzt, die andere von der weniger bekannten Gruppierung „Ahle Hadith“, die weitgehend von der saudiarabischen Regierung finanziert wird. Die „Ahle Hadith“ entstammt einer islamischen Denkrichtung, die in Saudi -Arabien vorherrscht, bis vor kurzem in Afghanistan jedoch völlig unbekannt war.