Degussa bestätigt Nuklearlieferung

Indien bekam unter Umgehung strikter US-Exportvorschriften Material für zwanzig Atombomben geliefert Das deutsche Unternehmen trat als Zwischenhändler eines amerikanischen Herstellers von Beryllium auf  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz/dpa) - Die „honorige hessische Firma“ (CDU -Umweltminister Weimar) Degussa bestätigte am Mittwoch, 1984 rund 95 Kilogramm Beryllium amerikanischer Herkunft an die staatliche indische Atombehörde verkauft zu haben. Beryllium kann beim Bau von atomaren Sprengköpfen zur Erhöhung der Explosionskraft eingesetzt werden. Die gelieferte Menge reicht für etwa 20 Atombomben. Degussa holte sich den Segen der Bundesregierung für den Deal, vermied es aber, sich in den USA um eine Exportlizenz zu bemühen. Der Vorfall sorgt erneut für Spannungen in den offiziellen deutsch -amerikanischen Beziehungen.

Degussa war in das 1983 angebahnte Geschäft als Zwischenhändler eingestiegen, nachdem vier Monate zuvor die US-Regierung alle Nuklearlieferungen nach Indien untersagt hatte. Damals meldeten Geheimdienste, das Atomwaffenland Indien baue nun auch an der Wasserstoffbombe. Folgerichtig wandte sich der unbekannte Beryllium-Hersteller an die Degussa, die es vorzog, das Geschäft gegenüber US-Behörden zu verschweigen. „Aus heutiger Sicht“, heuchelt eine Firmenmitteilung, „könnte auch eine amerikanische Exportlizenz erforderlich gewesen sein.“ Anders als in den USA reichte der Degussa im Bonner Wirtschaftsministerium ein Zettel der indischen Regierung für die Exportgenehmigung per Formblatt. Aus dem Wisch sei hervorgegangen, so ein Ministeriumssprecher, „daß dieses Beryllium nicht für militärische Zwecke verwendet werden soll. Die Beamten der zuständigen Ressorts haben keinen Grund gehabt, der Bestätigung zu mißtrauen.“

US-Regierungsbeamte indes äußerten am Mittwoch in verschiedenen amerikanischen Medien, Indien habe sein Atombomben-Programm immer als „friedlich“ und „nicht militärisch“ bezeichnet. Daher sei man „besorgt und irritiert“ über den neuen Fall militärisch nutzbarer Exporte aus der Bundesrepublik.

Das vermeintlich korrekte Verhalten des Bundeswirtschaftsministeriums wirkt um so verlogener, als in Bonn bekannt sein dürfte, daß der Degussa-Konzern seit Jahrzehnten an militärisch orientierten (Nuklear-)Geschäften verdient. Das Unternehmen war einer der wichtigsten Vertragskonzerne für die deutsche Wehrmacht in beiden Weltkriegen. 1955 stieg Degussa wieder ins Atomgeschäft ein. Fünf Jahre später erfolgte die NUKEM-Gründung in Hanau. Nach zwischenzeitlichem Teilrückzug nahm Degussa die Hanauer Skandalfirma 1988 vorübergehend in „unternehmerische Obhut“.