Chinas neue Außenpolitik

Einst fühlte sich China als Interessenvertreter der Dritten Welt. Heute läßt es Regierungen dieser Dritten Welt wissen, es werde seine Entwicklungshilfe kürzen und statt dessen Joint-venture-Unternehmen ausprobieren, die Gebern wie Nehmern gleichermaßen Gewinn bringen. China hielt sich viel darauf zugute, als Schutzpatron, Geldgeber und Ausbilder für nationale Befreiungsbewegungen gegen reaktionäre Regimes zu glänzen. Im letzten Jahr dagegen unterstützten chinesische Soldaten mehr als einmal die Armee des birmesischen Militärregimes gegen eine Guerillafraktion, die unter dem Namen „Kommunistische Partei Birmas“ kämpft. Und zwar just, als diese drohte, die Grenze zwischen Birma und der chinesischen Provinz Yunnan zu blockieren - und damit den für die Chinesen lukrativen Grenzhandel. Offiziell geht es dabei um 1,5 Millionen Dollar jährlich, aber im privaten Gespräch gibt der Gouverneur von Yunnan auch zu, daß allein der Umsatz des Schwarzhandels dort 1986 mehr als eine Milliarde Dollar betrug. Nicht zufällig haben die Chinesen in jüngster Zeit sechs Hotels und zahlreiche Banken direkt an der Grenze hochgezogen.

In ähnlicher Weise ist der boomende Grenzhandel mit der Sowjetunion und der Mongolei ein wichtiger Grund, die Beziehungen mit Moskau endlich zu entfrosten. Generell meinen die Chinesen, auf eine Ausweitung des internationalen Handels könnten sie mit ihrer Modernisierungsstrategie nicht verzichten. Eine starke einheimische Wirtschaft, intregiert in die internationale Arbeitsteilung - das sei, so drückt es ein chinesischer Planer aus, die effektivste Methode, um territoriale Sicherheit und internationalen Frieden zu garantieren.

Doch auf politischem Gebiet hatte sich zwischen der UdSSR und China seit 1982 wenig getan - bei allem Fortschritt in den wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Beziehungen. Die Chinesen beharrten immer wieder darauf, für eine Normalisierung gebe es drei Hindernisse: die Zahl der sowjetischen Truppen entlang der chinesischen Nordgrenze, die Invasion Afghanistans und drittens Moskaus Unterstützung die vietnamesische Besetzung Kamputscheas. Doch die drei chinesischen Essntails scheinen sich mittlerweile in Wohlgefallen aufzulösen: Am gleichen Tag, an dem Schewardnadse aus Peking abreist, wird der letzte sowjetische Soldat Afghanistan verlassen; das Kamputschea -Problem steht vor der Lösung (unter anderem weil auch die Chinesen einlenken und ihre Hilfe für Pol Pots Guerillafraktion zurückziehen wollen - siehe Kasten); und schließlich hat Gorbatschow in der Frage der Grenztruppen Zugeständnisse gemacht: Inoffiziell hat er den Chinesen bereits zugesichert, alle Truppen aus der Mongolei abzuziehen.

Westliche Militärexperten schätzen, daß die Sowjetunion entlang der 6.000 Kilometer langen östlichen Grenze mit China - die Mongolei eingeschlossen - heute noch rund 500.000 Mann stationiert hat. Aber schon in den letzten zwei Jahren hat Gorbatschow Truppen aus der Region zurückverlegen lassen, und 1987 kündigte er an, er werde - gleichzeitig mit der Zerstörung der in Europa statonierten Mittelstreckenraketen - auch alle SS-20 aus dem Fernen Osten abziehen.

Ihr Bemühen, die internationalen Spannungen, vor allem in Asien, zu vermindern und die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen, hat für die Chinesen ein neues Konzept internationaler Beziehungen zur Folge. Nicht mehr die Sprecherrolle für die Dritte Welt steht im Vordergrund, sondern der Wunsch, gleichberechtigt an der Herstellung eine Machtgleichgewichts beteiligt zu sein. Obwohl die chinesische Führung sich weiterhin hütet, ihr Land als „Supermacht“ zu bezeichnen, nennt sie es immerhin schon eine „Einflußzone“. Und ein chinesischer Professor gab kürzlich zu, Nixons These vom fünfzackigen Stern als dem internationalen Kräftegleichgewicht, die die Chinesen 1972 so verschreckt habe, gehöre heute selbstverständlich zur chinesischen Weltsicht: USA, UdSSR, Japan, die EG und China selbst.

Einige informierte Beobachter haben den Eindruck, die Chinesen seien auch deshalb so flexibel geworden, weil sie um Gobatschow äußerst besorgt seien. Eines steht fest: Chinas Außenpolitiker setzen seit geraumer Zeit auf den Erfolg der Perestroika. Ein chinesischer Professor drückte das kürzlich so aus: Es gebe keinen Zweifel mehr daran, daß Gorbatschow die Priorität nicht mehr auf militärische Macht, sondern auf Neubelebung der Wirtschaft lege - eine Politik, die sein Land ja schon vor sechs Jahren eingeleitet habe. Ein Sieg der Konservativen in der Sowjetunion, so äußerte ein hochrangiger chinesischer Analytiker kürzlich auf einer Europareise, würde negative Auswirkungen auch für die chinesische Wirtschaftsreform haben, die derzeit unter heftigem Beschuß stehe.

Und noch einen - subtilen - Fingerzeig geben die chinesischen Führer Gorbatschow: Stalins Terrorregime wird mittlerweile öffentlich angeprangert. So konnte die Zeitung 'Voice of Overseas Chinese‘ kürzlich melden, es sei „nicht mehr angemessen, Stalinbilder in der Öffentlichkeit auszustellen“, denn: „Stalin fügte dem Ruf des Dozialismus schweren Schaden zu, indem er das sowjetische Rechtssystem fast gänzlich zerstörte und ein große Anzahl talentierter Menschen tötete“. Eine deutliche Anspielung auf die eigene Kulturrevolution.

Larry Jagan