„Rot-Grün ist die einzige Möglichkeit“

■ Mit demonstrativem Ernst und gemeinsamen Gedenken an die Judenpogrome der Nazizeit begannen die rot-grünen Gespräche / Momper (SPD): „Große Koalition nicht mein Wunschtraum“ / Wolf (AL): AL will weder „parteiegoistisch“ sein noch „Machtspiele betreiben“

Daß die Öffentlichkeit „dabei“ sein sollte, hatte die AL verlangt: An einem langen Tisch im Kasino des Rathauses Schöneberg begann gestern der rot-grüne Dialog. Es kam allerdings weniger die „Basis“, kaum mehr als zehn Neugierige hatten sich unter die erdrückende Menge der Fotografen, Reporter und Kamera-Teams gemischt, die beiden Verhandlungsdelegationen keine Sekunde aus ihren Linsen ließen.

Mit einer amerikanisch-fernöstlichen Weisheit Fritjof Capras über Yin und Yang eröffnete Bernd Köppl, der alte und erfahrene AL-Realo, die Sitzung. „Wir sind eine Partei der Aufklärung“, konterte Momper geschichtsbewußt, bevor er zur Sache kam: „Wir sollten uns erst einmal vorstellen, wir kennen uns ja noch nicht so gut. Ich bin Walter Momper, 43 Jahre alt, gelernter Historiker und wohne in Kreuzberg.“ Und mit großer Ruhe packte dann Momper für die SPD die gesamte staatspolitische Verantwortung auf den Tisch, die er sich in handgeschriebenen Stichworten auf einem Spiralblock notiert hatte: „Berechenbarkeit, Verläßlichkeit, Stabilität“. Eine Zwei-Millionen-Stadt sei zu regieren, „das ist schon eine ernsthafte Sache“. Über die Wähler beider Parteien hinaus müsse eine Regierung „von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert“ sein, Koalitionen würden nicht „mit dem Rechenschieber gebildet“, sondern hätten das Vertrauen gesellschaftlicher Mehrheiten zur Voraussetzung, erklärte Momper die Grundlagen der großen Politik.

Für die AL erzielte Harald Wolf in seiner Replik die erste Aufmunterung der staatstragend und ernst dreinschauenden Gesichter, als er einwandte, die AL könne die SPD nicht als „erziehungsberechtigt“ anerkennen.

Momper zeigte allerdings, daß er seit seiner Ablehnung des Koalitionsangebotes zwei Tage vor der Wahl sehr wohl gelernt hat: Es gebe einen „Linksruck in dieser Stadt“ und eine „starke Stimmung für Rot-Grün“, meinte er, und: „Die große Koalition ist nicht mein Wunschtraum.“ Seine „Essentials“ seien aber keine Stöckchen, die die AL zum Springen oder Straucheln bringen sollten. Es gehe „um die Lebensfähigkeit dieser Stadt“, um ihre historischen Erfahrungen - auch wenn „Jüngeren das Verständnis dafür abgeht, weil sie diese Erfahrung nicht gemacht haben, die ich auch nicht gemacht habe“.

Mit demselben ernsten Tonfall demonstrierte Harald Wolf, daß es ein weitgehendes Verständnis gibt und daß man es auch bei den Alternativen ernst meint: Es wäre „parteiegoistisch“, wenn die AL die SPD in eine große Koalition treiben würde, um dann bei der nächsten Wahl abzusahnen - nein, es geht den Igeln um eine „deutliche Umkehr in der Politik dieser Stadt“: „Rot-Grün ist die einzige Möglichkeit.“

Dabei müsse man „Respekt vor der Identität beider Parteien“ gelten lassen, man müsse offen reden und „keine Machtspiele“ betreiben. Schlechter Stil sei es gewesen, wie Momper seine Essentials in die Diskussion gebracht habe, mahnte der AL -Vertreter an - „als wollten wir die Alliierten aus der Stadt rausschmeißen“. Da seien Positionen der AL offenbar bewußt mißverstanden worden, um sie dann abzulehnen. Wolf spielte den Ball der „Verläßlichkeit“ verbindlich zurück: Die AL rede von Rot-Grün immerhin schon seit dem vergangenen Oktober, und in Hannover habe es beim Mißtrauensvotum gegen Albrecht nicht an grünen Stimmen gefehlt. Die AL-Gesichter hellten sich bei diesem rhetorischen Punktsieg wieder auf, Momper nickte höflich: Das meiste, was der AL-Vertreter gesagt habe, „sehe ich genauso“, auch das mit dem gegenseitigen Respekt der verschiedenen kulturellen Milieus. Und Momper betont noch einmal, daß mögliche Koalitionsverhandlungn nicht taktisch gemeint seien: „Am besten vier Jahre“ müsse ein rot-grüner gemeinsamer Senat halten.

Schweigend gingen zehn Minuten später Momper und Birgit Arkenstette von Stelltafel zu Stelltafel der Ausstellung „Aus Nachbarn wurden Juden“. Unter dem unerbittlichen Klacken der Fotoapparate und den Scheinwerfern verschiedenster TV-Anstalten waren beide eher verhalten distanziert, der Anlaß war auch nicht geschaffen für eine lockere Fortsetzung der offiziellen Annäherung. Dieser demonstrative Besuch der Ausstellung sei ein Zeichen, um deutlich zu machen, „woran wir beim Erfolg der 'Republikaner‘ denken müssen“, hatte Momper die Geste erläutert. Die Ausstellung war von der AL aus dem Mehringhof ins Rathaus geholt worden, und während AL-Fraktionssprecher Walter Wieland die offizielle Eröffnungsrede hielt, drückten sich Parlamentspräsident Rebsch (CDU) wie Frauenbeauftragte von Braun (FDP) etwas irritiert an den beiden Delegationen vorbei aus dem Rathaus hinaus.

K.W.