Am Sonntag? Nach Tenever!

■ Ein sonniger Sonntag und eine Radtour zu den unbekannten Objekten unserer oberzentralen und zweidrittelgesellschaftlichen Unkenntnis

Ist das nicht eine gezinkte Idee, nach Tenever hinauszuradeln am Sonntagmittag? Muß da nicht rauskommen, was auch jede weiß, die nie da war, daß es nämlich ein Ort demonstrativbauvorgehabter Ödnis ist und überhaupt nichts los? Wo Sonntagmittag überhaupt nirgends 'was los‘ ist? Aber an einem Sonntag wie diesem mit geradezu bayrischem Firmament, klar, blau, mit treibenden hellgrauen Wolkenbal

len? Was macht man da in Tenever? Gehen die da draußen spazieren? „Auf ihrem Marktplatz“?

Der Radweg ist ausgebaut und mit Rückenwind eine halbe Stunde und viele Fragen lang. Erst Hastedter, dann Sebaldsbrücker, dann Osterholzer, immer aber Heerstraße lang. Vorbei an den nichtöffentlichen Daimler-Stadtteilen auf beiden Seiten der Straße. 34er, 36er Busse voller junger, schnauzbärtiger Männern kommen mir entgegen, fahren nach „Sebaldsbrück“, zur Schicht vermutlich. Die öffentlichen sind Werkbusse. Der Wind drückt mich vorbei an dem riesigen Osterholzer Parkfriedhof, mit landart aus gestutzten Bäumen und ondulierten Wassergräben, mit dem Ehrenfeld für die Bombenopfer, ganz vielen aus der Nacht vom 19. August 1944, liegen dicht an dicht. Dagegen haben manche, die im Bett starben, Wiesen mit Baum ganz für sich, bißchen ungerecht. Aber alle Totenwohnplätze sonnenbeschienen und gediegen.

Und dann ist irgendwann geradeaus nur noch Autobahn, rechts Radio Bremen-Fernsehen und links an der Otto-Brenner-Allee, die Wohnungsbaugesellschaften der Gewerkschaften haben's ja so gewollt und gebaut, stehen die

vertrauten Türme von Klein-Manhattan. Als erstes kommt mir und der Sonne hinter mir ein Paar entgegen, sich an der Hand haltend, in Bremen eine Seltenheit.

Als ich dann unter einem Wohntrum hindurchradle und auf der andern Seitet auf die nächste Straße treffe, die nur parktende Autos beherbergt, denke ich, vielleicht ist es der Irrtum, dies immer für einen Stadtteil zu halten, obwohl es nur ein großes Wohngebilde ist, und die Straßen sind Flure, auf die ja auch kaum natürliches Licht fällt; nicht mal an einem Tag wie heute. Die Sonne, aus Südsüdwest leuchtend, kommt über die Türme nicht drüber und nur selten zwischendurch. Und hier stehen auf den Fluren eben auch die Autos, viele Japaner, paar Daimlers auch. Auch Nummern aus Oldenburg, Diepholz und Delmenhorst. Wohl Besuch. Andere fahren los, Besuch machen.

Im Rücken der Silos, Richtung Stadt, ist Sonne. Drei junge Türken, vielleicht, spielen Fußball, bestimmt, in einem Käfig, rufen „what's your name? “, als ich vorbeikomme. Das Rad verrät mich, sowas fährt hier fast niemand. Der Kinderspielplatz, ist steril wie ein Kinderspielplatz, aber größer als üblich. 20 Kinder

sind da, die Schaukeln immer besetzt, geredet wird deutsch, aber die Mutter, die grade durchgeht, ruft ihren Kindern Ausländisches zu. Eigentlich nett hier. Vom Spielplatzeingang dringen periodisch schrille Schreie „Charlie, komm jetzt hierher“. Ist aber keine entnervte Mutter, sind zwei kleine Mädchen, die ihre Püdelchen kujonieren, wenn sie ihre Pfötchen in den Spielplatz setzen.

Muß straffen: Cafe Gabriely, das einzige hier draußen, hat zu, schon seit Samstag, 13 Uhr. Das Hallenbad auch. Der „Marktplatz“, eine Art Empore zwischen Ärztebüro und Einkaufszentrum, steht vier Skateboardern zur Verfügung, die aber gerade in einer der holzbebankten Nischen hocken und zu meditieren scheinen, während vier andere mit wunderschönen Pistolen auf einem abgeschlossenen Zuweg zum Marktplatz sterben und sterben lassen üben. Die städtische Öffentlichkeit machen die Kinder. Und spazieren gehen? Tun sie auch da draußen, entweder mit Hund mal schnell um den Bultensee. Jedenfalls wenn's hell ist. Abends würde die alte Dame, die ich hier treffe, diesen Weg nicht gehen, „niemals“. Oder Richtung Oberneuland, wo es auch Sonntags ein offenes Cafe gibt.

Uta Stolle