: Seh'n oder Nichtseh'n
■ „III nach Neun“: „Ex„-Gäste, ein Lummer, ein Republikaner und Pech und Schwefel
Ein wulstlippiger, pfingstlich-rasender Fernseh -Erweckungsprediger von „Eureka“ (inzwischen „PRO 7“) - ein Lebenssinn-Ausverkäufer, den man als Moderator leicht hochnehmen kann, wohl wissend, daß man beim süffisanten Schlachtefest das Publikum auf seiner Seite hat. Zumal jemand wie der Erweckungsprediger das Geschäft, sich lächerlich zu machen, allein besorgt. Er bete für die Regierung, sagt er, egal, welche es sei. „Fürs Parlament in Bonn zu beten, finde ich auch immer gut“, amüsiert sich Michael Geyer - locker und charmant wie selten. Es macht ihm großes Vergnügen, Wulstlippe in seinem geschäftstüchtig -verlogenen Bibel-„Bestseller„-Fanatismus zu präsentieren. Aber, wie schon gesagt: das ist nicht schwierig, dennoch ist es unterhaltsam, und das erwarten wir ja von einer Talkshow.
Auch andere Gäste, die diesmal eingeladen waren, lagen über dem Unterhaltungs-oder Hirnschmalz-Niveau, das man uns sonst oft präsentiert: Der Ex-Diplomat Günther Diehl, der sich mit Michael Geyer - und der mit Diehl - geradezu in kleinen, humorvollen Flirts erging. Die wechselseitige Achtung von Jung vor Alt und umgekehrt - bei aller Verschiedenheit in der politischen Haltung - das zu beobachten, war ein Vergnügen. Dann: Die Ex-Frau des Hamburger Ex-Bürgermeisters Klose, Frau Klose eben. Eine Frau, von der ich gerne viel mehr erfahren hätte, als Renee Zucker im Gespräch erfragte. Schön, klug, first-lady-like reserviert, trotzdem spürbar gesprächsbereit, blieb Frau Klose irgendwie in einem Fragen -Käfig stecken. Vielleicht hat sich Renee Zucker zu sehr auf die „Ex-First-Lady“ eingestellt, auf die Ehe mit einem Politiker, die nun ja keine mehr ist und darum für Frau Klose ganz offensichtlich kein brennend heißes Thema. Anders die Sozialwissenschaftlerin Herrad Schenk, die eingeladen war, um mit den anderen Gästen über ihr Thema „Auflösung der Ehe durch die Liebe“ zu diskutieren: Die blieb in keinem Frage-Käfig stecken und konnte sich - zum Glück für die Talkshow und für uns - entfalten nach Geistes-und Formulierungslust.
Und eigentlich war bis zur Diskussion über Ehe und Liebe zu der ja Krethi und Plethi was beizusteuern haben, allerdings selten so scharfsinnig und lebendig wie hier mit Herrad Schenk - eigentlich also war bis dahin „III nach Neun“ ganz nett und ansehnlich abgelaufen, wenn man vom muffig-grantelnden Menge absieht, der Renee Zucker einmal so unverschämt abbügelte, daß ich ihn zu gern an seiner Stirnlocke gezogen hätte. Aber für die Schlußrunde hatte sich die Redaktion etwas ausgedacht, ohne es wirklich zu durchdenken: Heinrich Lummer - unzulässigerweise bloß höflich als Berliner „Ex-Senator“ vorgestellt - war eingeladen worden, und Carsten Pagel von den Republikanern in Berlin. Man kann und soll solche Leute vor die Kamera holen, aber wenn man das tut, muß man auch wissen, wie man sie präsentieren will. Und „III nach Neun“ ging den ausgetretensten, hilflosesten und zugleich gefährlichsten Weg: Menge verschwand unter Pech-und Schwefelschwaden, was emotional so verständlich wie politisch ignorant ist. Und Michael Geyer war überfordert mit Lummer auf der einen Seite, der sich kreidefressend vom Republikaner distanzierte, und, auf der anderen Seite, mit dem Republikaner selbst, einem eiskalten, cleveren, schneidenden Jüngling, dem Geyer mit seinen Beleidigungen nicht beikam. Diese Leute beleidigen heißt, ihnen die Chance zu geben, ihre Wähler zu verteidigen, was Pagel natürlich tat. Man führt die Rechten vor, nur um sich angewidert zu distanzieren, und macht sich so vor der politischen Gefahr aus dem Staub. Das ist im höchsten Maße fahrlässig und dilettantisch. Ein Republikaner als Spektakel in einer Talkshow, die nicht in der Lage ist, sich mit diesem Mann politisch zu beschäftigen, das ist ein Republikaner, der sich märtyrerhaft präsentieren darf.
Sybille Simon-Zülch
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