Kein Schal für politische Flüchtlinge

■ Sozialamt Süd verweigert Winterkleidung für türkische Asylbewerber / In der Türkei zum Tode verurteilt, in Bremen zum Frieren / Verwaltungsrichter sieht keinen Grund zum Handeln: „Sie sind ja nicht nackt“

Fait K. ist 31 Jahre alt und kennt die Folter. Nach dem Militärputsch in der Türkei wird er 1982 inhaftiert und wegen seiner politischen Aktivitäten zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung wird aufgeschoben, weil das türkische Parlament das Todesurteil nicht bestätigt. Nach jahrelanger Haft gräbt er sich zusammen mit 17 weiteren Häftlingen in monatelanger Arbeit einen 130 Meter langen Tunnel aus dem Gefängnis von Kirsehir in die Freiheit. Nach der spektakulären Flucht am 17. September 1988 kommt Fait K. zusammen mit vier seiner früheren Mithäftlinge zwei Monate später nach Bremen, wo sie politisches Asyl beantragten. Nach ihren Erfahrungen mit der türkischen Justiz machen sie in Bremen nun ihre Erfahrungen mit der bundesrepublikanischen Bürokratie.

Ort des Geschehens: Das Amt für Soziale Dienste, Abteilung Süd in der Bremer Neustadt. Am 5. Dezember kommt Fait K. und will warme Wintersachen. Der zuständige Sachbearbeiter sieht sich den Mann genau an und lehnt ab.

Einen Tag später beantragt Fait K. schriftlich „einen Wintermantel, zwei warme Pullis, ein Paar Winterstiefel, ein Paar Hausschuhe, zwei Hemden, drei Paar Socken, ein Paar Handschuhe, eine Mütze und einen Schal“. Das Sozialamt lehnt erneut ab. Wer in Bremen lebt und Asyl beantragt hat, wird deswegen nicht gleich voll mit Bekleidung ausgestattet, schreibt die Behörde am 14. Dezember und ergänzt, „zumal Sie hier bei Vorsprache über sehr gute, man kann sagen, zum Teil sehr neuwertige Garderobe verfügten“. Daß diese Bekleidung

geliehen sein könnte, will der Sachbearbeiter auch nicht glauben, da sie „größenmäßig voll auf Sie abgestimmt war“.

Um die Angelegenheit „genauestens überprüfen zu können“, soll Fait K. dem Sozialamt „Namen und Anschriften der Personen nennen, die Ihnen die Bekleidungsgegenstände gegeben haben wollen“. Ferner verlangt die Behörde eine „schriftliche Erklärung dieser Personen (...), aus der hervorgeht, daß sie die geliehenen Bekleidungsgegenstände zurückfordern“. Gleichzeitig behält sich das Sozialamt in dem Schreiben vor, diese Angaben „vor Ort zu überprüfen“. Ähnliches teilt die Behörde auch Nihat I. (33) und Erdal A. (30) mit. Zwei Ihrer früheren Mithäftlinge dagegen bekommen von einem anderen Bremer Sozialamt problemlos eine Beihilfe für Winter

bekleidung.

Reinhard Engel, der die drei Flüchtlinge als Anwalt vertritt, wendet sich schließlich an Richter Herbert Engelmann und beantragt eine Einstweilige Anordnung. Das Bremer Verwaltungsgericht läßt sich von eidesstattlichen Versicherungen darüber, daß die Kleidungsstücke nur geliehen sind, jedoch offensichtlich nicht überzeugen. „Der Umstand, daß der Antragsteller bei seiner Vorsprache im Amt bereits mit Winterbekleidung versehen war, legt die Vermutung nahe, daß er als politischer Flüchtling bereits durch andere, zum Beispiel caritative Einrichtungen, mit einer Grundausstattung an Winterbekleidung versehen worden ist“, schreibt Engelmann am 30. Dezember 1988.

Inzwischen ist es Anfang Februar 1989. Der zuständige Sach

bearbeiter im Sozialamt liegt im Krankenhaus, erklärt sein Vertreter auf Nachfrage. Der Kollege will telefonisch zu einem so „brisanten Thema“ nicht Stellung nehmen. Anwalt Engel hat Mitte Januar gegen die Entscheidung von Richter Engelmann Beschwerde eingelegt. Die liegt allerdings nicht beim Oberverwaltungsgericht, sondern noch immer bei Richter Engelmann. Der wartet auf eine Stellungnahme des Sozialamtes und will dann prüfen, ob der Beschwerde abgeholfen werden kann.

Fait K. und seine beiden Freunde warten nach zwei Monaten naßkalten Bremer Wetters noch immer auf ihre Winterbekleidung. Richter Engelmann sieht den Fall nicht so tragisch: „Solange sie noch die geliehene Kleidung besitzen, sind sie ja nicht nackt.“

Irmgard Kern (dpa)