Momper: „Darum bin ich auf Koalition aus“

■ Interview mit Walter Momper, dem SPD-Aspiranten auf den Berliner Bürgermeister-Posten / Über die Abhängigkeit von der Bonner Politik, über Verläßlichkeit für die Wirtschaft und mehr gute Nachbarschaft zur DDR / Der Boden der Nüchternheit

taz: Herr Momper, nach der ersten Gesprächsrunde haben Sie gesagt, das Klima war positiv.

Momper: Es war eine sehr konstruktive Atmosphäre, es hat keinerlei Schärfen gegeben außer der Bemerkung, wir seien nicht der Erziehungsberechtigte der Alternativen Liste - als solcher fühlen wir uns auch nicht.

Sehen Sie von seiten der AL eine Bereitschaft zum Bündnis?

Das vermute ich. Es ist nichts anderes deutlich geworden, so daß man das wohl unterstellen darf.

Die Wahl, haben Sie gesagt, ist auf den Feldern der Mietenpolitik, der Arbeitslosigkeit und der Gesundheitspolitik entschieden worden...

... im Kern, ja.

... Sind das nicht drei Bereiche, die sich nur für Deklamationen eignen, für Schuldzuweisungen an die Bonner CDU-Regierung?

Rechte Stimmung unter

sozial Deklassierten

Wenn man sich das Wahlergebnis anguckt, wird deutlich, daß die Wohnungsnot, die Auswirkungen der Bonner Gesundheitsreform und die angestiegene Arbeitslosigkeit ausschlaggebend für den Wahlerfolg der SPD und der Alternativen Liste sind, aber auch der „Republikaner“. Die „Republikaner“ haben ein Wählerpotential bekommen, das immer ausländerfeindlich war. Aber was mich daran bestürzt, ist: Zum ersten Mal seit 1951 haben darüber hinaus sozial Bedrängte und sozial Deklassierte rechts gewählt, nicht weil sie ausländerfeindlich per se sind, sondern weil sie tatsächlich mit Aussiedlern und Ausländern in der Konkurrenz um Wohnungen und Arbeitsplätze liegen. Das ruft doch die Erinnerung an Weimar wach. Das haben wir 1951 bei der wirklich neofaschistischen SRP gehabt, die NPD ist dagegen eine kleinbürgerliche Bewegung der sechziger Jahre gewesen, und nun haben wir das zum ersten Mal wieder. Der größere Wähleranteil der „Republikaner“ speist sich aus diesem Reservoir, das zeigen die Wahlanalysen des Statistischen Landesamtes: in den SPD-Hochburgen, wo viele einfache Menschen wohnen, ist der „Republikaner„-Anteil sehr hoch.

Kann die Berliner Landespolitik auf diesen drei sozialpolitischen Feldern mehr, als ergebnislos in Bonn zu antichambrieren?

Es ist ist für mich eindeutig, daß in diesen drei Bereichen der Erfolg einer Landesregierung daran gemessen werden wird, ob spürbare Entlastungen für den Bürger möglich sind, etwa bei der Wohnungssuche. Natürlich muß über die Wiedereinführung der Mietpreisbindung in Bonn entschieden werden. Unsere Landespolitik ist abhängig von Bonner Gegebenheiten. Aber Bonn hat sich bei früheren Gelegenheiten dringenden Anliegen der Berliner Landesregierung auch nicht entzogen, und erst recht, wenn die Berliner Parteien sich einig sind.

Die Karten in Bonn

neu mischen

Das heißt: Sie glauben, daß die Bonner CDU ein Landesmietengesetz ermöglichen wird?

Das weiß ich heute noch nicht, das ist ja nun Gegenstand der Verhandlungen auch mit der CDU.

Das wäre ein Argument für eine große Koalition.

Das ist wohl wahr...

... und im Falle einer Koalition mit der AL wäre die Verhinderung des Landesmietengesetzes durch die Bonner CDU nur noch ein Joker im Bundestagswahlkampf 1990?

Die Bekämpfung der Wohnungsnot ist doch mehr als nur das Landesmietengesetz. Man kann nicht sagen: Alles spricht für eine große Koalition, nur weil der Punkt in dem sachpolitischen Programm enthalten ist. Was dessen Realisierungsfähigkeit angeht, gibt es natürlich Vorteile auf seiten der großen Koalition, das brauche ich ja nicht zu erklären. Aber die Frage, ob in der Stadt Wohnungsbau realisiert wird, mit wem er realisiert wird, ob mit den Gemeinnützigen oder weiter mit den Privaten, da liegen CDU und SPD bekanntermaßen weit auseinander.

Was kann man beim Punkt Gesundheitsreform in Berlin tun, solange die Bonner Regierung noch nicht gestürzt ist?

Ob das nun ein Regierungssturz sein muß, weiß ich nicht. Auch die Berliner Landesregierung hat die Möglichkeit, im Bonner Bundesrat etwas dafür zu tun. Und die Karten sind doch neu verteilt, wenn eine Landesregierung - auch wenn es die mit dem herabgesetzten Stimmrecht im Deutschen Bundesrat ist, die Berliner - umschwenkt. Wir wissen aus einem großen Teil der CDU-Landesverbände, daß sie die Gesundheitsreform lieber heute als morgen weg haben wollen. Sie war ja auch nicht die Lieblingspolitik des Herrn Blüm gewesen, da hat die FDP ihre große Rolle gespielt. Warum sollte man nicht dort eine Änderung erreichen können, wenn bei den Länderregierungen die Kartei neu gemischt werden?

Der dritte Komplex des wahlentscheidenden Sachprogramms ist die Arbeitslosigkeit: Die wird doch nach allen Prognosen in den nächsten zehn Jahren bleiben. Was können Sie tun in Berlin?

Verläßlichkeit, Kalkulierbarkeit der Rahmenbedingungen der Politik für die Wirtschaft müssen erhalten bleiben, um Erhaltung der bestehenden Arbeitsplätze zu gewährleisten, oder sogar, was ja selten genug passiert im industriellen Bereich, um die Ansiedlung von neuen zu ermöglichen...

... das garantiert Ihnen nur, daß es bei den 100.000 Arbeitslosen bleibt...

Zu dem anderen komme ich noch. Das zweite sind die bekannten Wachstumsbereiche, die produktionsnahen Dienstleistungen, im kulturellen Bereich etwa. Da können staatlich verbesserte Rahmenbedingungen eine Menge ausrichten, gerade in einer Großstadt wie Berlin. Dann kommt der Bereich der kleinen und mittleren Betriebe und des Handwerks, die sich als bemerkenswert arbeitsplatzstabil erwiesen haben. Jede Gewerbeförderung beginnt mit der Bereitstellung von preiswertem Gewerberaum für neue Betriebe und solche, die sich erweitern wollen.

Der dritte Punkt: Im staatlichen Sektor sind die Möglichkeiten durch den Landeshaushalt sehr begrenzt. Aber um da durch Arbeitszeitverkürzung etwas zu machen, habe ich Modelle vorgelegt, die sind noch umstritten. Im Lehrerbereich könnte man etwas machen, wenn man sagt: Die neueinzustellenden Lehrer sollen auf 3/4-Stellen kommen...

Also eine Politik der kleinen Schritte?

Die Möglichkeiten sind begrenzt, da haben Sie recht. Der letzte Bereich wäre das Investitionsprogramm Arbeit und Umwelt, unsere durchgerechneten 15.000 Arbeitsplätze. Im Umweltbereich, im öffentlichen Personennahverkehr, bei der Abfallminimierung und Rohstoffeinsparung können kommunale Investitionen vorgezogen werden; die muß man in den 90er Jahren sowieso tätigen, wenn durch die demographische Entwicklung die Arbeitslosigkeit ohnehin abnimmt, also sollte man die lieber jetzt vornehmen. In diesem Bereich ist es möglich, durch Nettoneuverschuldung zu finanzieren, aber nur dort.

Erwarten Sie, daß die Industrie eine Kampagne gegen eine rot-grüne Koalition startet?

Die Industrie- und Handelskammer hat sich sehr verhalten zum Wahlergebnis geäußert und eine Garantie der Rahmenbedingungen für die Berliner Wirtschaft eingefordert.

Die Zuverlässigkeit der Rahmenbedingungen muß man garantieren, Arbeitsplätze wird man bekanntlich nur mit der Wirtschaft bekommen. Aber bevor ein neuer Senat kommt, werden wir klarstellen, was alles nicht auf unsere Rechnung geht: die Abbaupläne, die in Teilen der Berliner Industrie heute schon bestehen, also zum Beispiel SEL mit 500 Arbeitsplätzen. Die Steuerreform mit ihren gigantischen Auswirkungen auf den Landeshaushalt, eine Milliarde. Allein das, was an Mehrkosten auf die BEWAG zukommt durch die kumulativen Effekte verschiedener Preiserhöhungen, z.B. die Steuererhöhungen für schweres Heizöl, das allein wird ein Kostenfaktor von 60-70 Millionen sein, Ausfälle bei der BEWAG durch Verminderung der Investitionszulage, nochmal 90Millionen Mark, die Erhöhung des Kohlepfennigs: Auf die BEWAG wird ein erheblicher Strompreis-Erhöhungsdruck zukommen, das geht alles nicht auf unsere Rechnung.

Berlin zwischen

Ost und West

Kann ein SPD-AL-Senat auf dem Feld der Ost-West-Politik etwas besser machen als die CDU?

Politisch flankierend kann man noch mehr machen, um der Berliner Wirtschaft den Zugang in die DDR zu erleichtern. Die Parteien in West-Berlin und der Senat haben auch eine Verantwortung im Bereich der Sicherheits- und Entspannugspolitik. Wir haben von Berlin-West aus ein besonderes Interesse dran. Das ist ein Element, was Diepgen und die Berliner CDU bei allem, was sie an sozialdemokratischer Ost- und Deutschlandpolitik übernommen haben, total vernachlässigt haben. Aus der besonderen Situation Berlins müssen wir für gute Nachbarschaft zum Umland und Ost-Berlin, zur DDR sorgen.

Das bedeutet, Sie werden den Bürgermeister von Ostberlin offiziell besuchen...

Ja, das wird man sehen.

Das gehört zur guten Nachbarschaft dazu.

Ja, den Bürgermeister auch. Die DDR interessiert aber mehr die staatliche Ebene.

Und? Werden Sie Herrn Honecker die Hand geben?

Natürlich. Warum nicht?

Wo sehen Sie die Ost-West-Perspektiven für die Berliner Wirtschaft?

Die Berliner Wirtschaft hat ein großes Know-how, langfristig Ostgeschäfte zu tätigen, gerade für die Modernisierung der Produktionsstrukturen in der DDR wäre das von hohem Interesse. Das betrifft auch kleinere Berliner Betriebe, die pfiffige und interessante Produktionslösungen haben.

Am Wahlabend wurde skandiert: „Rot-Grün“. Ist diese Aufbruchstimmung, die in der Woche nach der Wahl deutlich geworden ist, für Sie überraschend?

Mich hat es emotional berührt, daß die Delegationen von SPD und AL das Sondierungsgespräch am Freitag unterbrochen haben, um gemeinsam die Ausstellung „Aus Nachbarn wurden Juden“ in der Rathaushalle zu besuchen. Aber ich bin Realpolitiker. Mit Stimmungen gehe ich ganz vorsichtig um. Vor der Wahl ist auch viel Stimmung gemacht worden, da haben sich einige belehren lassen müssen. Die Berliner sind sind in vielem doch sensibler, als viele Politiker und manche Journalisten meinen. Es hat mich überrascht, daß hier ein Fahrer von der BSR zu mir sagte: 'Also Herr Momper, mit der CDU nicht, aber bleiben Sie hart bei der AL.‘ Das gibt die Stimmung in einem großen Teil sozialdemokratischer Wähler wider, da ist ein Element von Aufbruchstimmung drin, aber Stimmungen in dieser Stadt müssen immer auf den Boden von Nüchternheit zurückgebracht werden.

Kein Ratschlag aus Bonn

Sie waren am vergangenen Montag in Bonn. Haben die Freunde im Parteivorstand gesagt: Mach mal mit der AL?

Erst mal haben sie sich gefreut. Die größte Überraschung war ja, wie die CDU in den Keller gegangen ist und daß die FDP rausgeflogen ist. Das zweite ist: Noch nie hat eine Partei von unter 40 Prozent versucht, eine Regierung zustandezubringen. Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand.

Nun sind bald Kommunalwahlen in Frankfurt. Dort wirbt Hauff deutlich für Rot-Grün. Ist das eine neue Perspektive für die SPD?

Es gibt keine eindeutig zu definierende Interessenlage vom Bund her, weder in Richtung Rot-Grün noch in Richtung große Koalition. Wir enthalten uns auch innerhalb unserer eigenen Partei solcher Ratschläge.

Aber wenn die städtischen Metropolen Berlin und Frankfurt rot-grün sind, dann ist das doch das Thema der nächsten Bundestagswahl.

Welche Auswirkungen es hat, hängt natürlich davon ab, ob es funktioniert.

Haben Sie in den letzten Tagen mit Ihrem Freund Lafontaine telefoniert?

Den habe ich getroffen.

Auch unter vier Augen?

Ja, auch unter vier Augen.

Und? Was hat er gesagt?

Das werde ich Ihnen auch gerade noch sagen, was ich mit dem beredet habe.

Und mit Börner?

Mit Börner habe ich bei anderer Gelegenheit vor einem halben Jahr sehr ausführlich über diese Fragen gesprochen.

Und seitdem sind Sie der Ansicht, daß das rot-grüne Bündnis - wenn es in Berlin klappen sollte - ganz anders funktionieren müßte als in Hessen?

Wenn es mit der AL laufen sollte, dann muß es ganz anders laufen. In Hessen waren beiden Parteien in sich nicht spannungsfrei, das ist schon einmal eine ganz schlechte Voraussetzung. Beide haben die Duldung und dann die Koalition unter dem Gesichtspunkt beschlossen: Wo findet der Absprung statt? Und wenn Sie dann eine Sollbruchstelle schon einbauen, kann das nur schiefgehen. Ich habe das bei meinem Gespräch mit den Alternativen auch gesagt: Wenn, dann muß ein Bündnis möglichst auf die volle Dauer einer Legislaturperiode angelegt werden, um dann auch Erfolg zu haben bei der Realisierung des Wählerwillens. Deshalb bin ich auf Koalition aus: entweder auf eine große Koalition, zeitlich begrenzt wie auch immer, oder auf eine rot-grüne Koalition, da spräche ja nichts dagegen, die für die volle Legislaturperiode zu machen. Alle Duldungsmodelle halte ich für schlechte Lösungen, weil sie immer Instabilität bedeuten, weil immer nur auf den nächsten Wahltermin geschielt wird.

Wann soll die Koalition stehen? Anfang März, wie Meisner gesagt hat?

Ich sage: Unverzüglich, so schnell wie möglich. Ohne schuldhafte Verzögerung.

Interview: mtm/kh/kw