DIE TODESMASCHINERIE

■ Eine Oper aus Theresienstadt in Ost-Berlin

So zufällig mag die Entscheidung für Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Der Tod dankt ab“ nicht gefallen sein. Denn sie paßt natürlich zu dem neuen Kurs der DDR. Um Jahrzehnte verspätet zwar, nahm man nun endlich die Beschäftigung mit der Geschichte der Juden in Deutschland auf und gedachte erstmals ihrer Verfolgung im Dritten Reich. Das politische Kalkül bei diesem projüdischen Kurswechsel ist dabei nicht zu übersehen.

Als DDR-Erstaufführung des Opernstudios ist ein Werk zu erleben, das 1943/44 im Konzentrationslager Theresienstadt entstand. Komponiert hat es der in Schlesien geborene Schönberg-Schüler Viktor Ullmann, den Text zu dieser „Legende in vier Szenen“ lieferte Peter Kien. Nach der Generalprobe wurde die Oper 1944 von der SS verboten. Sowohl Ullmann als auch Kien wurden Monate später in Auschwitz ermordet. Wie es überhaupt eine solche Veranstaltung im KZ geben konnte? Nun, Theresienstadt hatte gewissermaßen die Funktion eines „Vorzeigelagers“. Noch 1944 entstand ein Propagandafilm der Nazis, der perfider nicht hätte ausfallen können, wenn darin ein heiteres, sorgenfreies Lagerleben inszeniert wird, während andernorts (etwa in Auschwitz) die Mordmaschinerie der sogenannten „Endlösung“ in vollem Gang war.

Genau um den massenhaften Tod, um dessen „maschinelle Entwicklung“ geht es in Ullmanns Oper. Nach zwei kurzen Trompetenfanfaren und dem markanten „Hallo, hallo!“ des Lautsprechers setzt die Musik ein, und zwar thematisch prägnant und charakteristisch instrumentiert. Die Orchestrierung für Kammerensemble (u.a. Banjo, Saxophon, Harmonium) entsprach den Lagergegebenheiten. Ullmanns Musik erinnert in ihrer Farbigkeit und Kraft zuweilen an Schreker und Korngold, ist dann aber wieder klanglich akzentuiert im Songstil eines Weill oder Eisler und nimmt darin eine lakonische Haltung ein. Bei aller stilistischen Vielfalt hat Ullmann etwas ganz Eigenes geschaffen.

Mit dem Auftritt des Lautsprechers hören wir die Nachricht: Der Tod habe beschlossen, „von nun an niemand mehr sterben zu lassen“, weil ihn die „maschinelle Entwicklung des modernen Lebens“ kränke und beleidige. Den Kaiser Overall bringt dies in arge Bedrängnis, fürchtet doch niemand mehr seinen Feldzug gegen das Böse. „Eine seltsame Krankheit“, konstatiert der Lautsprecher, „Tausende, Todwunde, ringen mit dem Leben, um sterben zu können.“ Der „Zusammenbruch aller menschlichen Ordnung“ ist die Folge: Gegner verwandeln sich in Liebende - so der Soldat und das Mädchen. Der Tod zeigt schließlich Erbarmen und beschließt seine Rückkehr, vorausgesetzt, der Kaiser entschlösse sich, als erster zu sterben. Damit endet das gut einstündige Werk, dessen Finale einem Gebet gleicht („Komm, Tod, du unser werter Gast...“). Über Pierrot, der vor lauter Langeweile und weil ihm alles zum Halse raushängt, nicht mehr leben will, äußert der Tod lakonisch und dabei so treffend: „Das Lachen, das sich selbst verhöhnt, ist unsterblich.“

Von dem Komponisten selbst stammt die Äußerung, daß der „Kulturwille“ dem „Lebenswillen“ im Lager adäquat war. Daß Kunst und Musik noch entstehen konnten, Vorträge gehört wurden, bleibt Ausdruck eines Standhaltens.

Wie nun dieses Werk inszenieren? Gerd Grasse hat sich an den Text gehalten und zeigt nichts anderes als den im Libretto vorgegebenen Inhalt. Er unterschlägt damit den Entstehungszusammenhang. Nur drei ineinander verkeilte Stahlträger sind vermutlich als Militarismuszitat auf der Bühne des Apollosaals installiert. Ansonsten fehlt jeder Hinweis, worum es in diesem Werk geht. Als 1987 in West -Berlin die Wiener Kammeroper mit George Taboris Inszenierung des „Kaiser von Atlantis“ gastierte, hatte man eine Häftlingsoper gesehen: ein Lager und dessen Insassen. Das alles wirkte beklemmend, war von großer, eindringlicher, keineswegs aber larmoyanter Wirkung. Ullmanns Oper derart unvermittelt (wie jetzt im Apollosaal) auf die Bühne zu bringen ist denn doch zu arglos, würde so jedem anderen Werk gerecht, nur diesem einen eben nicht.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß ein vorzügliches Ensemble unter der musikalischen Leitung von Joachim Freyer zu erleben war.

ec

Die nächste Vorstellung ist für den 19.Februar geplant.