Zwei Frauen

■ Meredith Monk und Nurit Tilles in Stuttgart

Scheinwerfer leuchten auf. Ganz links auf der Bühne, kaum zwei Meter von meinem Platz entfernt, sitzt Meredith Monk vor dem Klavier. Bewußt falsch intoniert sie eine wortlose Melodie, während sie drei Töne auf dem Instrument lapidar und stufenweise absteigend immer wiederholt. Schließlich treffen sich Stimme und Klavier, den harmonischen Schwingungen und Gesetzen entsprechend. Die Introduktion ist zu Ende.

Meredith Monk ist die dritte im Bund bekannter Künstlerinnen aus New York, ein Pendant zu Patti Smith, deren expressiv-exhibitionistisches Pathos sie gerade nicht nachzuahmen versucht. Auch zu Laurie Andersons Techno -Pop bildet sie das Gegenstück, wenn sie fast ganz auf Apparate, Verzerrer, Computer oder andere Schöne-neue-Welt -Simulatoren verzichtet.

Ohne Begleitinstrument, nur durch ein Mikrophon verstärkt, steht sie jetzt in der Mitte der Bühne - singt, flötet, zirpt und schnalzt, zieht alle Register ihrer virtuosen Stimmakrobatik und imitiert andeutungsweise die Musiksprachen anderer Völker (Juden, Araber, Amerikaner, Chinesen). Schrille Schreie und zweistimmige Melodien brechen schließlich die gespannte Stille im voll besetzten Stuttgarter Theaterhaus - die atemberaubende Glossolalie ist zu Ende.

Höhepunkt des Jazz-, Pop- und Neue-Musik-Abends ist für mich die Fayoum-Meditation im zweiten Teil des dreiteiligen Programms. Sphärische Klänge, von Nurit Tilles auf ihrem Hackbrett hervorgezaubert, schwingen durch die Halle. Silbern klirren die präparierten Saiten, dumpf sind die Schläge auf dem Corpus zu hören, misterioso verhallen die seltsamsten Geräusche.

Hinter der Instrumentalistin, etwas höher auf einem Podest plaziert, unbeweglich starr und ausgeleuchtet wie in einem präraffaelitischen Stilleben, Meredith Monk. Manchmal spielt sie einige wenige Töne auf einer kleinen Flöte. Dann wiederum ist nur ihre klagende Stimme zu hören. Hinter den beiden Frauen großformatige Dia-Projektionen mit spätantiken Fayoum-Portraits aus Alexandria, ernste und faszinierende Gesichter, Grabbeigaben, wie man im Schattenreich und auf der Reise nach Abydos zu sein wünschte.

Das ist nun kein Konzert mehr, sondern wieder inszeniertes Musiktheater: Zwei Frauen in stilisierten Posen wie bei Bob Wilson - sanft und verinnerlicht klagend, doch mit all dem magischen Zauber von Göttern, Götzen und Heiligen, der die mystisch-verwunschene Sehnsucht der Spätantike nach Erlösung, durch die amerikanische Brille betrachtet, wieder lebendig werden läßt. Ein altägyptisches Namens-Monster kommt mir in den Sinn, ein Palindrom mit 49 Buchstaben. Es heißt Thoriobrititammaorraggadoiodaggarroammatitirboiroht. Wer es in einer rituellen Handlung beschwört, hat all die zahlreichen Namens-, Wort- und Sinn-Teufel, die uns umschwirren, gebannt.

Reinhold Urmetzer