Comic Planet

■ Zum 16.Internationalen Comic-Salon in Angouleme

Martin Frenzel

Von den bundesdeutschen Medien weitgehend mit Verachtung gestraft: der internationale Comic-Salon im südwestfranzösischen Angouleme. Unweit der Antlantikküste gelegen und einige Kilometer nördlich der Metropole Bordeaux, hat sich das eher unscheinbar-graue Städchen (51.000) Einwohner) längst zum bedeutendsten Festival Westeuropas in Sachen Comic gemausert. Zwar gibt es ähnlich ambitionierte Comic-Salons auch in Licca (Italien), Sierre (Schweiz) und Erlangen (BRD) - aber sie haben alle noch nicht die gigantischen Dimensionen des Comic-Ereignisses in der Charente erreicht, das in Frankreich multimediale Beachtung findet. Die Pariser Tageszeitungen widmen dem Comic-Spektakel in Angouleme jedes Jahr im Januar gleich mehrere Seiten. Die 'Liberation‘ brachte diesmal eigens eine zwölfseitige Extrabeilage nur zum Thema Angouleme heraus, 'Le Quotidien de Paris‘ und selbst der stockkonservative 'Le Figaro‘ zogen mit Sonderbeilagen nach. Auch die ansonsten ziemlich bilderfeindliche (dafür wortreiche) Welt-Zeitung 'Le Monde‘ opferte immerhin eine ganze Seite.

Einer, der das Postulat von der grafischen Kunst wörtlich nimmt, war in Angouleme mit einer spektakulären Ausstellungs -Performance dabei: der Pariser Experimentalgrafiker Philippe Druillet, der im letzten Jahr den Grand Prix de la Villa Angouleme erhalten hatte. Seit den Sechzigern sprengt Druillet (44) bewußt alle Bilderrahmen-Konventionen des Mediums. Was mit Lone Sloane begann, führte er mit imposant überhöhten SF-Universen wie Vuzz und Salambo (nach dem Roman von Gustave Flaubert) zur zumindest zeichnerischen Vollendung. Druillet sieht sich denn auch mehr als jemand, der „graphisme“ betreibt. Seine Geschichten sind zumeist Beiwerk, treten klar gegenüber der optischen Gestaltung seiner tiefgründigen splash panels in den Hintergrund. Das gilt auch für die Comic-Adaption des expressionistischen Filmklassikers Nosferatu, der brandneu zum Salon erschien.

Druillet gehörte 1975 zusammen mit dem Star-Zeichner Moebius alias Jean Giraud (bekannt durch Westernepos Blueberry und Arzach, zeichnet derzeit in den USA Superhelden-Comics) zu den Gründern der Erwachsenencomic -Zeitschrift 'Metal Hurlant‘. Deutsch erscheinen seine elitären Visionen in der Schwesterpostille 'Schwermetall Magazin für fantastische Erwachsenencomics‘. Druillet-Fans konnten auf einer riesigen Videoleinwand innerhalb der bizarren Ausstellung den Meister sogar audiovisuell erleben.

Angouleme '89 apostrophierte sich selbst als den einzigartigen „Comic-Planten“: Über 300.000 Besucher kamen, über 120 Verlage aus ganz Europa und Übersee, 24 Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Filme, Videos und Zeichentrick rund ums Medium.

Und doch ist es mit dieser Einzigartigkeit künftig vorbei: Im 15.Jahr erhält die Comic-Hauptstadt Europas durch den im März über die Bühne gehenden „Ersten Europäischen Comic -Salon“ in Grenoble ernsthaft Konkurrenz. Ob es freilich gelingt, Angouleme von seiner Stellung als dem „Mekka der Bandes Dessimees“ zu verdrängen, steht mindestens bis zum Frühjahr in den Sternen.

Angouleme warf immerhin alles in die Waagschale, um den angestammten Platz an der Comic-Sonne zu behalten. Zum 60.Jubiläum des „Ligne Claire„-Klassikers Tintin (auf deutsch Tim und Struppi) präsentierte sich eine in dieser Form bisher einmalige Herge-Ausstellung. Besonderes Bonbon: die in einem Karree inmitten der Werkausstellung (die später auch in Paris gezeigt werden soll) dargebotenen 124 Originalseiten aus dem Tim und Struppi-Frühwerk Der blaue Lotus, in dem sich Herge vom katholisch -klerikalen Antikommunismus - siehe Tim im Lande der Sowjets - weitgehend löste und sich kritisch mit dem Kolonialimperialismus der Japaner in China auseinandersetzte. Nach Angouleme gekommen war auch Herges langjähriger Freund Tschang: Der heute greise Chinese diente ihm als Vorbild für die Figur des Jungen Tschang im Blauen Lotus und später in Tim in Tibet..

Auch die gelungene Ausstellung zu Ehren des belgischen Humoristen Andre Franguin lockte Zehntausende Besucher: Der Schöpfer des gelbgefleckten Urwaldviechs „Marsupilami“ („Huba-huba“!) des pannenreichen Gaston Lagaffe und die beiden Helden „Spirou und Fantasio“ ist mit seinem Comic -Kosmos mittlerweile auch dem bundesdeutschen Publikum ein Begriff.

Überhaupt war die bundesdeutsche Präsenz bei den Verlagen noch nie so groß wie in diesem Jahr. Nahezu alle wichtigen Albenverlage (von Ehapa über Carlsen bis Schreiber und Leser) warben für ihre Neuerscheinungen und feilschten um Lizenzen.

Zu den großen Entdeckungen des Salons gehörte der neue spanische Comic: Vor allem der 29jährige in Coruna lebende Miguelanxo Prado begeistert jetzt auch das französische Publikum mit seinen skurril-satirischen Alltagsgeschichten. Bei den Humanoides Associes ist bereits das zweite Album Chienne de Vie (im Original Quotidiania Delirante) erschienen. Prado pflegt einen ganz eigenen Zeichenstil, wunderschön sind auch die gedämpft-nuancierten Farben. Völlig unverständlich blieb, daß Prado - obwohl in drei verschiedenen Sparten für den Comic-Oscar nominiert jedesmal leer ausging. Die geplagte Stippvisite der Kulturminister Spaniens und Frankreichs in Angouleme fiel freilich ins Wasser: Sein spanischer Amtskollege Jorge Sempron sagte in letzter Minute ab, also mußte Jack Lang allein durch die Messezelte promenieren.

Zwar floriert der französischsprachige Comic-Markt wie nie zuvor (1987 wurden rund 20 Millionen Exemplare verkauft). Und doch dreht sich das Verlagskarussell rasanter denn je: Beherrschen in der Bundesrepublik die Protestanten den Comic -Markt (hinter dem Carlsen-Markt steht der schwedische Konzern Bonnier, hinter Ehapa die dänische Gutenberghus -Gruppe), so sind es in Frankreich die ultrakonservativen Katholiken des „Ampere„-Imperiums, die mit den Renommierverlagen Dargaud, Fleurus, Lombard und Yeti Presse 45 Prozent der Branche für sich vereinnahmen. Die angesehene Tageszeitung 'Le Monde‘ konstatierte darob dann auch eine „gewisse Unruhe“ bei den Autoren der betroffenen Verlage (siehe auch taz vom 31.1.89).

Auch der Hachette-Konzern hat kräftig am Karussell gedreht: Die Humanoides Associes wanderten so an eine Schweizer Verlagsgruppe namens „Alpen Publishers“. Die beiden Erfolgsverlage Depuis und Glenat, die beide den Salon in Angouleme zugunsten des neuen Festivals in Grenoble boykottierten, wollen künftig miteinander kooperieren. Glenat, mit Sitz in Grenoble, hat außerdem einen Großteil seines Vertriebsnetzes an die Flammarion-Gruppe abgegeben. Diese wiederum reüssiert derzeit unangefochten mit ihren „J'ai lu BD„-Minipocket-Taschenbüchern: nahezu alle Alben sind inzwischen im ummodellierten Miniformat zu haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die unselige „J'ai lu„ -Manie auch in deutsche Gefilde überschwappt.

Ein starker Trend: die „Roman BD“ oder „Roman graphique“ (Bilderromane). So brachte es Tardis Comic-Adaption des Celine-Romans Le Voyage au bout de la nuitauf Anhieb auf eine ausverkaufte Erstauflage von 60.000 Exemplaren.

Stargast aus Amerika war in Angouleme der gerade erst 60 Jahre alt gewordene US-Satiriker Jules Feiffer, dessen Cartoon-Reihe Feiffer in den sechziger und siebziger Jahren weltberühmt wurde. Zusammen mit seinem französischen Kollegen Wolinski plauderte Feiffer munter über die Unbillen des politischen comic strip. Zur Preisverleihung erlebte Angouleme 1989 eine „zweite Geburt“ (wie 'Le Monde‘ es treffend formulierte): Da der langjährige Organisator des Festivals, Pierre Pascal, nicht nur einen groß angelegten Gegen-Salon in Grenoble aus der Taufe hob, sondern auch gleich den traditionsreichen Prix Alfred (den Komik -Pinguin des Klassikers Saint-Ogan) mitnahm, vergab man in diesem Jahr erstmals den „Alph-Art“ (benannt nach dem letzten, unvollendet gebliebenene Tim und Struppi -Album).

Den Großen Preis der Stadt Angouleme nahm der Humorist Rene Petillon entgegen, dessen knollnasige Krimipersiflage Jack Palmer auch bei uns erschienen ist. Ein Star-Humorist wie Gotlib, dessen Satiremagazin 'Fluide Glacial‘ als einziges von vielen Comic-Zeitschriften gut läuft (bei uns U -Comix genannt), hätte den Preis fürs Gesamtwerk dabei viel eher verdient. Der Alph'Art fürs beste ausländische Album bekamen die beiden Amerikaner Gibbons und Moore für ihre in den USA und England ungemein populäre Superhelden -Serie Watchman. Den Preis in der Humor-Sparte nahm die Zeichnerin Florence Cestac für ihre im Disney-Funny-Stil gehaltenen Des Copains pleins de pepins entgegen. Den Alph'Art coup de coeur fürs beste Nachwuchsalbum erhielten Depuy und Berberian für ihre Serie um die Nervensäge Henriette. Ebenfalls ausgezeichnet wurde der soeben in deutsch erschienene epische Fantasy-Comic-Roman Le grand pouvoir du Chinkel (Die große Macht des kleinen Schinkel, bei Carlsen) von Van Hamme (Text) und Grzegorz Rosinski. Eine gekonnte Mischung aus Herr der Ringe und den erotischen Geschichten aus 1001 Nacht.

Das typische Flair dieser Stadt - nicht wenige fürchten, daß genau dies in der Großstadtmetropole Grenoble am Ende fehlen wird. Wie der „Festivalkrieg“ zwischen Angouleme und Grenoble ausgehen wird, werden die nächsten zwei Jahre zeigen. Jedenfalls will Kulturminister Lang mit der Eröffnung des bereits diesmal teilweise genutzen „Centre National de la Bande Dessinee et de l'image“ (C.N.B.D.I.) in Angouleme 1990 die Bedeutung des traditionellen Festivals unterstreichen.