Nette Frau auf großem Posten

Die einflußreichste Gewerkschaft Schwedens kürte zum ersten Mal eine Frau zur Vorsitzenden / Die Ernennung von Lillemor Arvidsson gilt als kleine Kulturrevolution / Sie will weg vom Bild des grauen Apparatschiks  ■  Von Gisela Pettersson

„Nette Frauen kommen in den Himmel, andre noch viel weiter“ steht auf einem Poster der schwedischen Frauenzeitschrift 'Hertha‘ zu lesen. Lillemor Arvidsson verkörpert die Ausnahme von dieser Regel. Der Prototyp einer netten Frau kam so weit wie keine vor ihr. An himmlischen Sphären vorbei sauste sie direkt auf einen bisher unbeweibten, weil überbemannten Planeten zu. Ihr Ziel: die Vorsitzendenetagen des schwedischen Gewerkschaftsdachverbandes LO und seiner Mitgliedsorganisationen.

Dort regierte als die Nummer Eins bis dato ausschließlich der „kleine Unterschied“. Mit dem 1. Februar hat es damit ein Ende. Dann baut die 46jährige ehemalige Krankenschwester die „großen Folgen“ etwas ab und übernimmt die Führung der mitgliederstärksten und einflußreichsten LO-Gewerkschaft „Kommunalarbetareförbundet“, der Gewerkschaft der Kommunal -Beschäftigten. „Frauenclub der Nation“

Die Mitglieder malochen in Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten oder der Psychiatrie. Sie machen Dreck weg, fahren Bus und kochen für Schulkinder.

Jede(r) achte ArbeitnehmerIn Schwedens ist in dem Verbund organisiert, der von den Strukturen her als kleinere Schwester der bundesrepublikanischen ÖTV durchgehen könnte. Von 635.000 Mitgliedern sind 510.000 Frauen, satte 80 Prozent.

„Klar, daß ich als Vorsitzende Politik für alle mache“, sagt Lillemor, die bisherige stellvertretende Vorsitzende ihrer Organisation, die 1972 als Bildungs-„Ombudsmann“ ihre hauptamtliche Funktionärslaufbahn startete. Aber: „Die 80 Prozent markieren natürlich einen frauenspezifischen Schwerpunkt.“ Wie der aussieht? „Weg mit unterbezahlten Teilzeitstellen, her mit Vollzeit-Arbeitsplätzen“, beschreibt Lillemor Arvidsson den Stein, der ihr am schwersten auf dem Herzen liegt. Vor allem im Krankenhausbereich reiße mehr und mehr die Praxis ein, Vollzeitstellen aufzusplitten.

Bei einer Reise nach Nordschweden habe sie in einem einzigen Krankenhaus 97 verschiedene Zeitsysteme entdeckt, „von 20 Prozent bis Vollzeit“. „Wie soll eine Frau leben mit dem, was sie für 20 Prozent der normalen Arbeitszeit aufs Lohnkonto bekommt?“ fragt die überzeugte Frauenrechtlerin, die als quirlige Jungsozialistin organisierte Frauenarbeit für so überflüssig wie einen Kropf hielt.

Inzwischen bezeichnet sie nicht ohne Stolz ihre eigene Gewerkschaft als stärksten Frauenklub der Nation. Vollzeit für alle, kürzere Arbeitstage („von Sechs-Stunden-Tag bis zu flexiblen Regelungen im Nachtdienst“), besseren Lohn, mehr Einfluß beschreibt sie als aktuell anzupackende politische Herausforderungen für ihre Organisation. Quotenforderung

muß auf den Tisch

Zwei Sachen kommen der schwedischen Monika Wulf-Mathies dabei zugute: Sie spricht nicht - wie so mancher Apparatschik - wie ein Blinder von der Farbe, wenn es um konkrete Arbeitsbedingungen vor Ort geht.

Eine Woche ihres Urlaubs verbringt sie nämlich nach wie vor dort, wo „ich die Luft zum Atmen herbekommen“, bei ihren Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz. Letztes Jahr jobbte sie eine Woche in einem Krankenhaus für alte Menschen in Uddevalla.

Die weitere günstige Voraussetzung: Zum ersten Mal in der Geschichte des 1910 gegründeten Kommunalverbundes gibt es eine weibliche Majorität im Vorstand. Acht zu fünf lautet die Formel. Eine Tarifrunde mit verstärkt frauenpolitischen Akzenten ist in greifbare Nähe gerückt.

Daß sich auch der Vorstand der Gewerkschaftsdachorganisation LO in Zukunft mehr mit frauenpolitischen Sachfragen beschäftigt, hält die einzige Dame in der Herrenrunde für realistisch. Quotierung kann dabei eines der zu besprechenden Themen sein.

Lillemor Arvidsson, die an einem 1.Mai geborene Schwedin, kann nämlich nicht verstehen, warum man(n) in ihrer Heimat Quotierung fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Gerade Männer, die „doch munter durch die ganzen Jahrhunderte quotieren“, würden das als geradezu „livsfarligt“, als lebensgefährlich ansehen.

Das „lebensbedrohende“ Ding will die resolute Gewerkschafterin nicht abstrakt und ohne konkreten Anlaß auf den Tisch legen. Vielmehr im Zusammenhang mit einer Gesetzesänderung, die den Schwedinnen und Schweden das fortschrittlichste Elternurlaubsgesetz der Welt beschert: 18 Monate sollen ab 1991 Vater oder Mutter bezahlt bei der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben können.

Lillemor wäre nicht Lillemor, würde sie nicht etwas Essig in den Euphorismus-Wein gießen, der landauf, landab serviert wird: „Ohne Quotenregelung kann ein solches Gesetz leicht zur Frauenfalle werden“, sagt sie der taz. Denn auch in Schweden zeigen sich die Männer noch recht enthaltsam bei der Inanspruchnahme des Elternurlaubs. „Im Klartext kann das neue Gesetz also bedeuten, daß frau 18 Monate vom Arbeitsplatz weg ist, weg von Aufstieg, Karriere, Weiterbildung.“ Strukturen verändern

Als Vorsitzende der stärksten LO-Gewerkschaft sitzt Lillemor Arvidsson wie eine Spinne im Netz von Einfluß und Macht. Daß sie „selbstverständlich keine Vorsitzendenfixierung“ will, nichts von Prestigedenken hält und im übrigen viel zu delegieren gedenkt, wurde flugs von einigen als Zeichen der Schwäche kommentiert.

Sie antwortet auf solche Angriffe mit einem herzhaften Lachen und der Bemerkung, daß solches nur jemand sagen könne, der innergewerkschaftliche Demokratie verhindern wolle.

Ihre bisherigen Äußerungen in der Öffentlichkeit, ihre Offenheit und Natürlichkeit werten Gewerkschaftsbeobachter in Schweden inzwischen als eine Art „Kulturrevolution“. Besonders im Vergleich mit ihrem Vorgänger Sigvard Marjasin, gegen den sie sich in einer Kampfabstimmung durchsetzte und der inzwischen einen Landratsposten als Trostpflaster erhielt.

Ohne Rücksicht auf Familienpflichten wird die alleinstehende Gewerkschafterin („Ich habe halt nie den Richtigen getroffen“) nun durch die Flut von Terminen und Verpflichtungen einer Vorsitzenden waten.

„Der Preis für eine Frau in einer solchen Position darf allerdings nicht die Einsamkeit sein“, sagt sie. Deshalb will sie Strukturen verändern und Tendenzen abbauen, „das ganze Leben der Gewerkschaftsarbeit unterzuordnen“. Ihr Rezept: Sitzungsstile verändern, Kinderbetreuung als Regel und vor allem den Männern selbst helfen, männerdominierte Strukturen aufzubrechen.