Von rot-grüner Euphorie zum politischen Alltag

Die öffentliche Stimmung in Berlin ist weiterhin für rot-grünes Bündnis / Bündnis-Skeptiker in AL und SPD noch zurückhaltend / SPD muß sich Verläßlichkeit der Alternativen sichern / SPD: Übernahme der Bundesgesetze Voraussetzung für Zusammenarbeit  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Berlin ist in Rot-Grün-Euphorie. Seit am 29.Januar die Auszählung der Stimmzettel eine rechnerische Mehrheit für SPD und Alternative Liste ergab, reißen die Sympathiekundgebungen für ein Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Alternativen nicht ab. Allein drei Großdemonstrationen für Rot-Grün und gegen die rechtsradikalen „Republikaner“ gab es in der letzten Woche am Samstag waren es vorwiegend Ausländergruppen, die dazu aufgerufen hatten. In den Kneipen wird diskutiert, die Politik in Berlin ist wieder spannend geworden.

Der öffentliche Druck läßt die Skeptiker in den alternativen als auch in den sozialdemokratischen Reihen verstummen. Aber, und da warnt SPD-Chef Momper zu recht, eine rot-grüne Zusammenarbeit läßt sich nicht auf Sympathie aufbauen, sie muß von Akzeptanz getragen sein - Akzeptanz auch gegenüber zweifellos unpopulären Folgen.

Die SPD scheint entschieden, das Wagnis einzugehen. Walter Momper zweifelt inzwischen nicht mehr daran, daß es der AL ernst ist mit dem Angebot zur Zusammenarbeit. Er, der in den vergangenen Jahren kein gutes Haar an der AL ließ, war von der ersten Gesprächsrunde am letzten Freitag angetan. Aber er weiß auch, daß er seiner Partei kein Scheitern zumuten kann. Die SPD, mit ihren 37,3 Prozent gerade mal aus der Talsohle raus, hat viel zu verlieren. Deshalb muß sich Momper in jedem Fall die Verläßlichkeit der Alternativen sichern. Nicht umsonst hat er die Frage der Übernahme der Bundesgesetze zur zentralen Voraussetzung für eine Zusammenarbeit erhoben. (Das Berliner Abgeordnetenhaus muß per Abstimmung jedes einzelne Bonner Gesetz übernehmen.) Er kann es sich nicht leisten, daß die Alternativen, wie in der Vergangenheit, ausscheren. Die AL hat in den letzten Monaten sowohl gegen die Gesundheits- als auch gegen die Steuerreform gestimmt. Es wäre für Momper eine Blamage, die die CDU genüßlich ausschlachten würde, bräuchte er für die anstehenden Abstimmungen - zum neuen Ausländergesetz beispielsweise - die Stimmen der CDU. Die AL hat inzwischen erklärt, daß dieser Punkt zur Verhandlungsmasse gehört. Je nachdem, wie weit sich die SPD in anderen zentralen AL -Forderungen bewegt, will sie das von Momper geforderte Essential erfüllen.

In der Alternativen Liste schweigen derzeit die Zweifler. Die Bezirksgruppen, auch die traditionell fundamentalistisch orientierten, haben sich unter dem Eindruck des Wahlergebnisses mehrheitlich für eine rot-grüne Zusammenarbeit, gar für eine Koalition ausgesprochen. Skepsis ist angebracht, wie weit die Kompromißbereitschaft gegenüber der SPD gehen wird. Denn nicht nur der Wille, Regierungsverantwortung zu übernehmen, prägt die Koalitionsbereitschaft, viele in der AL wollen die Koalition als ein Bündnis gegen Rechts: gegen eine große Koalition und gegen die „Republikaner“. Noch ist wenig die Rede von rot -grünen Utopien. Und auch die Probleme kommen bislang nicht auf den Tisch. Was zum Beispiel, wenn bei der ersten Demonstration nach dem Regierungsbündnis die Polizei eingreift. „Ich sehe schon die Schlagzeile“, so der jetzige Fraktionsvorsitzende und Verfassungsschutzexperte der AL Wieland: „Rot-grüne Knüppel gegen Demonstranten!“ Wenn auf der AL-Mitgliedervollversammlung am nächsten Samstag mit zwei Wochen Abstand und kühlerem Kopf diskutiert wird, wird klarer werden, wie tragfähig die derzeitige Rot-Grün -Stimmung in der Partei ist.

Die SPD aber muß sich, geht sie ein Bündnis mit den Alternativen ein, auf heftige Attacken von Seiten der CDU gefaßt machen. Die Christdemokraten, machtgewohnt und -gewillt, richten sich auf Opposition ein. Der vorwurfsvolle Briefwechsel zwischen Momper und Diepgen vom letzten Wochenende hat deutlich gemacht: Man will nicht mehr miteinander. Bürgermeisterin Laurien (CDU) rät der Partei inzwischen, in die Opposition zu gehen. Diepgen malt Horrorvisionen an die Wand. Er droht mit der Abwanderung der Industrie aus Berlin. Und man kann sicher sein, daß die CDU ihren Einfluß in den Spitzenverbänden geltend machen wird, um gegen Rot-Grün zu arbeiten. 100.000 Arbeitslose meldet die Statistik für den Wahlmonat Januar, und bei verschiedenen Firmen stehen Entlassungen bevor. Die CDU setzt auf rot-grünes Chaos und Neuwahlen.

Aber Walter Momper muß, geht er das Bündnis mit der AL ein, nicht nur mit dem erbitterten Widerstand der Berliner CDU rechnen, er hat auch Bonn gegen sich. Und das wiegt schwerer. 50 Prozent des Berliner Haushalts kommen aus Bonn, das macht abhängig. Wenn Helmut Kohl will, kann er Momper am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Momper seinerseits hat mit einer Rot-Grün-Regierung keinerlei Einfluß auf die Bonner Politik. Seine Forderung nach Rücknahme der Gesundheitsoder der Steuerreform könnte er bestenfalls in einer großen Koalition durch Kompromisse mit der Berliner CDU in Angriff nehmen.

Am 2.März soll sich - verläuft alles nach Plan - das neue Abgeordnetenhaus konstituieren, eine Woche später der Regierende Bürgermeister und der Senat gewählt werden. Bei einem rot-grünen Bündnis bekäme Berlin nicht nur eine neue Regierung, es käme auch zu gigantischen Umschichtungen auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt. Denn nicht nur die gesamte SenatorInnenriege müßte abgelöst werden, Dutzende von StaatssekretärInnen, PressesprecherInnen und persönlichen ReferentInnen verlören ihre Arbeitsplätze. Andere machen sich heute schon Hoffnungen auf einen der begehrten Plätze ein nicht ganz unwesentlicher Aspekt rot-grüner Hoffnungen.