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Die Krankheiten des Herrn von Karajan

■ Hassemers Geheimflug nach Canossa löst Proteste aus / Was wollte er am Montag beim „Chefdirigenten“ in Salzburg? / Hat er noch kurz vor dem Regierungswechsel dessen Vertragsbrüche legalisiert? / Kulturausschuß und Orchester nicht informiert

Als am letzten Freitag im Rathaus Schöneberg die Ausstellung „Aus Nachbarn wurden Juden“ eröffnet wurde - unter der Beteiligung der Verhandlungskommissionen von SPD und AL wurde ein Gerücht bekannt: Noch-Kultursenator Hassemer plane, am Montag nach Salzburg zu reisen, zum größten Dirigenten aller Zeiten. Daß diese Reise etwas mit Vertragsverhandlungen zu tun haben muß, schien offensichtlich. Gestern nun wurde die Reise von Hassemers Staatssekretär von Pufendorf bestätigt. Alarmiert waren diejenigen, die über diese Reise erstaunlicherweise nicht informiert wurden: der Kulturausschuß, das Philharmonische Orchester und insbesondere die Kultursprecher von SPD und AL, Ditmar Staffelt und Sabine Weißler. Das Orchester legte mit einer Erklärung des Vorstandes vorsichtshalber ein Veto ein gegen mögliche Vertragsabschlüsse. Die SPD empörte sich: Hassemer habe kurz vor der Regierungsbildung kein Verhandlungmandat. Die AL sah in dieser Geheimhaltung „ein gestörtes Verhältnis zur politischen Kultur“ in der Stadt. Empörung und Proteste auf der einen, Arroganz auf der anderen Seite: von Pufendorf sprach plötzlich „vom miesen Stil, einem Mann über 80, der krank ist, mit seltsamen Parolen entgegenzutreten“. Die Probleme sollten nicht „in der Art von aufgeschreckten Hühnern behandelt“ werden. Abwiegelnde Erklärungen, die bestätigen, daß es bei dieser Reise um Entscheidungen gehen wird. Denn Karajans Krankheiten sind bekannte Bestandteile der Berliner Kulturpolitik und die „seltsamen Parolen“ sind so seltsam nicht.

Der Chefdirigent auf Lebenszeit hat das Orchester, das dem Steuerzahler über 19 Mill. DM im Jahr kostet, praktisch zu seinem „privaten Klangkörper“ ('Spiegel‘) gemacht. So wenig selbstverständlich der Auftritt des Philharmonischen Orchesters mit Karajan an den Karajan-Festspielorten Salzburg und Luzern ist, so wenig selbstverständlich ist er es in Berlin. Überdies: die Tourneen, die audio-visuelle Verwertung, das Angebot von Gastdirigenten sind dem Meinen und Planen der größten Agentur für E-Musik in der Welt, der CAMI, unterworfen. An ihr ist Karajan beteiligt. Die Selbstverwaltung des Orchesters ist zu kontinuierlichen Klagerufen verurteilt. Bekanntgeworden ist der skandalöse Zusammenhang mit einem Telex, in dem ein Vertreter von CAMI, ein Herr Gelb im namen von Karajan und des Orchesters Forderungen für einen Auftritt in Taiwan stellte. Dieses Telex löste einen Sturm hinter den Kulissen aus, aber mehr auch nicht. Immerhin: die einzige Schwäche des Geschäftsmannes v.K. ist sein Vertrag als Chefdirigent auf Lebenszeit - er bricht nämlich diesen Vertrag. Die geforderten zwölf Konzerte und das Probespielen - wichtig für die Fortentwicklung des Orchesters - wurde von ihm nicht realisiert. So hieß es denn im November im Kulturausschuß: Entweder „Karajan findet sich bereit, die Verträge einzuhalten, oder er erklärt, daß er nicht mehr will und kann.“ Diese Situation der Vertragsbrüchigkeit wollten nun Orchester und Kulturpolitiker ausnutzen, um Karajan den Titel eines „Ehrendirigenten“ zuzuschieben und im übrigen die Nachfolgefrage ohne das Diktat von CAMI und Karajan zu lösen. Der Chefdirigent will zwar die lästigen Berliner Verpflichtungen auch vertraglich loswerden, aber als künstlerischer Leiter und Chef weiter im Geschäft bleiben. Dann könnte er den Nachfolger in seinem und der CAMI Sinne auch bestimmen.

Was er konkret will - und das ist wieder das Thema „Krankheiten“ - hat er in einem Brief vom 10.1. dieses Jahres deutlich gemacht (vgl. Dokumentation). In ihm zählt er seine Krankheiten auf, um dann lakonisch zu diktieren, er wolle „folgende Tätigkeiten beibehalten“. Nämlich Auftritte bei den Osterfestspielen in Salzburg, an den Salzburger Festspielen, an den „Int. Musikfestspielen Luzern“ und - an vierter Stelle schließlich auch - „sechs Konzerte insgesamt“ in Berlin. Keine Tourneereisen nach Westdeutschland (da uninteressant für die CAMI, nur Europa und USA), keine Probespiele! Also nur noch symbolische, aber gleichwohl geschäftliche Präsenz in Berlin. Der Geiger Hellmut Stern nannte das Verhältnis seinerzeit vor dem Kulturausschuß „De facto haben wir einen Gastdirigenten, der de jure Chefdirigent ist“. Nach diesem jetzt bekannt gewordenen Briefdiktat wäre Karajan de jure Gast- und Chefdirigent zugleich. Eine der aufgezählten Krankheiten, mit der Karajan sein Diktat begründet, ist die „Darmgrippe“

-kulturpolitisch besonders pikant. Bei der Eröffnung von E88 mußte Karajan die Politprominz brüskieren und absagen wegen Darmgrippe, die kürzeste Darmgrippe aller Zeiten. Schon am nächsten Tag brach er zu seiner triumphalen Japantournee auf.

Was wollte also Hassemer gestern in Salzburg? Ist es sein Canossa vor dem Platten-Papst? Wenn er Karajans Bedingungen akzeptieren würde, dann wäre die Übermacht des Chefdirigenten und der CAMI gesichert, die aus dem Philharmonischen Orchester ein kulturpolitisches Dauerproblem machen würde.

K.H.

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