„Wir stehen vor einer Jahrhundertgelegenheit“

Christian Ströbele zu den Perspektiven einer Zusammenarbeit mit der SPD / Heute zweite Gesprächsrunde  ■ I N T E R V I E W

Christian Ströbele ist Gründungsmitglied der AL und zur Zeit im Geschäftsführenden Ausschuß der Partei. Er gehört zur Delegation, die im Moment die Gespräche mit der SPD führt. Ströbele repräsentiert eher den fundamentalistischen Flügel der Partei und fühlt sich vor allem für den Bereich innere Sicherheit zuständig.

taz: Heute wird die zweite Gesprächsrunde zwischen AL und SPD über die Bühne gehen. Der allgemeine Eindruck nach dem Auftakt war: positiver als erwartet. Siehst du das auch so?

Ströbele: Ja, das ist richtig. Ich dachte erst, da die SPD auch noch mit der CDU verhandelt, könnte das eine Art Pflichtübung sein. Das ist waber wohl nicht der Fall. Die Stimmung war eindeutig so, man soll es zusammen versuchen.

Hat sich diese Stimmung denn schon konkretisiert. Wurde über Sachfragen oder die sogenannten Essentials der SPD geredet, oder ist die Einschätzung vor allem atmosphärisch begründet?

Das war natürlich ein atmosphärischer Eindruck, der sich vor allem aus der Dramaturgie des Treffens ergab. Wir haben ja nach einer kurzen öffentlichen Runde gemeinsam die Ausstellung „Wie aus Nachbarn Juden wurden“ besucht. Allein das Herr Momper gemeinsam mit uns eine Stunde lang diese Austellung besuchte, war ein Signal, das hier keine Spielchen betrieben werdden. Thematisch ging es zwar erst einmal nur darum, die bereits bekannten Fragen noch einmal zu erläutern. Es gab allerdings einen Meinungsaustausch über das für die AL sehr brisante Thema der die Änderung der Politik der inneren Sicherheit in der Stadt, zum Beispiel Abschaffung des Verfassungsschutzes. Die Reaktion darauf war für mich überraschend positiv.

Herr Momper hat euch nicht ausgelacht?

Gelacht hat er glaube ich tatsächlich, aber nicht im Sinne von auslachen. Ich habe die SPD so verstanden, daß auch dieser Bereich für sie durchaus veränderbar ist.

Zum Stichwort Atmosphäre - wenn ich an die Probleme in Hessen zurückdenke, die Börner mit den dortigen Grünen hatte, rührten die doch zum Teil auch aus den kulturellen Schranken zwischen den beiden Milieus, die dort am Tisch saßen. Ist das bei der Berliner SPD oder spezieller Herrn Momper anders?

Eine Stadt wie Berlin ist mit Hessen nicht zu vergleichen. Es gibt einfach überschneidungen der Milieus. Momper kommt auch innerhalb der SPD aus einer ganz anderen Ecke als Börner, und ich habe den Eindruck, daß er was die AL angeht, durchaus mitdenken kann und auch sieht, daß wir hinter bestimmte Vorstellungen gar nicht zurück können. Er kann sich in alternatives Denken durchaus hineinversetzen. Dafür spricht auch das Prozedere der ersten Runde. Da ist die SPD den AL-Vorstellungen ja ziemlich entgegengekommen. Beispielsweise die erste Stunde öffentlichkeit und die weitere anwesenheit eines Teils der Parteibasis bei den kommenden Gesprächen. Momper hat auch deutlich zu erkennen gegeben, daß er weiß, daß die AL erst nach der Legitimation durch ihre Vollversammlung am kommenden Samstag tatsächlich verbindlich verhandeln kann. Er hätte ja auch sagen können, die Verhandlungen beginnen entweder sofort oder gar nicht. Das heißt die SPD ist bereit, unsere Strukturen zu akzeptieren.

Ist Momper deiner Einschätzung nach denn in der Lage, eine Rot-Grüne Koalition in seiner Partei auch bundesweit durchzusetzen?

Die jetzige Situation ist mit den Problemen, die Börner oder auch Dohnanyi hatten, nicht zu vergleichen. Einmal verhandelt die SPD jetzt nicht aus der Position des Noch -Regierungschefs, zum anderen ist die Stimmung innerhalb der Berliner SPD eindeutig für Rot-Grün. Eine Große Koalition wäre für den ganz überwiegenden Teil auch der SPD-Wähler eine riesen Enttäuschung. Dazu kommt noch der Einzug der „Republikaner“ ins Parlament. Wir alle müssen uns überlegen wie eine Politik aussehen kann, die dieser Gruppierung wieder das Wasser abgräbt. Da kann keiner der Meinung sein, das ginge etwa durch eine Große Koalition. Die objektive Situation ist also ganz anders als sie in Hessen oder Hamburg war - meiner Meinung nach stehen wir vor einer Jahrhundertgelegenheit.

Auf diese Jahrhundert-Gelegenheit ist aber auch die AL denkbar schlecht vorbereitet. Weder sind Koalitionsverhandlungen detaillierter vorbereitet noch formuliert die AL eine Vision für eine andere Politik. Die Addition von Partikularinteressen gibt ja noch kein überzeugendes Bild für eine andere Politik. Wo ist die Vision der AL die in eine tragfähige Politik mit der SPD umgesetzt werden könnte.

Das ist tatsächlich ein Problem für die anstehenden Gespräche. Weder ist die Vision der SPD erkennbar, noch gibt es bei der AL ein konsensfähiges geschlossenes Bild einer anderen Politik. Stattdessen gibt es an verschiedenen Punkten, und da durchaus konkret, Vorstellungen für eine andere Gesellschaft. Das muß man natürlich jetzt zusammenbringen. Meine Hoffnung wäre, zu zeigen, daß Utopien in Ansätzen auch zu realisieren sind. Eine völlig veränderte Verkehrspolitik beispielsweise, in der die Rolle des Autos zurückgedrängt wird, oder im Bereich innere Demokratie wo etwa durch ein generelles Akteneinsichtsrecht für jeden Bürger, das Verhältnis Verwaltung und Verwaltete ein grundsätzlich anderes wird. Ich kann mir auch keine dauerhafte Zusammenarbeit vorstellen, wenn nicht Polizeieinsätze wie die während der IWF- Woche völlig unmöglich werden. Da wird es mit der SPD sicher harte Verhandlungen geben.

Du hast den Begriff historische Chance eingeführt. Mit einer Zesur die diesem Bewußtsein entspringt, muß doch eine Message verknüft sein. Siehe die Ostpolitik Brandts nach 69, oder die Anti-AKW Politik in Hessen. Was wird die generelle Botschaft einer rot-grünen Koalition in Berlin?

Berlin ist ja eine Stadt. Daran muß sich auch die Utopie messen. Folglich muß es in erster Linie um eine andere Satdtpolitik gehen. Es geht um eine ökologische Alternative zu der Entwicklung der Städte wie sie sich in den letzten 50 Jahren dargestellt hat.

Berlin ist durch seine geographische Lage aber kaum mit anderen Städten zu vergleichen. Daran müßte sich eine Utopie doch messen lassen. Gerade in der sich dramatisch verändernden geopolitischen Situation.

Die Beziehungen zur DDR und auch den übrigen Osteuropäischen Ländern sind für Berlin sicher ungeheuer wichtig. Trotzdem ist für mich die wichtigste Message die einer innerstädtischen Veränderung. Ökologische und demokratische Stadtpolitik, ein ganz anderer Umgang mit den Immigranten und Flüchtlingen in der Stadt. Berlin muß in diesen Punkten beispielhaft werden, sodaß Delegationen hierher kommen, um zu lernen, wie eine Alternative aussehen kann. Wir wollen natürlich auch im Verhältnis zur DDR etwas verändern, aber das hängt von vielen Faktoren ab, die wir weitaus weniger beeinflussen können. Trotzdem stelle ich mir vor, daß die Abhängigkeit der Stadt von den Finanzen des Bundes, die wir ja zunächst gar nicht ändern können, und die dem Bund natürlich ungeheuere Einflußmöglichkeiten in der Stadt läßt, mittelfristig durch eine viel intensievere Zusammenarbeit mit der DDR im ökonomischen Bereich gemildert werden kann.

Zurück zu den konkreten Schritten einer Realisierung. Am 2.März ist die konstituierende Sitzung des neuen Abgeordnetenhauses. Wird Diepgen an diesem Tag mit den Stimmen der AL abgewählt?

Das steht noch nicht fest. Nach der Berliner Verfassung müßte Herr Momper um Regierender Bürgermeister zu werden nach einer Wahl am 2.März in 21 Tagen einen kompletten Senat präsentieren. Schafft er das nicht, gibt es Neuwahlen. Die Frage ist, schaffen wir es gemeinsam bis zu diesem Datum.

Die Erwartung in der Stadt ist aber doch genau so.

Das ist richtig. Der Erwartungsdruck ist ungeheuer groß. Es wäre natütlich ein großes Problem, den amtierenden Senat länger als formal notwendig im Amt zu belassen. Aber die Zeit bis dahin ist eben sehr kurz. Innerhalb der AL ist ja noch gar nicht entschieden, ob es letztlich um eine Koalition oder eine Tolerierung geht. Das hängt davon ab, was an Realisierung alternativer Politik möglich ist. Mir sind dabei inhaltliche Punkte wichtiger als die Zahl der Senatoren für die AL.

Aber der Zeitfaktor ist ja nicht neutral. Je länger es dauert, um so mehr Angriffsflächen bietet die projektierte Zusammenarbeit.

Das ist richtig und die deshalb drängt die SPD natürlich auch. Dann müssen aber auch die Pflöcke bis dahin soweit eingeschlagen sein, daß das weitere Prozedere nur noch eine Frage der Zeit ist.

Aber arbeitet ihr auch daraufhin hin, oder will die AL die Sache gemütlich angehen lassen?

Ich kenne niemanden in der AL der/die sagt, wir spielen jetzt auf Zeitgewinn. Aber, wir haben keinfertiges Konzept, daß in Verhandlungen jetzt nur noch abzuhaken wäre. Wir arbeiten fast Tag und Nacht um die Verhandlungsgrundlage konkret zu formulieren. Ich bin auch der Meinung, daß jeder Tag, den Diepgen länger auf seinem Stuhl sitzt, ein Tag zuviel ist. Trotzdem müssen die wesentlichsten Punkte vorher klar sein, um nicht später einen frühzeitigen Bruch zu riskieren.

Also erst einmal einen SPD- Minderheitssenat mit der Option auf eine Koalition?

Es sind eine Reihe von Varianten denkbar, aber wir müssen ja erst einmal die Verhandlungen beginnen. Es kann ja sein, daß wir mit der SPD auch sehr schnell zu Weichenstellungen kommen. Ich persönlich bin da ein bißchen skeptisch, aber ich will das natürlich nicht ausschließen. Wir können nur Herrn Momper keinen Blankoscheck geben, daß wäre einfach unverantwortlich.

Das Gespräch führte Jürgen Gottschlich