Partnersuche im Westen

Moskauer Kooperativen bieten Alternativbetrieben Austausch an / Der Klub Sozialer Initiativen (KSI) arbeitet über Verbraucherschutz, Gesundheitswesen und Sozialversicherung, berichtet Vorsitzender Grigorij Pellman  ■ I N T E R V I E W

taz: Der Wahlkampf für den „Kongreß der Volksdeputierten“, der Ende März zusammentreten soll, ist in vollem Gange. Siehst Du auch eine Möglichkeit für die linken Moskauer Klubs sich zu beteiligen?

Pellman: Die informellen Klubs, die gesellschaftlichen Vereinigungen und die Volksfronten im Baltikum diskutieren, wie sie Möglichkeiten nutzen können, die sich mit der Wahlkampagne auftun. Ich weiß sehr gut, daß die genannten Gruppen es als wesentlich ansehen, für die Wahlen zu den Sowjets auf allen Ebenen eigene KandidatInnen aufzustellen. Und ich glaube, daß die soziale Bewegung, vor allem aber die Volksfronten, auf diese Wahlkampagnen besser vorbereitet sind als viele der offiziellen Kreise.

Auf welche Weise könnt Ihr bei solchen Wahlen teilnehmen?

Als erstes möchte ich betonen: Wir hatten noch nie ein Gesetz, das uns derartig weite Möglichkeiten gegeben hat. Die Regierung wird Ressourcen bereitstellen für die Wahlkampagnen, Geld, Räume und Medien. Wir haben Chancen, eigene Leute kandidieren zu lassen. Der Oberste Sowjet wird nach dem jetzt diskutierten Vorschlag aus drei Teilen zusammengesetzt, zum einen bleiben die beiden Kammern, die wir jetzt haben, nämlich der Unionssowjet und der Nationalitätensowjet. Aber dazu kommen nun - und das ist das neue - KandidatInnen beziehungsweise Abgeordnete, die von den verschiedenen gesellschaftlichen Vereinigungen aufgestellt werden, das heißt, das Komitee der Sowjetfrauen oder der Schriftstellerverband, der Verband der Theaterleute et cetera - sie können KandidatInnen aufstellen.

Gehören denn die informellen Klubs in diesem Sinne auch zu den gesellschaftlichen Vereinigungen?

Nein, das leider nicht. Aber wir haben genügend Mitglieder, die gleichzeitig in offiziell anerkannten Vereinigungen aktiv sind. Viele Mitglieder der Partei und etablierter Verbände engagieren sich mittlerweile in der sozialen Bewegung, zum Beispiel in der Bürgerinitiative „Moskovskaja Tribuna“, die von prominenten Intellektuellen gegründet wurde, oder in den baltischen Volksfronten, die ja in vieler Hinsicht im Moment die fortgeschrittenste soziale Bewegung bei uns darstellen. Von diesen werden viele gute Leute für die Wahlen vorgeschlagen werden. Weiter ist wichtig: Die Abgeordneten werden in Zukunft bezahlt. Ihre Tätigkeit wird zu einem vollen Beruf. Bisher füllten sie ihr Mandat nur während einiger Wochen im Jahr zusätzlich zu ihrer sonstigen Arbeit aus. Das Gesetz über die Wahlen und die Verfassungsreform ist das zweite gute Gesetz der Perestroika.

Welches war das erste?

Das über die Kooperativen. Dank diesem Gesetz können die informellen Gruppen ihre eigenen Betriebe und damit eine selbstständige ökonomische Grundlage für sich schaffen. Es ist aber auch möglich, daß bestehende Fabriken sich zu Kooperativen umwandeln. Und das geschieht auch zum Teil.

Die Realität nach dem Gesetz hat aber zwei Seiten. Das Gesetz erlaubt inzwischen, Kooperativen aufzubauen, die sich wie kapitalistische Firmen nur nach dem Profit richten. Um eine Kooperative zu bilden, genügen drei Mitglieder. Die allein haben volle Rechte. Die drei stellen dann, sagen wir, 3.000 Leute ein, die nur auf der Basis von einem Vertrag bei der Kooperative arbeiten, aber keine Mitglieder sind. Sie arbeiten nach flexiblen Plänen ohne Versicherung, ohne Gewerkschaft, ohne Rechte. Denn in unserem Lande gibt es zum Beispiel kein Sozialversicherungssystem außerhalb der Staatsbetriebe. Es fehlt jeder Mechanismus, jede Institution, die die Interessen der ArbeiterInnen wirklich verteidigen könnte. Wir haben zwar der Form nach Gewerkschaften, aber die verwalten nur die Ferienhäuser und ähnliche Ressourcen. Sie treten für die Beschäftigten nicht ein und wissen auch nicht, wie man das tut. Für die Kooperativen unserer sozialen Initiativen ist es besonders wichtig, auch wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. Deshalb entwickeln wir Programme, testen sie aus und geben sie weiter: Für die Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben und in den Wohngebieten, für das Management von Kooperativen, Ideen für ein Sozialversicherungssystem und so weiter.

Die Mitglieder der verschiedenen Klubs und Initiativen bauen heute Kooperativen auf, die zu allen möglichen sozialen, politischen und ökologischen Problemen arbeiten. Manche beschäftigen sich mit dem Gesundheitswesen, andere engagieren sich für den Verbraucherschutz und so weiter. Schließlich gibt es Kooperativen, die Netzwerke für die sozialen Kooperativen selbst aufbauen, um Arbeit zu koordinieren und vielleicht größere gemeinsame Projekte in Angriff zu nehmen, zum Beispiel die Gründung einer eigenen Bank in einiger Zeit. Auch wir arbeiten an einem solchen Netzwerk der sozialen Kooperativen. Wir haben es „My“ (wir) genannt. Das klingt vielleicht ein bißchen banal, aber wir wollten mit dem Namen ausdrücken, daß wir zusammen stark sind und daß wir füreinander da sind.

Wie steht es mit den Problemen von Frauen?

Es gibt in der UdSSR keine nennenswerte Frauenbewegung. Aber Frauen haben sehr viele Probleme. Einige werden jetzt bei uns auch in der Öffentlichkeit diskutiert. In den Kooperativen versuchen wir zum Beispiel, uns mit der Verhütungsfrage auseinanderzusetzen...

Was ja kein Problem der Frauen allein ist oder sein sollte...

Nein, das nicht - aber die Kosten des ungelösten Problems tragen immer die Frauen. In unserer Gruppe versuchen wir jetzt, Kurse über Sexualität und Verhütung zu entwickeln und anzubieten. Wir hoffen, eine eigene Kooperative zur Produktion von Verhütungsmitteln aufbauen zu können.

Was erwartet Ihr von uns im Westen?

Viele unserer Kooperativen suchen Partner in Alternativbetrieben im Westen und auch bei Firmen, deren Produkte für den sozialen Bereich bedeutsam sind. Wir sind sehr interessiert, miteinander in Kontakt zu kommen, Erfahrungen auszutauschen, aber auch wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Und diese Beziehungen sollen keineswegs nur für uns gewinnbringend sein. Wir sind im Gegenteil auf der Suche nach gemeinsamen kommerziellen Interessen.

Wir hoffen, daß sich Kontakte zwischen den grünen und alternativen Bewegungen und Parteien im Westen und den ökologischen und informellen Bewegungen bei uns vertiefen. Der Austausch von Erfahrungen ist wichtig. Die Bewegung im Westen hat sehr reiche Erfahrungen, aber vielleicht gibt es auch in unserem Lande etwas Neues für Euch zu lernen. Vielleicht könnten wir quasi alternative Praktika organisieren, so daß zum Beispiel jemand aus der UdSSR für ein, zwei Monate hierherkommt und verschiedene Initiativen kennenlernt, mit ihnen arbeitet - und umgekehrt ebenso. Auf unserer Seite könnten wir das über offizielle Einladungen oder auf Basis privater Freundschaften organisieren. Leute aus der Bundesrepublik könnten dann mit uns eine Weile leben, unsere Alltagsprobleme kennenlernen. Unsere und eure Situation unterscheidet sich natürlich in vielerlei Hinsicht. Die grüne und alternative Bewegung im Westen ist schon jetzt stark und hat einige finanzielle Ressourcen. Wir müssen dagegen jetzt die ersten Schritte tun - soziale Programme und eine ökonomische Basis gleichzeitig schaffen. Es wäre gut, wenn die grüne Bewegung im Westen einzelne konkret praktische Projekte bei uns unterstützen könnte. Wir brauchen sehr dringend technische Voraussetzungen, um selbst Untersuchungen von Lebensmitteln, Wasser, Luft, Boden und so weiter durchführen zu können.

Habt Ihr auch Kontakte zu anderen Bewegungen in Osteuropa wie Charta 77, Solidarnosc, Friedensgruppen in der DDR?

Damit stehen wir ganz am Anfang. Hier setzen wir vor allem Hoffnungen auf die baltischen Volksfronten, die regelrechte Abteilungen für Außenkontakte einrichten konnten. Unter den veränderten Bedingungen bekommen diese Kontakte eine zentrale Bedeutung.

Interview: Steffi Engert