Am Wochenende gehört Papi der Reifenfirma

Neues Modell für Samstags- und Sonntagsarbeit vom Aachener Uniroyal-Betriebsrat, der Unternehmensleitung und der örtlichen IG Chemie ausgefeilt Drei-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich / Versprechen auf Standortsicherung und 400 neue Arbeitsplätze / Entscheidung liegt beim Düsseldorfer Arbeitsminister  ■  Aus Aachen Bernd Ax

Die Parole, mit der in den 60er Jahren die Fünf-Tage-Woche erkämpft wurde, steht wieder zur Disposition. „Am Wochenende gehört Papi uns“, für den kleinen Heiko aus Aachen-Rothe Erde wird dieser Rhythmus wohl in den nächsten Jahren der Vergangenheit angehören. Denn in seinem Stammwerk in Aachen plant der Reifenhersteller Uniroyal Sonntagsarbeit einzuführen. Und Heikos Vater gehört zu den Arbeitern, für die die geplante Sonntagsarbeit in Frage kommen wird.

So war's bisher: In täglich drei Schichten und einer Zusatzschicht am Samstag rollten die schwarzen Reifen über die Fließbänder. Neben dem normalen Schichtbetrieb und ihrer Fünf-Tage-Woche mußten die Arbeiter alle drei Wochen zusätzlich einen Samstag dranhängen. Diese Regelung war von vornherein nicht sonderlich beliebt in der Arbeitnehmerschaft, deshalb suchte man beim Betriebsrat schon länger nach einer sinnvollen neuen Lösung.

Hinzu kam der Druck von der Unternehmensspitze, die 16 Schichten pro Woche auf 18 aufzustocken. Das Aachener Werk arbeitet bereits mit einer 100prozentigen Auslastung und eine räumliche Ausdehnung auf dem vorhandenen Werksgelände ist einfach nicht mehr drin - und neuer Gewerberaum zu teuer. Im Hinterkopf haben die Manager sicher auch die maximale Ausnutzung der Maschinenlaufzeiten. Kurz und gut: Das Problem lag seit Sommer 1988 auf dem Tisch, und der Betriebsrat bastelte seitdem an einer tragbaren Lösung.

Das Modell des Uniroyal Betriebsrates, das jetzt nur durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit kam, ist völlig neuartig. Es sieht für diejenigen, die sich für das neue Modell interessieren, eine Einführung von zwei Schichten zu je zwölf Stunden an beiden Tagen des Wochenendes vor. Hinzu kommt ein normaler Acht-Stunden-Tag in der Woche, macht nach Adam Riese 32 Wochenarbeitsstunden. Bleiben nach Einführung der 39-Stunden-Woche in diesem Frühjahr noch sieben weitere Stunden. Diese werden den Arbeitern bei vollem Lohnausgleich und gleichen Sozialleistungen freigestellt, so daß sie zum Ausgleich für ihr „unfreies“ Wochenende „nur“ an drei Tagen in der Woche auf Schicht gehen. Die normale Arbeitszeit für die übrigen Beschäftigten wird dann wieder auf eine Fünf -Tage-Woche zurückgeführt. „Wir standen vor der Alternative, entweder nur noch zwischen Samstag 22 Uhr und Sonntag 22 Uhr Wochenende zu haben, oder eben eigene Vorstellungen zu entwickeln“, so erklärt der Betriebsrat die Zwickmühle, aus der sich der neue Plan entwickelt hat. „Und wenn schon Wochenendarbeit, dann aber auch unter Bedingungen, die für uns tragbar sind.“

Arbeit in „Rothe Erde“

In einer konzertierten Aktion zwischen dem Betriebsrat, der Unternehmensleitung und der örtlichen IG Chemie war der Plan schnell ausgefeilt, und man nahm bereits erste Kontakte zum Düsseldorfer Arbeitsministerium, der Genehmigungsbehörde im Lande, auf. Faustpfand der Aachener Delegation war die Sicherung des Unternehmensstandortes im alten Arbeiterviertel „Rothe Erde“ und das Versprechen, durch die Kapazitätserweiterung 400 neue Arbeitsplätze für ungelernte Arbeiter zu schaffen. Im Frühjahr 1990 soll es dann soweit sein, dann rollen die Reifen rund um die Uhr und an allen sieben Wochentagen aus dem Aachener Werk. Das bedeutet für das Unternehmen eine 30prozentige Kapazitätserweiterung und umgerechnet 1,5 Millionen Reifen jährlich mehr für des Deutschen liebstes Kind, das Auto.

Doch bis es so weit ist, gilt es noch einige Steine aus dem Weg zu räumen. Zum einen ist gerade die Sonntagsarbeit noch nicht ganz „gesellschaftsfähig“. Die heftige Diskussion um die Einführung der Sonntagsarbeit beim Computerhersteller IBM in Stuttgart hat dies deutlich zutage gebracht. Die Dachverbände der Gewerkschaften sträuben sich noch mit Händen und Füßen, und auch die Kirche hat Angst um ihre Schäfchen. Andererseits ist man auch beim Arbeitsminister in Düsseldorf nicht ganz glücklich mit der jetzigen Situation. Man fühlt sich unter Druck gesetzt. Auf der einen Seite die offizielle Gewerkschaftsführung mit ihrem klaren Nein gegenüber allen Bestrebungen, die Arbeitszeiten auf den Sonntag auszudehnen. Auf der anderen Seite Einzelgänge wie der jetzige in Aachen. Aber auch arbeitsrechtlich scheint der neue Plan dem Justitiar im Ministerium, Sattler, nicht ganz wasserdicht zu sein. Besonders die geplante 12-Stunden -Schicht widerspricht der derzeit gültigen Arbeitszeitordnung.

Doch ansonsten hält man sich im Arbeitsministerium bedeckt. Noch liegt kein offizieller, schriftlicher Antrag des Reifenherstellers aus der alten Kaiserstadt vor. Letztlich bleibt es eine politische Entscheidung, die bei Minister Hermann Heinemann selber liegt: 400 neue Arbeitsplätze und die Standortgarantie gegen offizielle Gewerkschaftsmeinung und Kirchenängste.

Doch was sagen die Arbeiter selber, was denken die Menschen in Rothe Erde - einem Stadtteil mit extrem hoher Arbeitslosigkeit in einer Region, die - sollte kein Wunder geschehen - durch Zechenstillegungen Anfang der 90er Jahre vor einem wirtschaftlichen Kollaps steht. Für die Menschen vor Ort scheint das Hemd näher zu sein als die Hose. Sie hoffen auf die neue Regelung, auf 400 neue Arbeitsplätze. Und auch Pfarrer von den Driesch hat keine Angst um seine Schäfchen. „Im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Umwälzung wird uns auch der Sonntag nicht heilig bleiben können.“

100 haben Interesse

Und bei den Arbeitern selbst ist das Thema „Sonntagsarbeit“ natürlich der Dauerbrenner. Der fast einheitliche Tenor ist: „Finde ich gut, kommt für mich aber nicht in Frage.“ Doch unter den 1.000 Beschäftigten haben sich bereits über 100 an der Regelung interessiert gezeigt, so auch der Vater von Klein-Heiko. Für viele ist es die Chance, die den meisten durch den den Drei-Schicht-Betrieb bisher fast völlig verbaut war. Andere wiederum hoffen, sich mehr um ihre Hobbys kümmern zu können, und für viele ist auch die Aussicht auf vier freie Tage pro Woche von erheblichem Reiz.

Ein neues Modell zur Sonntagsarbeit „made in Aachen“ steht jetzt also zur politischen Diskussion an. Sollte man sich im Düsseldorfer Arbeitsministerium, schätzungsweise Ende des Jahres, dazu durchringen, dem Antrag von Uniroyal stattzugeben, wird dies sicher Breitenwirkung zeigen. Denn nicht nur in der Reifenindustrie träumt man davon, die Maschinenlaufzeiten zu optimieren. Und die Gewerkschaften stehen wieder einmal vor dem Entscheidungsdilemma: Grundsatzprogrammatik gegen Arbeitsplätze. Die neue Diskussion, das neue Modell wird zwar nicht die gleich harte Kontroverse auslösen, wie vor etwa einem Jahr bei IBM/Stuttgart, doch darf man gespannt sein, ob der Dinge, die sich am westlichen Arbeitszeithimmel über Aachen zusammenbrauen. Siehe auch Kommentar