Rabins Versuchsballon über Jerusalem

Nach 14 Monaten Intifada ist Israels Regierung zu der Einsicht gelangt, daß der Palästinenseraufstand nicht nur mit militärischen Mitteln beendet werden kann / Bisherige Lösungsvorschläge a la Camp David  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Jedes Möbelstück mit Schubladen scheint sich heute großer Beliebtheit unter Israels Politikern zu erfreuen. Innerhalb weniger Tage zogen gleich zwei führende Persönlichkeiten, Verteidigungsminister Jizchak Rabin und Ministerpräsident Jizchak Schamir, Pläne hervor, wie dem Palästinenseraufstand in den besetzten Gebieten mit politischen Mitteln beizukommen sei. Nach nunmehr vierzehn Monaten mußten die Politiker einsehen, daß der Intifada mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen ist.

Verteidigungsminister Rabin von der Arbeiterpartei spielte den Vorreiter und trat als erster mit einem Plan an die Öffentlichkeit. Er geht davon aus, daß es einen pragmatischen Weg gibt, den Aufstand zu beenden, wenn es Israel gelingt, Yassir Arafats Palästinenserorganisation Al Fatah und die vor allem in Gaza präsente Fundamentalistenbewegung Hamas in Verhandlungen über eine künftige lokale Selbstverwaltung im Sinne des Camp-David -Abkommens einzubinden. Verhandelt werden soll nur mit Palästinensern in den besetzten Gebieten, die dann, so Rabins Hoffnung, Druck auf die PLO-Führung im Ausland ausüben, damit diese den eingeschlagenen Weg als Beginn eines späteren Verhandlungsprozesses mit Israel unterstützt.

Der Verteidigungsminister weiß, daß sein Projekt nur eine Chance hat, wenn Arafat grünes Licht gibt. Natürlich kann es dann zu neuen Konflikten unter den palästinensischen Organisationen kommen oder zwischen der Führung „im Innern“ und der PLO-Zentrale in Tunis, doch das ist vom israelischen Standpunkt aus gesehen nützlich und erstrebenswert. Von seinem ursprünglichen Vorschlag einer dreimonatigen Pause der Intifada als Vorbedingung für jedwede Gespräche mit Palästinensern ist Rabin mittlerweile abgerückt.

Kurz darauf zog Regierungschef Schamir vom Likud-Block mit einer Zwei-Phasen-Lösung nach. Erst sollte eine lokale Autonomie in den besetzten Gebieten eingeführt werden, danach Verhandlungen mit örtlichen Vertretern der Palästinenser und den arabischen Staaten geführt werden. Vorschläge, die sich ebenfalls eng an das Camp-David -Abkommen anlehnen, das vor zehn Jahren zwischen Israel, Ägypten und den USA abgeschlossen und von den Palästinensern bereits damals abgelehnt wurde.

Beide Varianten von Camp David sind Teil ein und derselben Taktik, die Israel aus seiner gegenwärtigen Zwangslage herausbringen will, ohne gezwungen zu sein, mit der PLO direkt zu verhandeln oder sich auf weitere Schritte festzulegen. Nach außen hin wäre dann der Eindruck erweckt, daß der Friedensprozeß dank einer Initiative Israels wieder in Bewegung ist, die Intifada beendet wurde, und sich am Status quo in den besetzten Gebieten praktisch nichts geändert hat.

Daß die beiden Politiker nicht so weit auseinanderliegen, zeigt sich darin, daß Schamir den Plan Rabins als „Übergangsregelung“ durchaus einen Versuch wert fände. Man kann auch davon ausgehen, daß der Ministerpräsident davon unterrichtet war, daß ein Beamter des Verteidigungsministeriums den damals noch inhaftierten prominenten Palästinenser Faisal Husseini in seiner Zelle besuchte, um mit ihm über die Vorschläge Rabins zu diskutieren. Für Kritiker in den eigenen Reihen stellte Schamir am Wochenende auf einer Parteiversammlung klar, daß es im Lande Israel, das im Ausland als „Palästina“ bezeichnet werde, „niemals einen unabhängigen Palästinenserstaat geben wird.“

Husseini auf Sondierungstour

Unter den als gemäßigt apostrophierten Palästinensern gibt es Stimmen, die meinen, daß Rabins Ideen ausbaufähig seien und gründlich geprüft werden sollten. Faisal Husseini selbst wird demnächst ins Ausland reisen, um „indirekte Gespräche“ mit der PLo in den USA und Europa zu führen. Unter anderem soll Husseini auch an einem von der in Ostjerusalem erscheinden Zeitung 'Al Fajr‘ und der israelischen Zeitschrift 'New Outlook‘ Ende März in New York teilnehmen, dessen Ziel es ist, „Wege zur Beendigung der Intifada und für die Fortsetzung des Friedensprozesses“ zu finden. Husseini, der sich schon seit langem für eine friedliche Beilegung des Konflikts einsetzt, erklärte nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis: „Es ist eine positive Änderung in der Haltung der israelischen Behörden, wenn sie anfangen, über die Palästinenserfrage als politische Frage zu sprechen, während sie sie früher immer nur als militärisches Problem angesehen haben, das auch militiärische Lösungen fordert“. Die Begegnung zwischen Husseini und dem Vertreter des Verteidigungsministeriums im Knast löste in Israel prompt eine Debatte darüber aus, ob der Beamte sich „mit der PLO“ getroffen habe.

In einem Interview mit der Zeitung 'Al Quds‘ modifizierte Husseini seine erste Würdigung des Rabinschen Versuchsballons wieder und schwenkte auf die Linie der PLO ein, die erklärt hatte, demokratische Wahlen könne es unter einer Besatzung nicht geben. „Demokratische Wahlen und ausländische Besatzung sind ein Widerspruch in sich“, zog Husseini nach und betonte, kein politischer Schritt könne ohne die Zustimmung der PLO gemacht werden, und daß „jeder Plan, der sich gegen die Einheit des palästinensischen Volkes wendet, völlig inakzeptabel ist“. Husseinis erste Erklärungen noch aus dem Gefängnis waren in den besetzten Gebieten auf weitverbreitete Kritik gestoßen.

Am Sonntag warb Husseini in einer Jerusalemer Reform -Synagoge vor israelischen Oppositionellen für seine Vorstellungen. „Wir bieten euch hundert Nelson Mandelas, aber keinen einzigen Kollaborateur“, sagte er. „Ihr könnt euch keinen netten Palästinenser für Verhandlungen kaufen. Wir wollen mit Schamir sprechen, auch wenn wir ihn nicht lieben: Frieden muß mit dem Gegner geschlossen werden, egal ob man ihn mag oder nicht.“

Ganz gleich, wie die derzeitigen politischen Vortastversuche ausgehen werden, in den besetzten Gebieten bleibt zunächst einmal alles beim alten. Es ist die Politik der Regierung, gegen all diejenigen, die sich am Aufstand beteiligen, auch weiterhin mit harten militärischen Mitteln vorzugehen.