„Solidarnosc ist so stark wie nie“

■ Polens wichtigstes Möbel, der runde Tisch, kommt heute zum Einsatz / Erste Dialogrunde im Radziwill-Palast / Walesa: Verhandlungen für ganz Osteuropa von Bedeutung / Demonstration in Danzig für die Wiederzulassung der verbotenen Gewerkschaft Solidarität

Berlin/Warschau(taz/afp) - Jetzt endlich kommt er zum Einsatz, im Palais Radziwill in der Warschauer Altstadt dort, wo vor fast genau 34 Jahren der Warschauer Pakt unterzeichnet wurde. Erst in Jablonna vor Warschau aufgebaut, dann wieder zerlegt, kommt der runde Tisch jetzt sogar ins Fernsehen. Fast alles, was Rang und Namen hat in Polen, wird in den nächsten Wochen an ihm Platz nehmen.

Unter den 25 Oppositionsvertretern sind so bekannte Solidarnosc-Aktivisten wie Zbigniew Bujak, der sich nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 fünf Jahre lang erfolgreich im Untergrund versteckte und von dort aus die geheimen Gewerkschaftsstrukturen leitete, der Warschauer Historiker Bronislaw Geremek, der Arbeiterführer Walesa auf seiner ersten Auslandsreise nach Frankreich begleitete, und der oppositionelle Historiker Adam Michnik. Gegen ihn scheint die Regierung nun keine Einwände mehr zu haben. Noch im November '88 hatte die Regierungsseite es abgelehnt, mit ihm und seinem ebenfalls der oppositionellen Linken zugerechneten Freund Jacek Kuron zu verhandeln. Ihnen allen gegenüber werden Vertreter der offiziellen Gewerkschaften OPZZ mit Politbüromitglied Alfred Miodowicz an der Spitze Platz nehmen. Mit der Anwesenheit von ZK-Sekretär Stanislaw Ciosek ist ebenfalls zu rechnen. Er hat den Dialog erst zustandegebracht und ist ebenfalls in das Politbüro aufgerückt.

Nach der monatelangen Wartezeit gehen beide Seiten gut vorbereitet in die Verhandlungen. Arbeiterführer Walesa hat am Sonntag noch eine Sitzung des Bürgerkomitees einberufen, jenes „Schattenkabinett“, das nahezu sämtliche Köpfe der Opposition zusammenfaßt. Kein Wunder, daß Walesa nach eigenen Worten „ganz entspannt, optimistisch und in bester Form“ antritt. Der runde Tisch sei von größtem Interesse für die Zukunft Polens und anderer Länder des Ostblocks, erklärte er nach seiner Ankunft in Warschau der Presse. Die Postulate, mit denen seine Delegation in die Verhandlungen geht, erinnern deutlich an die Vereinbarungen von Danzig 1981: Unabhängigkeit der Gerichte, freier Zugang zu den Massenmedien, umfassende Selbstverwaltung, Wirtschaftsreform, Legalisierung von Solidarnosc, des Studentenverbandes NZS und der Landsolidarität.

Die Regierung will die Opposition vor allem für eine Teilnahme an den für Mai geplanten Parlamentswahlen gewinnen. Eine direkte Kandidatur von Solidarnosc auf einer vorbereiteten Einheitsliste hat jedoch Walesas Berater Geremek bereits abgelehnt. Solidarnosc sei stets für völlig freie Wahlen eingetreten. Auch das Streikrecht wolle man sich nicht beschneiden lassen. Die moralische Autorität der Gewerkschaft sei größer denn je.

Geringer scheint dagegen die Autorität von Arbeiterführer Walesa zu sein, besonders unter der radikalen Danziger Solidarnosc-Jugend. Die begann am Sonntag abend im Anschluß an eine Demonstration für die Wiederzulassung von Solidarnosc in Danzig einen Polizeikordon mit Steinen zu bewerfen und skandierte dazu „Nieder mit den Kommunisten“. Schließlich gelang es Passanten, die jugendlichen Demonstranten mit Hinweisen auf den am Montag beginnenden Dialog am runden Tisch zum freiwilligen Rückzug zu bewegen. Walesa hat sich in der Vergangenheit mehrfach gegen gewalttätige Demonstrationen ausgesprochen.

Klaus Bachmann