Das Tauziehen in Islamabad

Wie eine Seifenblase sind gestern vormittag die Hoffnungen auf eine diplomatische Einigung zwischen Mudschaheddin und dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse geplatzt. Schewardnadse hatte seinen Aufenthalt in Islamabad extra um einen Tag verlängert offensichtlich um mit den Mu dschaheddin Kontakt auf zunehmen.

Ohne Erfolg. Doch Schewardnadse hatte keine konkreten Verhandlungsangebote im Gepäck und die Widerstandsführer zogen es vor, sich hinter der pakistanischen Regierung zu verschanzen. So erklärte ein Sprecher der radikalfundamentalistischen Hesbi-i-Islami unter Gulbuddin Hekmathiar, die Mudschaheddin hielten „indirekten Kontakt“ mit der pakistanischen Regierung über den Verlauf der Gespräche mit Schewardnadse.

Der derzeitige Führer der sunnitischen Siebener-Allianz Sigbhatullah Mudschaddedi (siehe Kasten) bildete indessen am Sonntag nach wochenlangen Verhandlungen mit den schiitischen Widerstandsbewegungen, die ihr Hauptquartier im Iran aufgeschlagen haben, eine Einheitsfront gegen das kommunistische Regime in Kabul. Laut der iranischen Nachrichtenagentur 'Irna‘ nahm an der Unterzeichnung des Abkommens, von dem noch keine Einzelheiten vorlagen, auch der iranischen Außenminister Ali Akbar Welejati teil. Damit sind die Weichen gestellt für eine Regierungsbildung im pakistanischen Rawalpindi noch Ende dieser Woche. An der geplanten Ratsversammlung, der es obliegen wird, eine Übergangsregierung für Kabul zu wählen, sollen 519 Widerstandsvertreter teilnehmen.

Unklar war bislang der Anteil schiitischer Vertreter in der traditionellen „Schura-Versammlung“. Die sieben Gruppierungen der im sunnitischen Pakistan operierenden Fraktionen wollen jeweils 40 Delegierte stellen, zusätzlich sollen 40 „intellektuelle Delegierte“ benannt werden. Wie es jetzt aus Teheran heißt, würden 80 von den Widerstandskämpfern im Iran benannt. Hinzu komme eine Gruppe von 19 Delegierten, die sich aus afghanischen Spitzenbeamten, Exilpolitikern aus der Zeit der Monarchie und Professoren der Kabuler Universität zusammensetzen sollen. Die Verhandlungen zwischen den beiden Garantiemächten UdSSR und Pakistan versprechen für die Zeit nach dem in den Genfer Verträgen festgelegten 15. Februar vorerst jedenfalls keine friedliche Beilegung des Konflikts. „Trotz eines hohen Maßes an Übereinstimmung gibt es eine Menge Meinungsverschiedenheiten“, gab Schewardnadse am Montag auf einer Pressekonferenz zu. Und die pakistanische Presse meldet, Schewardnadse habe angeboten, die sowjetische Luftwaffe werde ihre Angriffe auf Stellungen der afghanischen Widerstands einstellen - falls in Afghanistan eine Vereinbarung über eine „breite“ Regierungsbasis, das heißt unter Beteiligung des Nadschibullah-Regimes zustande komme. Wenn nicht, drohte er, würden diese Angriffe auch nach dem Abzug der sowjetischen Truppen von Afghanistan aus weitergeführt werden.

Dennoch habe Schewardnadse, so heißt es, erneut angeregt, daß beide Seiten - Pakistan und die UdSSR - ihre Waffenlieferungen an den Widerstand einstellen sollten. In einer gemeinsamen Erklärung beteuerten die Sowjetunion und Pakistan gestern überdies ihre Absicht, zur Bildung einer afghanischen Regierung „auf breiter Basis“ beizutragen. Beide Seiten, so ist der gemeinsamen Erklärung zu entnehmen, unterstützen „ein souveränes, unabhängiges und blockfreies Afghanistan“.

Die pakistanische Regierung steckt nun in der Zwickmühle: Einerseits will sie weiter die Wirtschafts- und Militärhilfe von Saudi-Arabien und Washington einstreichen (mit Washington gibt es ohnehin schon Schwierigkeiten wegen des Atomprogramms) und kann deshalb die Mudschaheddin nicht fallenlassen. Andererseits ist die junge Regierung von Benazir Bhutto aber auch an einer Befriedung interessiert, damit die 3,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland repatriiert werden können. Die Tendenz der pakistanischen Regierung geht - nach der Amtsübernahme durch Frau Bhutto und angesichts der eher moderaten Führungspersönlichkeit der Siebener-Allianz, Mudschadeddi - anscheinend in Richtung der eher kompromißbereiten Kräfte unter den Mudschaheddin.

Simone Lenz