Vom Tappen in geheimen Gärten

■ Das Institut Francais zeigt noch bis zum 24.2.: Doisneau kann viel mehr als Küsse vorm Rathaus / Im schönsten Grau: Baskenmützen, Bengels, Bars, Bräute und Bilder aus Baris

Wenn Du ein Bild machst, sprich nicht davon, schreibe nichts darüber, analysiere es nicht, antworte auf keine Fragen. Zertrample nicht die geheimen Gärten. Robert Doisneau, 1979

Wenn man Bilder sieht, sollte man das vielleicht auch nicht machen. Er hätte sich im Grab umgedreht, schmeichelte der Fotograf schon meinen vorausschauenden Worten zur Doisneau-Ausstellung im Institut Francais. Das ist allerhand, denn Herr Doisneau ist meines Wissens noch gar nicht verstorben. Wäre er, hätte er womöglich, weil ich sein vielschichtiges Meisterwerk ausgerechnet auf dieses „Kitschbild“ (!?) reduziert habe, das in jeder besseren WG an mindestens einer Wand hängt. Was nicht mehr sagt, als daß auch KulturredakteurInnen bisweilen mit einem populären Geschmack geschlagen sind. 200 Leute, so auch Frau Georg vom Institut Francais, traten bisher vor „Kuß“ & Co., sonst kommen vielleicht 60-70 zu Ausstellungen an die Contrescarpe. Der „Kuß“ hängt zwischen den zwei Fenstern zur Straße. Vormittags wird hier Unterricht erteilt. Wer also in sein restlos unexklusives Lieblingsbild zu versinken trachtet, kommt am bestens nachmittags. Da wird's dann meistens auch

schön voll.

Die vielleicht 50 Doisneau-Fotos in den Parterre-Zimmern des Instituts sind zugegebenerweise viel mehr als der eine „Kuß“. Bilder vom Nachkriegs-Paris, regennasses Kopfsteinplaster, Kinder mit runtergerollten Strümpfen und Kohlekarren vor vereistem Kanal, Kinder an einer rissigen Fassade, handstehende Kinder. Überhaupt viele Kinder.

Überall Menschen jedenfalls,

einfach aufs Papier fixiert mit der komischsten Grimasse ihres Lebens, mit diesem Hingucken, Wegsehen, Daherlachen, wie man es eigentlich nicht macht, wenn einer mit Kamera in der Nähe ist. Fotos wie Standbilder aus einem 30er, 40er oder 50er Jahre UFA-Film in Paris. Man steht und wartet, daß das Ganze in Bewegung kommt. Immer etwas Schräges (eine Straße, ein Ufer, ein Tresen, eine Wippe, Fensterreihen, Fassaden), das einen in das Bild hineinstürzt vor lauter Perspektive und genug Luft, darin in Ruhe herumzugucken.

Ich bin naturverbunden, aber Schlangen erschrecken mich. Alle Tiere, die unter sich keine Luft haben, flößen Angst ein. In meinen Bildern versuche ich immer, einen inneren Raum zwischen den Leuten zu finden, das ist es, was das Bild lesbar macht. (Robert Doisneau, in „Photopoche“)

Luft zwischen Catchern, Barbesuchern, motorradfahrenden Kleinfamilien, Hochzeitspärchen, der Concierge und ihrem vollgestopftem Zimmer, zwischen männchenmachenden Hündchen und mauerlehnenden Jungschnöseln so schön wie James Dean. Anders als der „Kuß“. Aber es hat dieses Hineingegriffene. Mehr sag ich nicht.

pH