Hochgefährliche Frachten im Tiefflug

Spätestens seit der Katastrophe von Remscheid ist klar, daß auch Fracht und Bewaffnung abstürzender Kampfflugzeuge enorme Sprendkraft in sich bergen  ■  Von Wolfgang Bartels

„Während der ersten Stunde des Dritten Weltkrieges, 20 Kilometer innerhalb Westdeutschlands, fiel der erste Schußwechsel zwischen einem sowjetischen Panzerkommandanten und einem Piloten der US-Luftwaffe in einem A-10 -Kampfflugzeug, dem einzigen Flugzeug, das speziell zum Panzerkampf entwickelt wurde. In einem Feuerstoß knallen 50 Kugeln aus der Flugzeugkanone, ein Dutzend schlägt auf den T -62-Panzer. Doch anstatt an der schweren Panzerung abzuprallen, fressen sich die Schüsse durch die Panzerung hindurch. Die dreiköpfige sowjetische Besatzung hat in dem Wirrwarr von brennendem Metall, Splittern und Explosionen nicht die geringste Chance. In Sekunden ist der T-62 ausgebrannt.“

Mit diesem Szenario beschrieb der Nato-Korrespondent der 'International Herald Tribune‘ am 21.Juli 1979 die neueste Wunderwaffe der US-Luftwaffe: eine neue Munition, mit der die modernsten und schwersten Panzer in Sekundenschnelle in gigantische Feuerbälle verwandelt werden können. Das „Geheimnis“ der neuartigen Geschosse: sie bestehen aus Uran.

Die neue Munition wurde speziell für die A-10 „Thunderbolt II“ der US-Luftwaffe entwickelt. Dieses „Panzerknacker„ -Flugzeug ist extrem wendig und kann so langsam fliegen, daß es fast in der Luft zu stehen scheint, jedoch auch mit enormem Schub beschleunigen. Wie kaum ein anderes Flugzeug ist die A-10 zum extremsten Tiefflug geeignet. Das Flugzeug ist im Einsatzfall ringsum gespickt mit Bomben und Raketen die Piloten nennen es daher liebevoll „Warzenschwein“.

Eines dieser „Warzenschweine“ ist am 8.Dezember 1988 in den Remscheider Stadtteil Vieringhausen-Hasten gestürzt. Erst Stunden nach dem Absturz bekamen die Rettungsmannschaften von den US-Streitkräften Auskünfte über die Art der Bewaffnung des abgestürzten Flugzeuges. Noch lange nach dem Absturz war in den Trümmern das Detonieren von Munition zu hören. Vorsichtshalber wurde bei den Bergungsarbeiten auch ein ABC-Zug der Feuerwehr eingesetzt. Doch der verantwortliche US-General versicherte, es handele sich „nur“ um Übungsmunition.

Die Katastrophe von Remscheid hat erschreckend ins Bewußtsein gerufen, daß auch die Fracht und die Bewaffnung, die abstürzende Flugzeuge mit sich tragen, von enormer Gefährlichkeit sein können. Im Einsatzfall wird die Bordkanone der A-10 mit 1.350 Urangeschossen ausgerüstet, die mit Feuerstößen innerhalb weniger Sekunden verschossen werden können. Der frühere Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig schwärmte vom Uran als der perfekten Kugel der Zukunft. Das für die A-10 verwendete Uran ist reichlich vorhanden, da es als Abfallprodukt bei der Anreicherung von Kernbrennstoffen und Bombenspaltmaterial anfällt. Natururan besteht größtenteils aus dem Isotop U238. Nachdem das für Kernprozesse brauchbare U235 abgetrennt ist, bleibt als Abfall fast reines U238 über, sogenanntes „depleted uranium“ oder „abgereichertes Uran“. Die amerikanischen Rüstungsplaner haben in diesem massenhaft vorhandenen Abfallstoff der Atomindustrie das Material entdeckt, aus dem die Geschosse der Zukunft bestehen sollen. In Zusammenarbeit des amerikanischen Konzerns General Electric mit dem Schweizer Waffenkonzern Oerlikon ließen sie ihre neue Wunderwaffe entwickeln.

Das abgereicherte Uran ist zwar wesentlich weicher als der Stahl, den es durchschlagen soll, es ist jedoch wegen seiner erheblich größeren Dichte zweieinhalbmal so schwer und damit wesentlich durchschlagskräftiger als herkömmliche Munition. Zusätzlich hat Uranmunition die Eigenschaft, sich beim Aufprall auf ein Hindernis explosionsartig selbst zu entzünden und dabei eine solche Hitze zu entwickeln, daß Stahl in einem diamantweißen Licht verbrennt. Hat sich das Geschoß durch die Panzerung gefressen, wirkt es im Innern des Panzers wie eine Brandbombe. Dabei wird das Uran pulverisiert. Der entstehende Rauch ist hochgiftig und führt zu anhaltenden Schädigungen von betroffenen Menschen, in höherer Dosis zum Tod.

Abgereichertes Uran ist vor allem gefährlich, weil es ein hochgiftiges Schwermetall ist, das gerade bei feiner Verteilung die Umgebung nachhaltig vergiftet. In geringem Grade ist Uran 28 radioaktiv, immerhin jedoch so stark, daß die amerikanische Atomüberwachungsbehörde NRC für jeden Beschäftigten, der damit hantiert, eine Genehmigung ausstellen muß. Die 'International Herald Tribune‘ berichtete 1979, die Gefahren durch Uran 238, das als Aerosol in die Lungen und Nieren gelangt, seien vom Pentagon erkannt worden. Für die Beschäftigten und die Soldaten seien daher Standards entwickelt worden, um sie zu schützen.

Schon damals waren sich Hersteller und Militärs der „psychologischen Probleme“ bewußt, die die neue Waffe bringen würde: „Schon das Wort Uran macht die A-10-Geschosse in der Meinung der meisten Menschen zu einem Kandidaten für Waffenbegrenzungsgespräche. Schon 1976 versuchte der damalige Verteidigungsminister David Rumsfeld potentiellen Protesten vorzubeugen, indem er versprach, diese Uranmunition würde in den US-Streitkräften nicht breit gestreut - nicht wegen der Gefahren, sondern wegen der allgemeinen Reaktion der Öffentlichkeit, die von der Furcht vor einer nuklearen Kriegsführung und der Verseuchung der Umwelt ausgelöst würde.“

Anfang der achtziger Jahre wurde das 81.Taktische Jagdgeschwader der US-Luftwaffe auf dem britischen Stützpunkt Bentwaters mit der A-10 ausgerüstet. Regelmäßig fliegen die „Warzenschweine“ seither zu Übungen in die Bundesrepublik Deutschland, dem eigentlichen „theater of war“ (Nato-Jargon für Kriegsschauplatz). Im südlichen Teil der Bundesrepublik werden der US-Flugplatz Sembach in der Pfalz und der Bundeswehrflugplatz Leipheim als Stützpunkte für die A-10 genutzt, für den nördlichen Teil der Bundesrepublik übernehmen diese Aufgabe die Bundeswehr -Flugplätze Nörvenich und Ahlhorn. Uranmunition wurde in der Nähe dieser Flugplätze eingelagert. Es ist davon auszugehen, daß bei Übungsflügen nicht nur mit Übungsmunition geflogen wird, sondern zu einem großen Teil mit echter Munition. Schon allein weil die Uranmunition wesentlich schwerer ist als herkömmliche Munition, müssen sich die Piloten an die veränderten Flugeigenschaften ihrer Maschinen gewöhnen.

Über der Bundesrepublik wird mit der Uranmunition nicht nur geflogen, es wird auch scharf geschossen. Auf den Truppenübungsplätzen Grafenwöhr und Baumholder werden regelmäßig Ziele mit der Wundermunition beschossen. Unabhängige Bodenuntersuchungen, die mögliche Bodenvergiftungen durch das Uran belegen könnten, wurden vom Militär jedoch abgelehnt.

Die Uranmunition trägt den Namen GAU-8/A. GAU ist die Abkürzung für „Gun Armament Unit“ (Einheit zur Kanonenbewaffnung). Beim Absturz einer A-10 kann es jedoch zu einem „GAU“ anderer Art kommen: zu einer zunächst kaum bemerkbaren Schwermetallvergiftung in der Umgebung der Absturzstelle, die sich im Laufe der Jahre um so nachhaltiger bemerkbar machen wird. Im Falle Remscheid muß geprüft werden, ob die A-10 tatsächlich „nur“ Übungsmunition an Bord hatte. Remscheid hat jedoch auch gezeigt, mit welcher Leichtsinnigkeit hochgefährliche Frachten über unsere Köpfe gejagt werden.