„Stecker rein und alle Knöpfe auf 10“

Das Störfall-AKW Biblis ist seit heute wieder komplett am Netz / Die angeblich notwendige „verbunkerte Notstandswarte“ existiert bislang nur auf dem Reißbrett / Von der externen Notstandswarte aus sollen die Reaktoren nach einem Unfall noch abgeschaltet werden  ■  Von K.-P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Der christdemokratische hessische Minister für Umwelt und „Reaktorsicherheit“, Karlheinz Weimar, signalisierte dem Betreiber des AKWs Biblis im südhessischen Ried, den Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerken (RWE), am Rosenmontag „grünes Licht“. Und noch am Abend des närrischen Tages schalteten die Reaktorfahrer den Block A des 2.500-Megawatt-Giganten wieder an, ohne daß auch nur der Rohbau für die angeblich „unverzichtbare“ (Weimar) verbunkerte externe Notstandswarte steht. Der Block B des AKW wird nach Auskunft des RWE noch heute ans Netz gehen.

Die verbunkerte Notstandswarte, die wochenlang - von Weimar als „Knackpunkt“ für die Wiederinbetriebnahme in die Welt gesetzt - durch den hessischen Landtag geisterte und an der sich die Geister schieden, sollte das nicht gegen Flugzeugabstürze gesicherte hessische AKW „sicherer“ machen. Aus dieser externen Notstandswarte heraus könnten die beiden Reaktoren im Falle eines tatsächlichen Crashs der Meiler mit einem Düsenflugzeug oder mit einem Helikopter aus dem nahen Erbenheim noch abgeschaltet werden - auch wenn in den beiden Kraftwerksblöcken die komplette Bedienungsmannschaft nicht mehr leben sollte.

Die Zusage für den Bau dieser Notstandswarte, die inzwischen zum Sicherheitsstandart aller neueren AKWs gehört, wurde dem RWE von Weimar in angeblich „harten Verhandlungen“ abgetrotzt, mit denen - wie jetzt offensichtlich geworden - nur die Öffentlichkeit über den Löffel balbiert werden sollte. Der Physiker Lothar Hahn vom Darmstädter Öko-Institut, der zusammen mit Kollegen zwei Studien zu den Reaktorblöcken in Biblis angefertigt hat, hält denn auch die Wiederanschaltung der Atommeiler für „unverantwortbar“. Hahn: „Wenn eine solche Notstandswarte ein unverzichtbarer Bestandteil des Sicherheitssystems ist, dann kann man die Reaktorblöcke ohne dieses Sicherheitssystem nicht wieder anlaufen lassen, falls man es wirklich ernst meint mit der Sicherheit. Ist das System dagegen verzichtbar, dann waren die Debatten zwischen RWE und hessischem Umweltministerium um die verbunkerte Notstandswarte nur Beruhigungspillen für eine kritischer gewordene Bevölkerung.“

In der Tat (ver)handelten Weimar und der RWE-Vorstand die Nachrüstungsmaßnahmen für die Störfallreaktoren auf dem politischen Basar. Tagelang schlug man sich um die Kosten von knapp einer halben Milliarde Mark, bis schließlich die RWE-Verhandlungsführer - pressewirksam mit den Zähnen knirschend - nachgaben. Und Weimar ließ sich in Wiesbaden von seinen Parteifreunden als „Pokerface“ feiern.

Bei seiner jetzt erfolgten Entscheidung für die Wiederinbetriebnahme der nach dem Bekanntwerden des Beinahe -GAUs vom Dezember 1987 stillgelegten Reaktoren stützt sich Weimar auf ein Gutachten des TÜV-Bayern, der seit Jahr und Tag für die Hessen die atomaren Anlagen in Hanau und die Blöcke A und B in Biblis „checkt“. Der bayerische TÜV-Bock, der von Weimar erneut zum Gärtner gemacht wurde, hat in der Vergangenheit all die Anlagenteile in Biblis als „sicherheitstechnisch unbedenklich“ eingestuft, die mit dafür Verantwortung trugen, daß es Ende 1987 beinahe zu einem „nicht beherrschbaren Störfall“ (TÜV-Bayern) gekommen wäre. Regelmäßig gab der TÜV-Bayern bei den Routineüberprüfungen sein Plazet für den Weiterbetrieb der Reaktoren, die während ihrer Laufzeit Hunderte von kleinen und großen Störfällen „produzierten“.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) fordert schon seit Jahren die Überprüfung der Atomkraftwerke der Republik durch sachkundige und unabhängige Gutachter. Doch die Studien, die von atomkritischen Wissenschaftlern angefertigt wurden, werden entweder von den Ministerien gebunkert oder - wie im Falle der Biblis-Studie des Öko -Instituts - als „mit Uhu und Schere zusammengebastelt“ (der hessische Ex-Wirtschaftsminister Ulrich Steger) lächerlich gemacht. Dabei listet gerade diese „Vorstudie zu Fragen der Sicherheit der Atomkraftwerke Biblis A und B“ des Öko -Instituts bereits all die Sicherheitsmängel auf, die jetzt angeblich Gegenstand der Nachrüstungsverhandlungen zwischen dem Betreiber und dem Umweltministerium gewesen sein sollen.

Die Kritik der unabhängigen Wissenschaftler und der Umweltschützer richtet sich auch gegen die Mitglieder der „Reaktor-Sicherheitskommission“, die im November 1988 ihren „Abschlußbericht über die Ergebnisse der Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke der Bundesrepublik Deutschland“ vorlegten. Darin wird den AKWs in Biblis ein Persilschein für den Weiterbetrieb erteilt. Nur Wochen nach der Berichtsvorlage kam es zu weiteren Störfällen in Biblis und selbst noch beim „Herunterfahren“ der Anlagen gab es „kritische Situationen“.

Daß ein Reaktorfahrer in Biblis im Mai 1988 an Leukämie verstarb, war bislang nicht Gegenstand der Erörterungen der Reaktorsicherheitskommission oder der Verhandlungen zwischen dem RWE und der Aufsichtsbehörde. Der tragische Tod des Reaktorfahrers hat bei der Arbeitnehmerschaft in den AKWs Betroffenheit ausgelöst. Und der hessische DGB, der noch in Sachen Hanau den atomfreundlichen Betriebsräten den Rücken gestärkt hatte, ist inzwischen zu Biblis auf Distanz gegangen und fordert die dauerhafte Stillegung der beiden Reaktorblöcke. Der Krebstod des Reaktorfahrers ist inzwischen Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.